Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen, Raffnix, Fehlschuss, 26.10.2012 in Witten, Treff - Bericht von Fö
Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen, 26.10.2012 in Witten
Soviel zur Vorgeschichte! Fast ebenso aus heiterem Himmel fragt Holdy, ob wir uns die in Witten anschauen wollen. Man ey, Holdy und Witten, das sind natürlich zwei Punkte die man unmöglich ausschlagen kann! Kiki kommt auch mit, in Witten empfangen uns die Stadtführer Härp und David mit gekühltem Witten-Sekt (zu deutsch: lauwarmes Bier) und zeigen uns die Metropole.
So ziemlich alle Sightseeing-Punkte abgeklappert. Also, alle beide. Hier die weltberühmte Illuminaten-Pyramide, okkulten Gerüchten zufolge vereinen sich hier irgendwelche kosmischen Kraftströme. Nicht umsonst wurde Witten früher als Nabel der Welt bezeichnet! Aber nunja, das war früher. Härp bekommt ein seltsames Zittern in der Stimme, als er von früher erzählt.
Witten, Treff. Das ist, so zumindest unser Eindruck, ein komischer Yuppie-Laden, auf modern und hip getrimmt. Wir wundern uns dass es keinen Bubble Tea gibt. Nicht umsonst wird Witten auch als Prenzlauer Berg des Ruhrgebiets bezeichnet. Den Großteil der ersten Band FEHLSCHUSS verpassen wir, während draußen Bier geleert und darüber sinniert wird, wie schön früher auf diesem Parkplatz gesoffen wurde.
Ich sach ma: hm. Hab die ja kürzlich erst beim Bunt statt Braun Open Air gesehen und fand die da eigentlich ganz unterhaltsam. So Funpunk-Deutschpunk, Texte über Saufen, Punk und äh Spaß, und als besonderes Schmankerl ne Geigerin - und hier nen Gastsänger. Text ging ungefähr so: "Es ist schön ein Punk zu sein, shalalalala". [Nachtrag: Offensichtlich ein Cover. Auch das noch.]
Ich dachte ja eigentlich, das wärn son paar Punker-Frischlinge mit ihrer ersten Schülerband. Heute erfahre ich, dass es die Band tatsächlich schon seit etwa 8 Jahren (wenn auch unter anderem Namen) gibt, wodurch sie prompt ihren Welpenschutz-Status bei mir verlieren und ich das Ganze plötzlich gar nicht mehr so unterhaltsam finde. Eher was zum Wegdrehen. Aber dann ist der Auftritt auch schon vorbei.
Nächste Band: RAFFNIX. Wieder Deutschpunk. Wer hat eigentlich dieses Konzert zusammen gebucht? Also, "Keine Zähne..." sind zwar schon irgendwie Punk und das zweifelsfrei auf deutsch, aber ein wenig "Perlen vor die Säue" ist das ja schon. Nicht dass ich was gegen Deutschpunk hätte, oder gegen Säue, oder gegen vielfältige Line-Ups, aber, nunja, ihr wisst schon.
Leicht metallisch angehauchter Deutschpunk mit Akkordeon (hier so halb im Bild), aber aus den Niederlanden kommend, zumindest erzählt man sich das. Spannend. Haben aber leider keinen Akzent beim Singen. Musik ist sogar ganz gut, schön räudig und pogotauglich (was aber am mangelnden Publikum scheitert), und besonders der Akkordeon-Spieler hat ein herrlich ätziges Gesangsorgan.
Jau, nett. Ich glaube, das Schlachtrufe-Shirt trägt der Sänger nicht umsonst. Ist halt durchaus so die Ecke, nicht überragend aber recht kurzweilig, Spaß haben sie auch am Auftritt - aber ohne sich darauf so zu fixieren wie Fehlschuss. Hake ich mal als "okay" ab.
Nu aber! KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN! Nicht nur die Musik ist mal was anderes, auch das Outfit kann alles. Geile Joggingbuchse von Sänger Jochen Gäde! Heute auch das erste Mal, dass ich einen zu hoch hängenden Bass irgendwie cool finde. Kiki wirft ein treffendes Wort ein: Irgendwie nonkonform, die Band. Ja doch.
Auch nonkonform: Schlagzeuger Steffen Frahm wechselt auch zwischendurch mal an die Gitarre und lässt die Beats aus Drumcomputer und Synthie kommen. Witziges Trio. Und sie haben auch noch diese herrliche norddeutsch-schnoddrige Schnauze. Wir erfahren, dass man in Kiel noch mit Walknochen zahlt und müssen uns der Frage einer verunsicherten Band stellen: "Wollt ihr überhaupt noch was hören oder bleibt ihr nur aus Höflichkeit hier?"
Ja, ich glaube ich war wohl nicht der einzige, der das Deutschpunk-Vorprogramm etwas unpassend fand. Sind trotzdem noch einige hier, die der Band ihr Ohr und ganz selten auch mal ihr Tanzbein leihen. An dieser Stelle wärs dann mal angebracht, auf die Musik von KZIMALPP (wie sie ihre Fans liebevoll nennen) zu sprechen zu kommen: Sperrig (das war ungefähr jedes zweite Wort, das Kiki noch sagen konnte).
Irgendwie halt norddeutsche Punk-Melancholie, die Rachut-Schiene und sowas, nur eben ganz anders. Wie Trend ohne nervigen Gesang. Oder genauer: Wie Trend ohne nervigen Gesang wenn sie Neue Deutsche Welle machen und übers Ficken singen. Härp fühlt sich vom musikalischen her teilweise an Fliehende Stürme erinnert. Namedropping: Steffen Frahm war mal bei Graue Zellen.
Schwer zu umschreiben. Aber ich find das irgendwie richtig gut. Hat Melodie, dazu merkwürdig anmutende kryptisch-zynische Texte, und diese Synthie-Sounds dabei sind irgendwie, obwohl so Hintergrundgedödel normalerweise echt scheiße-überflüssig ist, einfach passend. "Keine Zähne..." sind einfach son klarer Fall von "die dürfen das". Die dürfen auch mal absonderlich Tanzen und über Albatrosse singen. Alles kein Ding!
Achja, Songs. Einige ältere Stücke dabei die ich gar nicht kenne - dabei dachte ich, "Postsexuell" sei das Debütalbum. Egal. Ansonsten aber gute Auswahl. Als Opener direkt den Hidden Track "DBDDHKP", großartige Songs auch "Bau eine Kirche draus" oder "OSM 2000". Super Textzeile eines mir unbekannten Stückes: "Black Flag, the Exploited, und keine Ahnung was das alles bedeutet" - warum auch immer, aber das blieb hängen.
"Leb so, dass es alle wissen wollen" ist wohl das eingängigste Stück des Albums, kommt auch live gut rüber. Ich meine, aus den Augenwinkeln beobachtet zu haben, dass sogar mitgesungen wurde. Publikum mittlerweile etwas dezimiert, kaum noch Deutschpunker da. Die wurden wohl vertrieben/irritiert durch den großartigen Spruch "Habt ihr endlich euer 1000-Euro-Scheiß weggeräumt?", nachdem die Vorbands ihr Equipment durch den Raum getragen haben.
Gibt echt ganz gut zu Lachen bei dieser Band. Die verbliebenen Zuschauer sind auch angetan, und so darf die Band noch ne Zugabe geben und danach Plenum mit dem Publikum einberufen - "Ja, also ich fand den Auftritt auch gut". Zusammenfassend: Polarisierend, aber wenn man sich drauf einlässt, dürfte man den Besuch nicht bereuen. Wir hatten unseren Spaß.
Wegen besagter Zugabe (pöh!) verpassen wir übrigens knapp unsere Bahn zurück nach Dortmund und müssen ne ganze Stunde in der ehemaligen Weltmetropole Witten totschlagen. Wir stellen fest, dass in jedem zweiten Haus ein Spielcasino ist und es hier Hunde mit Bahncard gibt. Mehr gibt's eigentlich nicht zu sagen. Sollte aber für die Nachwelt festgehalten werden.