Christian Steiffen, 26.11.2015 in Essen, Zeche Carl - Bericht von der Redaktion
Christian Steiffen, 26.11.2015 in Essen
Eigentlich wollte ich den Konzertbericht mit ner ganz anderen Einleitung beginnen und so Maks-mäßig über meine altersbedingten körperlichen und geistigen Verfälle jammern. Aber Schlagerkonzerte sind eigentlich immer ne gute Gelegenheit, um sich zu erden und festzustellen, dass es Leute gibt, die noch viel verfallener sind als man selbst.
Stimmt! Du baust (wie wir alle!) wirklich stark ab. Sogar die Tickets hast du zu Hause vergessen. Zum Glück gibt es ja moderne Technik und Schlossi respektive Coco drucken diese schnell noch einmal für uns aus. Wenn man mit seiner Umwelt und der Menschheit im Allgemeinen eh nicht zufrieden ist, geht man halt auf Schlagerkonzerte und stellt dann beim Anblick des Publikums fest: Es ist alles noch viel schlimmer als angenommen!
Meine Fresse, was seid ihr denn so negativ? Ich hatte gerade Kaffee, eine leckere Kürbissuppe, nette Gesellschaft und drei Haselnussschnaps und bin bestens gelaunt, als ich an der Zeche Carl ankomme. Eigentlich hatte ich mir ja nicht vorgenommen, dieses Konzert zu besuchen - den guten Herrn Steiffen einfach schon einige Male dieses Jahr gesehen, ich will meine Musiksynapsen ja nicht überfordern. Aber nachdem unsere
Ein Mann wie er im Buche steht. Die Christianisierung hat mich ja spätestens seit seinem Auftritt auf unserem schönen Festival erreicht. Nur warum auch noch so viele andere Menschen?
Ein Mann, wie er im Buche steht??? Was hast du in letzter Zeit so gelesen? "Im Bann des stürmischen Eroberers"? "Die Lady und ihr geliebter Schuft"? Wie gut dass du hier bist! Christian Steiffen verzaubert mit seinem Antlitz das ergebene Publikum und sämtliche Sorgen sind vergessen. Keine Vorband, was ich immer etwas schade finde, aber andererseits bleibt so einfach mehr Zeit für den Meister.
Dies gelingt mir leider nicht immer. Schade, dass man die feinsinnige Ironie der Steiffenschen Klänge mit einer Horde Ballermann-Idioten teilen muss. Aber wie der Meister selbst anmerkt: "Familie und Publikum kann man sich nicht aussuchen" Herr Steiffen wie immer eine Augen-, Ohren- und ganz allgemein Sinnesweide, daran hat auch die Charts-Platzierung nichts geändert. Zu Beginn des Konzertes versuche ich, mir den geübten Großveranstaltungs-Tunnelblick anzueignen: Bloß nicht aufs sonstige Publikum achten!
Ach, Michaela...wärst du doch in Düsseldorf geblieben. Oder wo auch immer. Ich finde das wirklich schlimm. Die hier anwesenden Leute wissen die tiefe Emoción, die Christian in seine Texte und die Musik packt, gar nicht zu schätzen. Alles, was die wollen ist Sexualverkehr. Leider klappt das mit dem Tunnelblick nicht so, denn direkt vor dem Künstler steht eines dieser Subjekte, die mir solcherlei Konzerterlebnisse immer gerne vermiesen. Dessen Ausfallschritte scheinen scheinen nicht nur ausfallend, sondern auch auffallend zu sein, so dass er sogar vom Chansonnier selbst ermahnt wird.
Nein! Du hast absolut Recht! Sein "normales" Publikum würde sich halt auch bei Tim Toupet, dem Wendler und ähnlicher Geschmacksverirrung wohl fühlen.
Wie heißt es bei ...BUT ALIVE doch so schön? "Keinen dieser Menschen, die im Publikum stehen, willst du kennen." Genau. Und ne Polonaise will ich mit denen schon gar nicht machen. Ich bemühe mich trotzdem, Publikum Publikum sein zu lassen. Ich bin ja schließlich nicht hier, um mich über Ballermann-Prolls aufzuregen. Aber im Laufe des Konzertes fällt dann doch der Entschluss, Herrn Steiffen ab sofort nur noch auf erträglichen Events zu besuchen. Sowas wie Ruhrpott Rodeo oder Wilwarin, wo die Leute nett und rücksichtsvoll sind. Ich Hippie!
Das neue Album hat bei mir noch nicht so ganz gezündet. Etwas zu platt, bzw. die ganz großen Hits fehlen mir da einfach noch. Obwohl Herr S. es natürlich perfekt versteht, die Längen bei einem 2-Stunden-Konzert geschickt zu übertünchen. Die Ansagen alleine sind schon den Eintritt wert.
Nicht unerwähnt bleiben soll auch das spontane DANZIG...äh ELVIS-Cover "Trouble". Wahrhaft königlich.
Ich bin für eine Reunion von Reverend Hardy Hardon. Zur Show selbst: Herrlich! Tolle Mischung aus beiden Alben, und auch die neuen Songs werden gebührend aufgenommen. Insgesamt dauerte das Konzert ganze 2 Stunden und wurde nicht eine Sekunde langweilig! Altbekannte Showelemente und Ansagen, aber natürlich auch viel Neues und das bewährte Flirten mit dem Publikum - ein Traum. Auch der Stylesheriff wäre erfreut, der Lederhandschuh (hoffentlich vegan) unterstreicht die rebellische Ader des Barden.
Zu "Die dicksten Eier der Welt" packt unser Christian gar die Akustikgitarre aus! Ich mag zwar eigentlich keine Akustikgitarren, aber immer noch besser als gar keine. Oh, ich muss doch noch was zum Publikum loswerden: Ausgerechnet bei diesem Song steht ganz vorne ein Typ, der sich noch extra breit macht und seine Arme theatralisch zu den Seiten streckt, was so einigen hinter ihm die Sicht versperrt. Mr. Rücksichtslos in Person! Wahrscheinlich ist das "sein" Song und er hat lediglich den Text etwas fehlinterpretiert.
Das Geile bei solchen Veranstaltungen: ich kann meine Sozialstudie noch weiter vorantreiben und über die Schultern meiner Nebenmänner und -frauen linsen, wie sie in sozialen Netzwerken verkehren und damit angeben, bei einem Konzert zu sein, von dem sie aber nichts mitkriegen, weil sie ja mit Angeben beschäftigt sind. Oder sie machen Videos von der Decke, weil sie beim Filmen so betrunken sind, dass sie ständig mit dem Oberkörper nach hinten kippen. Positiv erstaunt bin ich, als sich irgendwann zwischen den vielen erhobenen Smartphone-Displays auch ein einsames Feuerzeug erhebt. Da hat ja echt noch jemand Sinn für Romantik! Oder er wollte seinen Nebenmann anzünden. Was ja auch nicht so verkehrt sein kann.
Der eine Euro Becherpfand scheint denen aber egal zu sein und so hab ich meinen Eintritt fast wieder raus :D.
So. Und damit nicht nur über's Publikum gelästert wird, jetzt mal was Positives. Und zwar in Gestalt der jungen Dame da auf dem Bild. Die trällert sich nämlich sehr souverän an der Seite von Herrn Steiffen durch "Du und ich". Zwar nur Vollplayback, aber von der Perfomance ganz weit vorn. Du hast die "Gruppenselfie-Fraktion" vergessen: Hey, guckt mal, ich bin auf nem Konzert am Donnerstag und kann saufen, weil ich mir Freitag extra frei genommen habe. Diese Rebellen schaden doch nur der deutschen Wirtschaft, weil sie einfach zu wenig arbeiten gehen. Obwohl....dafür kaufen sie ja genug teures Bier (für die Statistik 0,25 L. für 2,50 Euro plus Becherpfand..)
Trotz der Begleitumstände (mit denen man ja im Vorfeld bereits rechnen durfte) ist das Konzert natürlich wie immer super. Entertainment der Spitzenklasse, gespickt mit feinsinniger Ironie und Sarkasmus wie man ihn lieben muss. Bei "Selbstmitleid" beglückwünsche ich alle Anwesenden und den Rest diese kaputten Landes. Eine Hymne an die deutsche Gesellschaft 2.0.
Richtig. Und gediegene Robbie-Williams-Stimmung äußert sich NICHT, ich wiederhole NICHT und gerne nochmal, NICHT im besoffenen Grölen des "Seven Nation Army"-Gitarrenriffs.
Das original Haseland-Orchester reagiert zumindest souverän und rezitiert die ersten Zeilen des besagten Liedes. Aber wahrscheinlich wissen 90% der Gröler überhaupt nicht, dass das Lied überhaupt Text jenseits von "Dödödö" hat. Und, dass das Lied nicht von Scooter ist. Zur Zugabe gibt's Stadionrock. Zumindest von Seiten des Publikums, die Fußballatmosphäre mit Clubkonzerten verwechseln. Der Meister himself wünscht sich da eher gediegene Robbie-Williams-Stimmung.
Was ich heute vermisse: Die goldene Himmelstrompete von Dr. Martin Haseland. Aber bei 2 Stunden Programm kann man nicht meckern. Setabweichungen gab es dann aber auch noch, in Form von "Champagner und Kaviar" oder auch "So leb dein Leben", das wohl auf dieser Tour bisher noch gar nicht geboten wurde. Achja, was soll ich noch sagen...Menschen nerven.
Fazit? Gerne! Wohl mein letztes Konzert (von Festivals ggf mal abgesehen) des Herrn Steiffen. Publikum und Eintritt sind seitens meiner Toleranzgrenze nur noch schwer zu akzeptieren und die immer wieder amüsante Show kann diese beiden Faktoren leider nur noch bedingt kaschieren. Ich verneige mich in Demut vor dem Gott der guten Unterhaltung und sage leise Servus!