Bettenhaus Sommerfestival: Captain Planet, Die Aeronauten, Les Trucs, Lost Girls, 24.06.2011 in Marburg, Bettenhaus - Bericht von Fö
Bettenhaus Sommerfestival, 24.06.2011 in Marburg
Das ist also Marburg. Studentenstadt, schöne Altstadt. Natalia führt mich ein wenig rum (is ja immer noch Urlaub und ich bin demzufolge Tourist) und wir erklimmen das Schloss, genießen die Aussicht auf Häuser, Kirchen, Affenfelsen und Elefantenfüße, entdecken die Camera Obscura und belohnen uns (naja, eher ich mich) mit einem Clausthaler vom Tegut. Juhu.
Ziel für heute Abend: Das Bettenhaus! Son alternatives Studentenwohnprojekt, das an diesem Wochenende sein Sommerfestival feiert. Schönet Dingen. Eintritt kostet, je nach finanziellem Gusto, 5-8 Euro, und geboten werden heute 5 Bands. Die erste davon hat schonmal ne extravagante Pyroshow zu bieten...
...so spart man sich dann auch die Nebelmaschine. LOST GIRLS nennen sie sich. Lokale Band. Freunde von Natalia. Haben sich, entsprechend dem Bandnamen, in Frauenklamotten gezwängt. Dat is jetzt nicht unbedingt das Originellste von der Welt, aber da will ich mal keinen Vorwurf machen. Sex sells nunmal.
Zu hören gibts deutschsprachigen Indie-Punk. Passt also ganz gut ins Vorprogramm von Captain Planet. Würde auch passen zu Matula, Balboa Burnout, Turbostaat, und ganz besonders Kippen - aber auf Speed. Kommt ganz gut.
Ein wenig Publikum hat sich auch schon eingefunden. Ein paar Leutchen gehören offenkundig zur Band und verteilen bereitwillig Sekt und Popcorn unter den gierigen Zuschauern. Das bringt ein wenig familiäre Atmosphäre. Juhu.
Hier einer der fleißigen Popcornverteiler. Ein Affe. Er versteht uns nicht, weil er, wie es sich für Affen gehört, ausschließlich englisch spricht. Irre.
Auch sonst wechselt sich Humor ab mit offensiver Musik. Der Gesang zwischen monoton und melodisch, die Lieder können durchaus überzeugen und die Texte, sofern verstanden, ebenfalls. Irgendwas mit "Völker, hört die Signale" ist mir in Erinnerung geblieben. Bestimmt total politisch.
Letztes Lied: Mit Keyboard-Synthie-Gedöns. Warum auch nicht. Bringt zumindest etwas Abwechslung in den ansonsten recht homogenen (ich wollte nicht schreiben: eintönigen) Sound der jungen Band. Kurzer Auftritt, hat aber gefallen. Für den Anfang schonmal ganz gut.
Anschließend: Bier suchen. Gar nicht mal so einfach. Zumindest für mich. Alkoholfreies Bier wird hier nicht verkauft, weswegen wir das Gelände verlassen und uns auf die Suche nach meiner Ersatzdroge machen. Zumindest einen Kiosk/Späti gibt es in Marburg - aber der hat kein alkfreies Bier. Also weiter zum Supermarkt. Als wir schließlich wieder am Bettenhaus ankommen, haben wir schon die nächste Band verpasst - Foocha. J-Rock. Wurden uns vorher ans Herz gelegt. Aber ey, Leute: J-Rock. Vielleicht doch nicht so schlimm, das verpasst zu haben...
Dafür kommen wir genau pünktlich zum Intro von LES TRUCS! Puh. Hätte mir ja in den Arsch gebissen, wenn wir die verpasst hätten! Les Trucs, das sind Tobi von Antitainment und Charlotte von äh vergessen (nach kurzer Recherche: The Latah Movement). Synthie-8Bit-Keyboard-Gedödel at its best. Wirre und knallige Sounds, so ausufernd wie die Bühnenshow.
Oh, sagte ich Bühne? Bühne gibts hier nicht, die beiden haben ihre "Instrumente" davor aufgebaut und sich selbst mit Tischlampen und Kopfmikros ausgestattet. Beste Voraussetzung für nen amtlichen Circle Pit, sach ich ma. Gesang ist reduziert auf ein Minimum, am Ehesten noch gibt es Sprechgesang und ein paar Sekt-geschwängerte verbale Spitzen von Charlotte.
"We came to destroy Rock'n'Roll" ist nicht nur erster Titel des aktuellen Albums "Schönen Grusz vom Getriebe" und erstes Stück nach dem Intro, sondern irgendwie auch Konzept. Strukturen zerbrechen, etwas neues wagen. Wobei, Dadaismus gibts schon lange, das hier ist dann wohl Nintentocore-Dada. Ordentlich Bass und Technogeballer.
Erinnert mich, gerade durch die weiblich-männlich-gemischten Vocals, mehr an Atari Teenage Riot als an Antitainment oder die Audiolith-Welle. Ich finds total geil. Heißer Scheiß. Umso ärgerlicher, dass ich die beiden bisher immer verpasst habe, wenn sie in der Nähe waren (okay, Marburg ist auch nicht unbedingt in der Nähe von Dortmund. Hähä.)
Publikumsinteraktion. Bei einem Song sollen wir uns alle an den Händen fassen, bei einem anderen auf dem Boden setzen. Dass bei Letzterem nur die schwarze-Kapus-Fraktion mitmacht, find ich schon irgendwie witzig.
Die Lieder klingen ähnlich sperrig wie auf Platte, kommen mir live aber nicht ganz so holprig vor. Könnte aber daran liegen, dass die "Show" einfach noch zusätzlich ordentlich fesselt. Wat so gespielt wurde: Puh. "I am the Kid" von der Split mit Sex Jams war dabei, Highlight war dann am Schluss noch "Der singende Idiot". Eigentlich auch egal, hier muss man eh die Performance als Gesamtkonzept sehen.
Also: Ich fands voll gut. Wenn Les Trucs irgendwo auftreten - hin! Ein Erlebnis sondergleichen! Findet auch das Publikum, und so wird das komplette Intro über brav geklatscht. Cool.
So. Zeitlich wohl etwas in Verzug, aber Umbaupause ist amtlich kurz. Kein Wunder, dass man da beim Bierholen mal eben ne Band verpassen kann. Was uns zum Glück nicht nochmal passiert. Nächste Band: DIE AERONAUTEN aus der schönen Schweiz. Eine Ausnahmeband.
Schon schwer genug, den Musikstil zu beschreiben. Pop, Soul, Surf, Swing, Jazz, und das alles mit ordentlich Punk-Attitüde. Sag ich mal. Zuletzt gesehen habe ich die Aeronauten letztes Jahr in Düsseldorf, und das fand ich schon großartig. Aber das hier heute gefällt mir schon fast besser.
Woran das liegt? Keine Ahnung. Irgendwie passt die Band einfach wunderbar in dieses kulturell-alternative Umfeld, scheint sich hier auch gut wohl zu fühlen. Nicht zu voll vor der Bühne, aber auch nicht zu leer - irgendwie genau richtig.
Frontmann GUZ nimmt auch direkt Bezug auf die regionalen Probleme. So wird auf den Naziaufmarsch in Gießen hingewiesen, und auf Aktionen gegen Großbauten in Innenhöfen. Aha. Andere Probleme sind einfacher zu lösen: Als ein Typ ganz vorne nach Bier ruft, bekommt er direkt eins. Cool.
Ein schönes Set gibts von den Aeronauten zu hören. Ein paar mehr ältere Stücke hätten gut getan, aber da die neuen auch super sind, will ich mich da nicht groß beschweren. Als Opener "Maximum Future Investment", dazu ein paar schöne Titel wie "Gutscheine", "Isabelle", "Feuer der Liebe", "Junge Herzen gehen frei" - sehr schön.
Allerdings kam mir der gesamte Auftritt deutlich zu kurz vor. Schade. Eigentlich so einer Band nicht würdig, dass sie heute quasi nur als Vorgruppe fungieren. So fehlten dann auch die großen Gassenhauer wie "Freundin" oder "Countrymusik" - naja. Wat solls.
Spaß macht das alles trotzdem, und die ganze Band wirkt dabei auch noch herrlich gut drauf. Als hätten sie alle vorher ordentlich einen durchgezogen. Gute Laune passt auch prima zur herrlich smoothen Musik der Schaffenhausener.
Instrumente werden auch noch wacker getauscht, ebenso wie das Mikrofon, das Roger zwischendurch übernehmen darf - für das französischsprachige "Patates" oder zur Zugabe das schwizerdütsche "Womunidure".
Jau. Super Auftritt. Hätte gerne noch ein paar mehr Zugaben geben dürfen, aber das lässt anscheinend der Zeitplan nicht zu. Schade. Hat Spaß gemacht! Achja, hier das obligatorische Schlagzeugerfoto.
So, nun aber schließlich die "letzte" Band des Abends: CAPTAIN PLANET! An den Hamburger Indie-Punk-Gesellen ist ja derzeit einfach kein Vorbeikommen. Wobei, hätte es eigentlich voller erwartet heute. Naja. Anscheinend hat die Band auch schonmal vor weniger Zuschauern in Marburg gespielt - als Sänger Arne fragt, wer denn überhaupt noch regelmäßig ins "Krokodil" geht, melden sich gerade mal 6-7 Leute. Höhö.
Eine Band, die große Emotionen schreibt und trotzdem fernab von weinerlichem Emo-Geseiere ist. Da wird geschrien, da werden Finger und Fäuste gereckt, nebenbei bleibt viel Platz für verzückende Gitarrenmelodien und diversen Schabernack auf der Bühne.
Muss ja zugeben, dass ich Captain Planet auf Platte mittlerweile kaum noch höre. Ist irgendwie schon ein wenig anstrengend auf Dauer. Live aber der absolute Wahnsinn, und ich bin regelrecht überrascht, wie viele Texte ich sogar auf Anhieb mitsingen kann, obwohl ewig nicht gehört.
Gibt auch ein schön ausgewogenes Set zu hören. "Ohne Worte", "Walbaby", "Wespenstich", "Rambo", "Spreu vom Weizen", "120 Sachen", "Blattsport", "Baumhaus" - schön, das alles. Und da ich Qualitäten von Bands mittlerweile vermehrt daran messe, dass ich sogar nüchtern bei Konzerten lauthals mitsingen kann, kriegt dieser Auftritt Bestnoten.
Das Publikum rastet auch ordentlich aus, brüllt sich fleißig die Seele ausm Leib und startet sogar sowas wie nen Circle Pit (gähn, mit Sepultura spielen die Captains doch erst morgen). Auf die studentenstadt-angepasste Frage, wer von den Anwesenden denn gerade Diplom, Bachelor, Master oder Doktor schreibt, melden sich immerhin ein paar - viel mehr aber auf die Frage nach dem Abitur. Muss ich jetzt geschockt sein?
Kleine Anekdote von Benni: Der kommt gerade von ner Klassenfahrt mit ner fünften Klasse und musste dort in einer Disco miterleben, wie eine Scharr Kinder mit River Cola wiederholt zu den Atzen und "Das geht ab", äh, abgeht. Sein Kommentar dazu: Die Atzen machen generationenübergreifende Musik und seien schlimmer als Hitler. Große Klasse! Harhar!
Um das zu entkräftigen: Wir wissen ja hoffentlich alle, dass das Wort "Hitler" für Bands, die auf Tour sind, eine gänzlich andere Bedeutung hat. Trotzdem. Großartig.
Unterbrochen wird der Gig gleich mehrfach, weil neue Saiten aufgezogen werden müssen. Nein, nicht sprichwörtlich. Extra dafür haben sie ihren Roadie Beitz dabei, sonst tätig bei Matula. Jau. Muss er also arbeiten, während die Band irgendwie die Zeit überbrückt. Zum Beispiel mit der Umfrage, ob Les Trucs live oder playback gespielt haben. Ergebnis: Unentschieden.
Insgesamt ein überaus unterhaltsamer Auftritt, sowohl von der mehr als eingängigen und mitreißenden Musik her als auch von den Ansagen her. Ne rundum stimmige Band! Und obwohl die vorangegangenen Bands auch alle großartige Auftritte hingelegt haben, der verdiente Headliner heute. Da können sich die Jungs und Mädels vom Bettenhaus wohl mal auf die Schulter klopfen für dieses fantastische Line-Up...
Nach dem Auftritt bleiben wir dann aber doch nicht mehr lange. Irgendwann macht sich ja doch die Woche bemerkbar. Also tschüß. Am nächsten Tag noch lecker Frühstück bei Natalia und Besuch von Snja und Jonathan, in alten Zeiten schwelgen. Anschließend dann innen Zug. Über 5 Stunden Fahrt, dank gesperrter Streckenabschnitte und jeder Menge Schienenersatzverkehr. Aber immerhin der war pünktlich. Oi.