Aerosmith, Walking Papers, 09.06.2014 in Berlin, O2 World - Bericht von Philriss
Aerosmith, 09.06.2014 in Berlin
Laut dem Ticket war bereits um 18 Uhr Einlass, weswegen ich mich um beinahe halb 8 auch nicht wunder, dass die Vorband bereits kurz vor ihren Schlussakkorden liegt. Walking Papers haben netterweise ihren Namen so groß auf die Leinwand projiziert, dass ich niemanden fragen muss, wie die denn heißen.
Was ich da höre gefällt allerdings sehr! Nach einem schnellen Check im World Wide Web weiß ich inzwischen, dass die Band aus Seattle kommt, Rock spielt und niemand geringeres als Duff McKagan dort Bass spielt. Also, der von Guns'n'Roses. Die sollte ich mir unbedingt zu Gemüt führen.
Nach nur eineinhalb Songs, die ich mitbekommen kann, gibt es erstmal eine Umbau-/Pinkel-/Bierholpause, die exzessiv genutzt wird. Das Publikum heute Abend ist sehr durchmischt: viele Ältere (Ü50), viele Jüngere (U25) und dazwischen sind auch einige da. An und für sich hatte ich mich eigentlich auf einen Abend eingestellt, an dem ich altertechnisch zu einer Minderheit gehören würde. Weit gefehlt...
Nach einem etwas zu langen Rapintro kommt irgendwann endlich ein wenig Bewegung in die Geschichte. Erst werden auf der riesigen Leinwand verschiedene Videos gezeigt, bevor diese in Liveaufnahmen aus dem Backstagebereich übergehen. Was auffällt: jeder der fünf Musiker braucht seine eigene Garderobe und alle sind natürlich grundverschieden eingerichtet. In der von Drummer Joey Kramer steht nur ein Colaautomat, in der von Steven Tyler ein begehbarer Kleiderschrank und ein gefühltes Dutzend Visagisten.
Aber die Schminke hat sich gelohnt. Er sieht bei weitem nicht so aus, als wäre er bereits 66. Außerdem hat er sich einen Schnurbart stehen lassen, der ihn und Justin Hawkins von The Darkness zum Verwechseln ähnlich werden lässt. Dazu kommt natürlich, dass er seine Moves immer noch drauf hat. Maroon 5 singen von Jagger, dabei ist Tyler eigentlich viel ästhetischer...
In der Mitte der Bühne gibt es einen langen Steg, über den meist Steven Tyler stolziert, um sich dann jeweils einer der beiden Seiten zu widmen und diese mit seinem Gesang anzuschmachten. Die jungen Mädels um mich herum sind hin und weg! Manchmal kommt auch Joe Perry nach vorne und legt dann ganz locker ein Solo hin. Einfach so aus dem Handgelenk.
Brad Whitford und Tom Hamilton bleiben meistens im hinteren Teil des Bühnenkomplexes. So hat Tyler nicht nur mehr Platz, um seinen Mikroständer zu schwingen, sondern es fällt auch nicht allzu sehr auf, dass sie sich eigentlich kaum bewegen. Mal laufen sie nach rechts, dann wieder nach links. Viel mehr scheint nicht mehr drin zu sein. Whitford kleidet sich inzwischen auch wie ein Mann gesetzterem Alters. Sobald Steven Tyler neben ihm steht, sieht es beinahe wie Vater und Sohn aus - dabei ist Whitford vier Jahre jünger!
Zwischenzeitlich bekomme ich es dann trotz aller Widrigkeiten doch mal hin, ein Foto von Steven Tyler zu machen, bei dem er sich leicht gebeugt die Hüfte hält. Das machte er nämlich andauernd, doch entweder war ein Arm oder ein Kopf im Weg, oder er hatte sich bereits wieder umgedreht als ich endlich meine Kamera in der Hand hatte. Erst vermutete ich, dass er vielleicht doch sein Alter merkt und sich so klangheimlich abstützt. Dann dachte ich mich daran zu erinnern, dass das irgendwie sein "Markenzeichen-Move" wäre und er diesen deswegen umso häufiger performen müsse. Schlussendlich musste ich aber einsehen, dass sich an der Stelle einfach nur der Empfänger für sein In-Ear-Monitoring befand und er diesen immer wieder korrigiert.
Irgendwann wird es dann romantisch: "I don't want to miss a thing" wird frenetisch von dem ansonsten beinahe teilnahmslos wirkenden Publikum mitgesungen. Dabei werden immer wieder sich innig umarmende Menschen aus dem Publikum auf der Leinwand eingeblendet. Süß.
Joa, Songs. Waren natürlich alle Hits dabei: "Cryin", "Crazy", "Jaded", "Livin on the Edge", "Janies got a Gun", "Walk this Way" und was es sonst noch so gibt. Eins A Glamrock, bei der selbst Steven Tylers Spandex nicht daneben wirkt. Zwischenzeitlich bin ich wirklich überrascht, was für eine Fülle an großartigen Songs geboten wird.
Für die Zugabe haben sich Aerosmith dann noch ein ganz besonderes Extra aufgehoben: Sie spielen "Dream On" mit Steven Tyler am weißen Flügel, auf dem erst Joe Perry sein Gitarrensolo zum Besten gibt und anschließend er selbst wieder mal seinen Mikroständer schwingt.
Zum Schluss noch ein bisschen Rauch und Konfetti. Dann ist der Spaß vorbei. Fazit: irgendwie bombastisch fett, vor allem weil man so etwas so alten Männern gar nicht mehr zugetraut hätte. Die Videoinstallation war auch gar nicht ohne, obwohl ich anfangs das Schlimmste vermutet hatte. Nachdem die Band dann aber auf der Bühne steht, wird diese glücklicherweise zu einem schönen Support der ganzen Show, mit gut abgestimmten Effekten, schönen Einspielern und einer klasse Regie. Nur vom Publikum bin ich nicht so wirklich überzeugt.