Dortmund Calling: Kickstern, Snobs, 4spurig, The Roughtones, Me And Utopia, Formosa, Vice Atlantic, 18.02.2017 in Dortmund, Domicil - Bericht von Fö & Zwen
Dortmund Calling Finale, 18.02.2017 in Dortmund
Moment, Moment, Moment! Das klingt jetzt so als hätte ich den kompletten Auftritt von 4SPURIG gesehen. In Wahrheit bin ich aber gerade mal fünf Minuten vor dir ins Domicil gestolpert und bekomme somit nur noch die letzten beiden Songs mit. So schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe, ist das hier ja gar nicht. Zu hören gibt es Pop mit ein bisschen Sprechgesang und extremst einstudierter Bühnenshow. Sicherlich nicht meins, aber ich bin sicher, dass sie das heute gewinnen. Übrigens ist das Domicil wirklich richtig voll. Krass!
Zweite Band des Abends: KICKSTERN! Die gibt's ja mittlerweile auch schon seit knapp 15 Jahren, mal mehr mal weniger aktiv. Und alle Jubeljahre schaue ich sie mir mal an und finde sie "besser als erwartet".
Heute wird die ganz große Show rausgehauen! Richtig tief in die Trickkiste gegriffen! Man muss ja bei so nem Contest irgendwie aus der Masse hervorstechen. Also warum nicht einfach Konfettikanonen mitbringen, die gibt es doch zur Karnevalszeit eh an jeder Straßenecke! Also werden zwei Freiwillige aus dem Publikum gesucht, die die Konfettikanonen abfeuern. Es finden sich dann auch ungefähr anderthalb Leute, die bereit sind für ein wenig Mitmache.
So, nochmal kurz in die Trickkiste geschaut, was haben wir denn da? Karnickel - nee, da meckern die Veganerfreundinnen. Gezinkte Karten? Nee, bloß keinen Ärger mit der Glücksspielkontrolle. Ahh, da, ne Zwille! Waffen sind geil, kann man immer bringen. Und Falschgeld wär auch noch da! Daran stört sich doch keiner. Also schießt Sänger Jörg ein paar Geldscheine ins Publikum, die mit den Konterfeis der Band versehen sind. Blöd nur, dass es D-Mark-Scheine sind, die kennt so ein Newcomer-Contest-Publikum doch gar nicht mehr, oder?
"Bemüht" ist das richtige Wort. Auf mich kommt das Ganze irgendwie so rüber, als hätte man einem Studenten gesagt, er solle doch seinen Vortrag noch etwas aufpeppen, worauf dieser noch irgendwelche verpixelten Animationen zwischen die Folien quetscht und zu Beginn erstmal einen schlechten Witz erzählt. Hart bemüht, aber einfach nicht gekonnt. Jetzt hab ich noch gar nix zur Musik geschrieben! Abgesehen von den etwas bemüht wirkenden Showeinlagen find ich das sogar ganz ordentlich, was die machen. Immer noch deutschsprachiger Alternative, aber mit ordentlich Druck dahinter. Kann man bringen.
Tipp: Öfter sehen und mit wenigen Erwartungen rangehen. Dann geht's erstaunlich gut rein! Musikalisch finde ich es übrigens okay bis langweilig. Habe die Band auch zuvor noch nie gesehen. Ist halt Rock, ohne Höhen und Tiefen.
Immerhin gibt mir Sänger und Gitarrist Jörg ein abschreckendes Beispiel für meine eigene musikalische Karriere: Als er nämlich das Mikro in die Hand nimmt, seine Gitarre noch umhängen hat und dann beginnt rumzuhopsen. Ein Bild, welches sich sofort in meine Netzhaut einbrennt und auch jetzt noch lebendig vor meinem Auge auf und ab tänzelt.
Audiospace von vor zwei Jahren denken. Dann legen FORMOSA los und beweisen mir, dass meine Vorbehalte völlig ungerechtfertigt sind.
Als nächstes betreten dann drei Musiker mit Halstuch am Hosenbund und eingenähtem Leopardenmustern an Hemdkragen und Brusttasche die Bühne. Mir schwant Übles, muss ich doch unwillkürlich an den Auftritt von
Durchaus ganz cool! Wer mit leopardenfellbemustertem Jackett auftritt, dem verzeiht man gerne einen Titel wie "Sorry for being sexy". Outfit und Makeup des Sängers erinnert mich übrigens etwas an Herrn Honolulu Silver, deswegen bin ich während des Auftritts leicht nostalgisch getrimmt. Tatsächlich gibt es sehr eingängige und mit einer Menge Spaß vorgetragene Rockmusik mit einem sehr hohen Glamanteil.
Tiefpunkt: So eine Hinsetzen-und-Aufspringen-Aktion. Aber ohne Publikumsinteraktion braucht man bei einem Newcomer-Contest heutzutage wohl gar nicht mehr anzutreten. Wenigstens ist das Foto nix geworden.
Kann man echt alles bringen! Die Band schafft es irgendwie, sehr grazil auf dem schmalen Grat des Rock'n'Roll-Klischees rumzustampfen, ohne dabei zu stumpf rüber zu kommen. Spätestens als der Drummer aufsteht und uns stolz seine kurze Leo-Short präsentiert, weiß ich, dass hier eine Band vor uns steht, die mit einem Augenzwinkern spielt.
hier mal rein zu hören.
Ich würde jetzt sogar so weit gehen und sagen, dass sie meine persönlichen Gewinner sind. Während des Auftritts muss ich doch sehr häufig schmunzeln und die gute Laune auf der Bühne schwappt auf mich über. Wer also auf Glamrock und Hardrock steht, dem kann ich nur empfehlen
Ich denke eher an ne härtere Version von Blackmail mit nem Hauch frühe Linkin' Park und hohem Postcore-Anteil. Irgendwie find ich das gut. Obwohl Linkin' Park ganz schlimme Musik machen und schon immer machten. So um die Jahrtausendwende hätten Vice Atlantic bestimmt so einige Placebo-Fans in den Moshpit gebracht, heute wirkt das schon fast retro. Danach folgen VICE ATLANTIC. Die sind zu dritt und machen dieses Künstlergeklimper mit langatmigen Instrumentals und ab und an mal auch einem Part, wo sich das Ganze anhebt um dann wieder abzuflauen, absolut nicht meine Baustelle. Klingt für mich alles wie Bilderbuch oder Turbostaat.
Ich finde das gut so. Wer auf Rockkonzerten Alkohol trinkt, gehört rausgeschmissen. Meine Aufmerksamkeit wird dann auch schnell von der Bühne weg in Richtung von zwei Typen gezogen, die sich, vor lauter Freude über die Musik, in den Armen liegen und dann getragen auf einer Welle von Ekstase zu Boden fallen lassen. Dabei geht leider ein Pfandbecher zu Bruch. Ein Security hat die Aktion mitbekommen und eilt zur Hilfe, aber zu spät, der Patient ist tot. Der Herr in der schwarzen Jacke tut nun das einzig richtige und schmeißt die beiden Gestalten raus. Natürlich nicht ohne eine kleine Träne wegen des Pfandbechers zu verdrücken. Cool, ich hatte ja darauf gehofft heute den ein oder anderen Rausschmiss zu sehen, dachte aber, dass das Publikum heute einfach zu gesittet ist. Danke Domizil!
Die Band hingegen klammert sich angenehm zurückhaltend an die Instrumente und kommt nahezu ohne Aufforderung zum Mitklatschen, Hochspringen, Topfschlagen und Hampelmannmachen aus. Das gefällt mir. Machen halt ihr Ding.
Die einzige Effekthascherei entsteht durch einen Beamer, der winzige und so gut wie gar nicht zu erkennende Filmchen auf den Vorhang hinter dem Bassisten projiziert. Leider ging das Spektakel auch wieder viel zu schnell zu Ende und ich kann mich wieder nur an die Band klammern...
SNOBS! Endlich, die haben mir damals beim Vorentscheid wirklich sehr gut gefallen. Es gibt einfach ordentlichen Rock'n'Roll völlig ohne Peinlichkeiten.
Definitiv! Alleine durch die Keyboard-Untermalung fand ich den Auftritt sogar noch ne Spur besser als beim Vorentscheid. Heute gibt es Verstärkung am Piano. Dieses ist zwar jetzt nicht wirklich dominant, bietet aber dafür eine dezente und sehr angenehme Untermalung der Songs.
Wie kann man nur so arschcool sein? Bei den SNOBS sitzt jeder Move, und wenn ein Move mal doch nicht sitzt, dann macht es sie nur menschlich. Gitarrist Chris "Chewie" van Helsing hat heute übrigens Geburtstag. Das ist auch sehr menschlich.
Das hören die bestimmt nicht gerne, das mit dem Alter. Rock'n'Roller sind doch eitel, oder? Wie schon beim Vorentscheid haben die Snobs hier wieder alles richtig gemacht. Schöner Rock'n'Roll wie es sich für Herren in dem Alter gehört.
Als letzte Band mit Konkurrenz dürfen dann noch ME AND UTOPIA auf die Bühne. Als ich auf die Uhr schaue ist es gerade halb zwölf. Respekt! Sechs Bands in vier Stunden!
Die Protagonisten auf der Bühne gefallen mir zumindest besser als noch beim Vorentscheid, was wiederum an der Energie liegen könnte, die hier in den Auftritt gesteckt wird. Ja, die Mitmachspielchen nerven mich auf Dauer auch, aber ansonsten ist das doch ganz geil.
Bei mir eher umgekehrt, ich fands beim Vorentscheid irgendwie besser. Vielleicht weil wir mittlerweile direkt vor der Box stehen und der Sound hier etwas zu bratzelig ist. Ich weiß, ich könnte weggehen, aber ich bin alt und faul.
Echt? Ich glaub sie ham ihm nur das Kabel gehalten. Oder vielleicht auch dran gezogen? "Zurück auf die Bühne, dressierter Affe!" Am Ende springt der Gitarrist sogar voll dramatisch in die tosende Menge. Der Security bittet ihn dann aber doch wieder zurück auf die Bühne. Nicht, dass am Ende noch mehr Pfandbecher zu Bruch gehen.
"Alternative Fakten", meint der Sänger schnippisch. Es gibt so Wörter, die sind einfach immer wieder witzig! Dann folgen die, wie sie selbst sagen, "Gewinner" des Abends: THE ROUGHTONES. Eigentlich haben sie ja Recht, die eigentlichen Gewinner bei diesen Contests sind ja eben wirklich die Bands, die sich auf diesen Quatsch gar nicht erst einlassen, wobei Dortmund Calling ja noch einer der wenigen Contests zu sein scheint, die soweit ganz in Ordnung sind.
Grad in meinen Kalender geguckt: Es ist exakt 11 Jahre und 1 Woche her, dass ich die Band zuletzt gesehen habe. Fun Fact: An dem Abend wurden übrigens Betrunken im Klappstuhl gegründet. Aber egal. Von den Roughtones hat man ne Weile nix gehört, aber in letzter Zeit taucht der Name doch hier und da wieder auf. Alles kommt zurück.
Beide Bands sind wohl sowas wie Legenden. Wann es wohl eine gemeinsame Tour gibt? Die Roughtones gefallen mir soweit auch ganz gut, wobei bei dem diesjährigen Finale Rock wohl ein zentrales Kernthema zu sein scheint. Die vier hier im Bild zu sehenden Herren bringen uns wieder eine sehr erdige und genretypische Variante.
Jawohl, schön erdig und solide, wie schon von Zwen erwähnt. Ich könnte etwas mehr Dampf in der Musik gebrauchen, insbesondere auch in Hinsicht auf die mittlerweile fortgeschrittene Stunde, der lange Abend landet langsam oder sicher doch mal in den Knochen. Eigentlich die perfekte Musik um jetzt noch mal ein bisschen mit den Füßen zu wippen.
Darf man bei nem Bandcontest eigentlich Coversongs spielen? Die Außer-Konkurrenz-Band macht das einfach mal: "New Rose" von The Damned. Mal eben schön den Punkerbonus abgreifen, Chapeau.
Um die Dame aber mal ein bisschen in Schutz zu nehmen: Als am Ende noch mal alle Bands genannt wurden, hat sie das immerhin ohne Fehler hinbekommen. Entweder hat sie ihre Fehler selber gemerkt oder wurde mal dezent im Backstage darauf hingewiesen. Anschließend Siegerehrung. Ich möchte noch ein paar Worte zur Moderatorin verlieren: Ich finde Moderation auf Rockkonzerten ja immer überflüssig, sehe aber natürlich ein dass das auf Contests halt so gemacht wird. Aber wenn ausnahmslos jede Band als "Es wird laut, es wird hart, es wird rock!" bezeichnet wird, Bandnamen falsch wieder gegeben werden und die Moderation einfach keinen Mehrwert für die Veranstaltung zu geben scheint, kann man das auch gleich lassen, oder? Aber ich will da nicht zu weit greifen. Vielleicht musste sie kurzfristig einspringen oder hatte aus anderen Gründen keine Zeit zur Vorbereitung, soll es ja alles geben.
Genug Lästerei, ich muss ja gestehen, für nen Bandcontest finde ich Dortmund Calling eigentlich sogar ganz okay. Selbst die Preise. Ne Albumproduktion im vierstelligen (oder 4spurigen?) Bereich kriegt man als Band doch gerne bezahlt, die zweitplatzierten Formosa dürfen Merch im Wert von 1000 Euro produzieren lassen, und für Me And Utopia und Snobs fällt immerhin ein weiterer (bezahlter) Gig ab.
Ich finde die Veranstaltung so alles in allem auch ganz gut. Da wird wirklich an vielen Stellen viel mehr Geld für deutlich schwachsinnigere Dinge rausgeschmissen. Gewonnen haben übrigens 4Spurig. Da kann ich so rein objektiv nichtmal was gegen sagen. Ist ja schon sinnvoll, dass bei nem Newcomerwettbewerb ne Band gewinnt, die kein Problem hat sich den Regeln des Marktes zu unterwerfen, die man noch aufbauen und formen kann, die für den Erfolg ihre Mutter verkaufen würde. Was, äh, (man muss sich ja heutzutage von allem distanzieren) natürlich nicht unbedingt auf 4spurig zutreffen muss. Ich kann zu denen ja eh nix sagen, hab heute ja nur den letzten Song gesehen, vielleicht waren sie ja gut!
Wir haben vergessen einen Pfandbecher unter uns zu legen! Anfängerfehler! Anschließend umarmen wir uns und werfen uns auf den Boden. Uns will aber keiner rausschmeißen, mennoooo!