Baltikum-Trip Teil 2: Riga, Kemeri Nationalpark, Konzert (Ulda un Inta), 01.06.2013 - 02.06.2013 in Riga (LV), Leningrad - Bericht von Fö
Baltikum-Trip Teil 2, 01.06.2013 - 02.06.2013 in Riga (LV)
Ankunft am frühen Nachmittag bei strahlendem Sonnenschein. Lässt sich aushalten. Als Riga-Erfahrener führe ich die Gruppe wohlbehalten zum Hostel unserer Wahl. Und angesichts der relativ glatten Straßenbeläge bin ich heute doch mal ein klein wenig neidisch auf die Rollkoffer meiner Mitreisenden. Aber nur ein klein wenig. Uncool sind sie ja trotzdem, und überaus lästig auf Treppen oder unwegsamen Gelände sowieso.
Mit einer mittlerweile auf 6 Personen angewachsenen Urlaubstruppe zu reisen, erfordert natürlich mancherlei Kompromisse, aber umso mehr feste Regeln, denen sich das Gruppengefüge unterwerfen muss. Eine davon ist der Strafschnaps, der stets zu trinken ist, wenn die Moralklingel ertönt - und das tut sie diesmal, weil wir Gruppenmitglied 6 alleine im Hostel in Vilnius gelassen haben, als wir heute morgen zum Bus marschiert sind. Er muss aber auch einen trinken - weil er nicht mit uns zum Bus marschiert ist. Kipp.
Achja, Unterkunft unserer Wahl: das Tiger Hostel. Hatten wir im letzten Jahr auch schon, die Tiger- und Leopardenbettwäsche habe ich noch gut in Erinnerung. Unser Highlight diesmal ist aber die Rezeptionistin, die mit ihrer Kälte sämtliche Sonnenstrahlen vergessen lässt und ihre Gäste mit Blicken mustert, die abschätziger nicht sein könnten. Großartig!
Erstmal durch die Stadt ziehen. Die kenne ich ja eigentlich schon, zumindest das Zentrum, also schließe ich mich freudig dem Vorschlag an, doch einfach per Tretboot durch den Kanal zu fahren, Dosenbier zu trinken und Casanovas Schwule Seite aus mitgebrachten Boxen zu hören. Achja: Alkohol in der Öffentlichkeit trinken ist auch hier verboten, wird aber nicht ganz so rigide verfolgt wie in Litauen - aber auf dem Wasser fühlen wir uns eh sicher vor Zugriff durch Obrigkeiten.
Wir sind ja sowieso illegal as fuck. Ist nämlich nur auf 4 Personen zugelassen, unser Tretboot. Wir kriminellen Genies, wir. Mit ordentlich Tiefgang schippern wir durch den Kanal, vorbei an schönen Brunnen samt Regenbögen, vorbei an neidischen Touristen und der einen oder anderen Sehenswürdigkeit.
Abends dann schließlich wat essen gehen (in der Altstadt nicht gerade günstig, aber für uns Westler auch nicht übertrieben teuer) und die Dämmerung gemütlich an der Düna genießen. Könnt schlimmer sein!
Bisschen Street-"Art". Könnte eine politische Botschaft sein, und sei es auch nur bildungspolitisch - ist uns aber zu platt.
Konzerttechnisch ist heute auch wieder einiges. Die gestern begutachteten "I Know" spielen heute in Riga, aber wir wollen ja nicht als Groupies erscheinen. Zum Slayer-Memorial-Konzert mit 5 Thrash-Death-Metal-Bands lässt sich kein Gruppenkonsens finden, also ab in die russische Kneipe "Leningrad". Wie die Vorab-Recherchen ergaben, heute mit Livemusik von "Ulda un Inta"
Angekündigt wurden die beiden als Ska-Reggae-Pop. Und, äh, naja. Keyboard und Akustikgitarre...ich will direkt wieder umkehren, aber da hat 3 (unser Quotenrusse) bereits ne Ladung Pivo bestellt. Auf Lettisch heißt Bier übrigens "Alus" - aber russisch ist im Baltikum weit verbreitet, wenn auch nicht unbedingt beliebt. Trotzdem muss öfter unser Quotenrusse die Konversation übernehmen, wodurch auch wir anderen bald mehr Wörter russisch als lettisch in unseren Sprachschatz aufgenommen haben. Mist.
Die Bar selbst - tjoah. Stellt euch ne rustikale Kneipe vor, die komplett holzvertälert daher kommt, in der es zum Bier nen Pott Sauerkraut gibt, die Kellnerinnen Dirndls und die Kellner Ledertrachten tragen, in der durchgehend Blasmusik läuft und man mit Hitlergruß empfangen wird - und die auf den Namen, sagen wir mal, "Hamburg" hört. So ungefähr, nur eben mit russischen Klischees vollgestopft, ist das "Leningrad". 5 stellt die Theorie auf, dass man sich hier eigentlich über Russen lustig macht und dass hier alles ironisch gemeint ist.
Wie auch immer. Vermutlich steckt hier doch weniger Ironie drin als es den Anschein macht. Zurück zur musikalischen Darbietung: Naja. Was halt aus Keyboard, Akustikgitarre und ein paar russischen Volksweisen rauszuholen ist. Gibt auch ein paar Coversongs zu hören, natürlich mit verrrussischten Texten. In Erinnerung geblieben ist mir "Mr. Bobby" von Manu Chao - puh, da wär mir das Original ungefähr zig Tausend mal lieber gewesen...
Dafür dreht 5 so richtig auf, tanzt sich da vorne einen weg, brüllt Zugaben, klatscht und wedelt mit den Armen - au Backe. Ich würde mich am liebsten unter den Tisch oder, noch besser, beim nächsten Metal-Konzert verkriechen, so viel Fremdscham tut dem Gruppengefüge nun wirklich nicht gut. Als er sich am Ende sogar noch ein Autogramm der Band holt, hoffe ich nur noch, dass er lediglich das mit der Ironie auf die Spitze treiben wollte...aua aua.
Wir verlagern unseren Standort vor die Kneipe. Hier fahren manchmal Motorradgangs oder Bullenwagen Streife, ansonsten lässt sich aber auch hier das Bier genießen. 3 und 5 kriegen von reichen Russen Bier ausgegeben (also, sie kriegen Geld, womit sie sich ihr Bier holen können), wir anderen kriegen von einer jungen Einheimischen mitgeteilt, auf welche Pornos sie steht und wie viele Drinks man lettischen Mädchen ausgeben muss, damit sie zu einem ins Bett steigen. Ziemlich verrückt, dieses Riga.
Weniger verrückt geht es hoffentlich außerhalb der Hauptstadt zu...am nächsten Morgen besteigen wir den Zug zum Ķemeri Nationalpark. Liegt ein paar Stationen hinter Majori, was der Ausgangspunkt für die beliebte Strandregion von Jūrmala ist - aber als Anti-Touristen entscheiden wir uns primär fürs Grüne. Strand und Meer überlassen wir den Oligarchen. Etwa ne Stunde Zugfahrt, die wir uns unterhaltsam gestalten durch Lesungen aus dem Fürstenroman und Dosenbier aus Kotztüten (zur Tarnung, ihr wisst).
Angekommen in Kemeri, müssen wir zunächst den Weg zur Touristeninformation finden. Im Nachhinein wäre wohl die Miete eines Fahrrades empfehlenswert, da man quer durch den Ort muss - aber dann hätten wir einen älteren Herren in einer der Seitenstraßen verpasst, der uns (auf russisch) einiges über das Gebiet erzählt, eine Wegbeschreibung zeichnet und uns selbstgepanschten Wein sowie ein ausnahmsweise sogar mal wirkungsvolles Antimückenspray verkauft. Guter Mann!
Unter anderem schickte er uns auch zu einer Quelle im Sanatoriums-Park. Angeblich soll man sich um 10 Jahre verjüngen, wenn man sich mit dem Wasser das Gesicht wäscht. Wir wagen den Versuch, obwohl das Wasser abgrundtief nach faulen Eiern stinkt. Aber Schwefel ist ja gesund. Und irgendwie müssen wir der Wirkung des Weines zuvorkommen, der uns bestimmt um 10 Jahre ältern lassen wird...
Erwähnenswert wäre da vielleicht noch der Typ, der uns zunächst als Deutsche erkennt und dann lächelnd den Hitlergruß ausfährt, entsprechende verbale Äußerung inklusive. Oder der Typ, der uns um Geld anbettelt, um seinen vermutlich schon vor 30 Jahren amputierten Arm im Krankenhaus behandeln zu lassen. Erwähnte ich schon, dass sich hier mal ein Sanatorium befand? Naja, egal. Immer noch hier: Schlangen, tot und lebendig.
Die nette Dame an der Touri-Info kann mit diversen Plänen aushelfen, außerdem mit der Informationen, dass fast alle Routen durch den Nationalpark nicht nur gesperrt, sondern auch unmöglich zu gehen seien - bis auf eine. Und die nehmen wir. Netter Weg inklusive Trimm-Möglichkeiten für die sportliche Jugend von heute.
Auch sportlich: Die hiesigen Mücken haben uns im Nu belagert. Aber NOCH haben wir das Mückenspray unseres Lieblingswinzers, das im Gegensatz zu unserem aus Deutschland importierten tatsächlich hilft. Leider geht die kleine Dose auf dem Rückweg zur Neige...aber mir ist das alles egal. NOCH gibt es kein Dengue-Fieber in Lettland. Harhar!
Weiter über den Pfad und durch die grüne Natur. Mehr als schön hier, und trotzdem lassen sich die Menschen, die uns hier begegnen, an einer Hand abzählen. Umso überlaufener dürften dann wohl die Strände sein. Wir sind ganz froh über unsere Entscheidung, lieber den Gang ins Grüne gewagt zu haben...
Irgendwann wird es etwas lichter, die Mücken werden weniger und der Wein leckerer, und die ersten Ausläufer vom Slokas-See kommen in Sichtweite. Hier begegnen uns auch erstmals andere Leute - vermutlich, weil man bis zum See auch mit dem Auto fahren kann.
Am See gibt es nen Aussichtsturm, über ne Pontonbrücke erreichbar. Hier kann man mal eben den kompletten See überblicken und sich Gedanken machen, ob man in dieses Dreckwasser da wirklich reinspringen will. Verboten scheint das nicht zu sein - aber wer macht das schon freiwillig?
So sieht das dann aus. Schwarzes Moorwasser und Schwefelgestank. Algen, Schlick und sonstige undefinierbare Bestandteile säumen den Boden dieses Gewässers. Aber soll ja gesund sein.
Irgendwann machen wir uns dann aber doch auf den Rückweg. Davon, für die Rückfahrt den Bus zu nutzen, hat uns die Dame in der Touristeninformation abgeraten...was sie uns aber verschwiegen hat: Wir hätten auch den schöneren Weg nach Kūdra nehmen können und dort in die Bahn steigen. Kemeri kennen wir nun schon, können uns aber immerhin beim Winzer nochmal für den Wein bedanken. Und kurz ausruhen.
Zurück in Riga, feiern wir unsere Heimkehr im Slow-Fastfood-Restaurant unserer Wahl (Cili Pica), bevor wir uns aufmachen für ne weitere Runde Sightseeing bei Nacht. Weit kommen wir nicht, denn der Weg führt uns am Kanal vorbei...
Und dort locken wieder die Tretboote, die man sogar spät abends noch mieten kann. Also rein da und auch mal im Dunkeln durch die Stadt schippern. Nicht ganz so spektakulär, aber man muss ja alles mal mitgemacht haben. Anschließend im Hostel die restlichen Getränke vernichten, morgen früh geht's zurück nach Deutschland...