Antillectual, Die Eule im Bart des Judas, All Aboard!, Travels & Trunks, 17.02.2012 in Kamen, Jugendkulturcafé - Bericht von Fö
Antillectual, 17.02.2012 in Kamen
TRAVELS & TRUNKS. Die Demo fand ich schon recht vielversprechend, war demzufolge gespannt auf die Livedarbietung. Mein Eindruck ist dann eher zwiegespalten: Einerseits sind die echt total fähig, die Musik verdammt mitreißend, die Lieder echt stimmig...
Und andererseits klingt das alles wie schon tausendmal von einer anderen Band gehört: Nämlich The Gaslight Anthem. Also ehrlich jetzt, selbst Gaslight klingen nicht so nach Gaslight wie diese Band (danke an Artur für diese Feststellung), und bei wirklich jedem Lied denke ich mir anfangs "na DAS ist jetzt aber ein Cover"...äh, ja, isset dann aber nicht.
Der Sänger wirft später ein, eigentlich hätten sie alles von den Killers geklaut. Hm, lasse ich mal so stehen. Für mich bleibt der Eindruck einer 1:1-Gaslight-Anthem-Kopie bestehen, was echt etwas schade ist, weil mir die Musik an sich ja echt zusagt. Mehr Eigenständigkeit bitte!
Vielleicht solltense einfach die Metalcore-Einflüsse hochschrauben. Der Sänger macht uns darauf aufmerksam, dass sein Schlagzeuger-Bruder morgen mit A Heritage Of Vergil in Werne spielen wird. Süß.
Insgesamt echt okay, der Auftritt. Einige mitgereiste Fans singen sogar fleißig mit, die anderen scheinen ebenfalls angetan, alles schön soweit. Kann man sich ruhig mal geben, die Band. Oder zumindest merken.
Danach: ALL ABOARD! Die haben mir im Vorfeld ganz stolz erzählt, seit 2 Monaten nicht geprobt zu haben, was ich natürlich nur gut heißen kann. Schließlich bin ich als Funktionär ihres Labels vor Ort, da muss die Punkrockkompatibilität ja regelmäßig gecheckt werden. Wer zu oft probt, den schicken wir zu Sony.
Zum Auftritt der Gladbacher lässt sich mal wieder das Übliche schreiben: War geil. Vielleicht etwas zu nüchtern. Das Publikum zeigt sich zumindest einigermaßen interessiert, wobei, so ganz unter uns, die 108 Facebook-Zusagen nicht so wirklich zu sehen sind. Haben die alle nen Internet-Livestream erwartet?
Marius, das Tier am Schlagzeug. So ein Tier, dass alle Drumsets dieser Welt mittlerweile Angst vor ihm haben. Sein eigenes ist ja noch ganz zahm, aber sobald er ein "fremdes" berührt, zerfällt es in seine Einzelteile. Also muss auch heute zwischendurch nochmal nachgeschraubt werden...
Weitere besondere Vorkommnisse? Artur reißt ne Saite. Man merkt, die Band kriegt echt alles kaputt. Immerhin sind sie spontan genug, die sich androhende Saiten-Aufzieh-Pause und tatsächlich vollführte Gitarren-Austausch-Pause mit "Values" zu überbrücken, ein Song der, zumindest am Anfang, auch von einer Gitarre leben kann.
Falls sich jemand dran stört, dass ich zur Musik kaum was schreibe: Pech gehabt. All Aboard! wurden mittlerweile ja schon oft genug auf dieser Seite besprochen und mit watweißichwievielen Bands in einen Topf geworfen. Seit heute haben sie übrigens das klingt-nach-Gaslight-Anthem-Trauma endgültig überwunden, Travels & Trunks sei dank.
Starker Auftritt ansonsten, ihr wisst ja, ich mag die Band. Falls jemand da immer noch kein Ohr riskiert hat: Das gesammelte Hörmaterial der Jungs gibt es jetzt bei Bandcamp zu hören! Aber Online-Streams hören, das machen bestimmt nur Leute, die bei Facebook-Events auf "Teilnehmen" klicken und dann nicht hingehen.
Kleine Anmerkung am Rande: Die Werbemaschinerie läuft auf vollen Touren. Nächsten Freitag Foto-Ausstellung in Berlin über unseren Helden! DAS Kunstevent des Jahres!
Kommen wir zur heimlichen Hauptband des Abends: DIE EULE IM BART DES JUDAS! Ich bin entzückt! Um die künstlerische Darbietung adäquat zu visualisieren, schalte ich meine Kamera in den Verrückte-Band-Modus. Wobei, ich glaub das macht die schon automatisch.
Herrlich verstörende Musik. Hardcorepunk trifft Synthie-Trash. Krach, Lärm, verquirlte Sound-Attacken, unkoordiniertes Geschrei und das implizite Wissen, dass die Musiker genau so klingen wollen. Musik als Chaos und Chaos als Weltbild. Großes Tennis! Klar polarisiert das und nicht Wenige verlassen panisch den Raum, aber wer hier bleibt, bekommt glänzende Augen.
"Kein Lied über 60 Sekunden" scheint das Credo zu lauten, wobei ich denke, dass dies nicht wirklich Konzept ist. Eigentlich denke ich sogar, dass die Band nen Scheiß auf Konzepte gibt. Ein Lied nennt sich "Steckt in dem Arbeitslosen vielleicht ein Kreativer?" (mit Fragezeichen) und Markus kündigt an, dass es in dem Text genau darum geht. Warum kann auf dieser Welt nicht alles so einfach sein?
Irre geil, alles! Die Songs werden vollkommen der Kreativität der Protagonisten unterworfen. Geilste Szene, als Wicke irgendwann fragt, ob er das Lied nicht mit Blastbeats spielen soll. Markus dazu: "Egal, klingt geil". Super ey. Und ich bin noch nicht einmal der einzige Begeisterte hier im Raum.
Durch den Synthie und die geradezu unheimlichen Bass-Effekte kriegt der Sound eine wirklich unverkennbar eigene Note. Feedback ist hier kein Fehler, sondern Bestandteil der Musik. Und nebenbei möchte ich noch erwähnen, dass hier selbstverständlich totale Vollprofis am Werk sind, die sonst in Bands wie Napoleon Dynamite, Katz Kadaver und natürlich Betrunken im Klappstuhl tätig sind. Soviel Namedropping muss sein!
Was soll man dazu noch sagen? Ich bin Fan! Geiler Scheiß! Aber dass die Eulen großartig sein müssen, hatte wohl schon im Vorfeld dieser Zeitungsartikel verdeutlicht. Super Typen!
Okay, zugegeben, die Eule im Bart des Judas passt so ungefähr gar nicht ins Rest-Line-Up. Stört mich nicht, aber anscheinend einige andere - als ANTILLECTUAL anschließend ihr Set beginnen, ist der Raum fast leer. Banausen, ey.
Ja wirklich ey. Ich hätte die Bekanntheit von Antillectual ehrlich gesagt etwas höher eingeschätzt, schließlich touren sie sich brav den Arsch ab, sind tief in der Szene verwurzelt und haben wirklich verdammt gute Platten veröffentlicht. Heute sehe ich sie zum ersten Mal und bin fast ein wenig enttäuscht.
Das musikalische Output von Antillectual kann man sich übrigens hier komplett zur Gemüte führen, und das kann ich jedem nur raten. Ich empfehle das aktuelle Album "Start from Scratch", das steckt voller Hits.
Ich würds mal grob als Melodycore beschreiben, was die Holländer hier abliefern. Skatepunk, Post-Hardcore, wie auch immer. Und der Vergleich mit Propagandhi bezieht sich nicht nur auf die schwer kritischen Texte.
Seit kurzer Zeit haben Antillectual übrigens nen neuen Bassisten, was sich insbesondere in seinen Gesangsparts bemerkbar macht - die wirken noch etwas bemüht. Oder kam mir das nur so vor? Egal.
Ansonsten kommt die Band ziemlich locker rüber. Sänger Willem entschuldigt sich sogar dafür, Ansagen lediglich auf englisch machen können und bedankt sich immer wieder bei den Leuten, die hier geblieben sind. Und bei den anderen Bands, selbst der mit dem komplizierten Namen. Hähä.
"The New Jew" (einer der vielen Hits, harhar) geht raus an den niederländischen Populisten Geert Wilders, verbunden mit der Hoffnung, dieser möge sich schnellstmöglich aus der Politik zurückziehen (man beachte auch den Aufkleber auf der Gitarre). Man merkt, die Band nimmt kein Blatt vor den Mund.