Nordstadt Phantasien / Club Kohleausstieg, Les Trucs, Rocket Freudental, 07.09.2018 in Dortmund, Rekorder - Bericht von Fö
Nordstadt Phantasien / Club Kohleausstieg, 07.09.2018 in Dortmund
Aber visieren wir mal den nächsten Punkt in der Abendplanung an: Im Rahmen der Ruhrtriennale hat sich Schorsch Kamerun mitsamt Ensemble im und um den Rekorder eingenistet. Resultat dessen ist das Theaterstück "Nordstadt Phantasien" sowie die temporäre Umgestaltung und Umbenennung des Rekorders in den "Club Kohleausstieg". Beides hat wohl irgendwas mit Gentrifizierung oder vielleicht auch Strukturwandel zu tun - Themen, die uns hippes Jungvolk natürlich interessieren! Das Stück habe ich vor knapp ner Woche bereits gesehen und bin da irgendwie nicht vollends erfüllt nach Hause gegangen, obwohl ich das Kernkonzept doch irgendwie ganz cool fand. Das Stück spielt nämlich auf offener Straße und die Zuschauer sitzen, mit Bluetooth-Kopfhörer bekleidet, in einem Glaskasten. Begleitet von Schorsch und MusikerInnen spielt sich ein Großteil der Handlung in den Köpfen der Zuschauenden und in den nicht enden wollenden Monologen von Schorsch und den DarstellerInnen ab, was mir dann doch irgendwie zu hoch war. Interessanter war da schon eher, was so in visueller Hinsicht auf der "Bühne" geboten wurde, zumal nie wirklich klar war, welche Szenen dort nun so geplant waren und welche Personen Darsteller, Statisten, Helfer oder Passanten waren. Eine Lebendigkeit, der man auf der Zuschauertribüne nicht wirklich folgen konnte - was vermutlich auch irgendwie zum Thema gehört, schließlich wird der Zuschauer als potenzieller Investor von einem "Gentrifizierer" angesprochen und soll dadurch auch ganz bewusst eine eher distanzierte Position einnehmen, wenn ich das richtig verstanden habe. Mir lag die Straße ja immer näher, also pfeifen wir heute auf die Kopfhörer-Glaskasten-Bohème und mischen uns unter den Pöbel, der die Straße säumt.
Auf einem sich stetig neu erfindendes Bühnenbild geben sich verschiedene verrückte Leute in crazy Klamotten die Klinke in die Hand, begleitet von monotonem Singsang. Also eigentlich wie die Nordstadt an jedem anderen Tag auch. Verdammt, wir sind schon mitten in der Gentrifizierung!
Highlight: Die Wrestling-Szene! Letzten Samstag konnte man die vor lauter Schaulustigen kaum sehen, diesmal sind wir selbst die Schaulustigen. Voll geil! Gewonnen hat die eine mit der Maske. Und die andere mit der anderen Maske ist, glaube ich, tot. Ein Aspekt, der mir letzte Woche gar nicht aufgefallen ist.
Großartig auch die vielen Nordstadt-Kids, die ständig über das Set wuseln und absolut keine Scheu zeigen, aber auch bereitwillig den Schauspielern und Helfern zur Hand gehen.
Im Anschluss an das Stück öffnet der CLUB KOHLEAUSSTIEG seine Pforten. Also quasi der Rekorder mit komplett umgestalteter Inneneinrichtung, zumindest was den Thekenbereich betrifft. Alles auf hip und gentrifiziert getrimmt, gruselig. Leider kein Foto gemacht. Dafür hier schonmal eines von LES TRUCS, die alsbald im Keller loslegen.
Den Anfang leider verpasst, weil zunächst nur Theaterkartenbesitzer der Zutritt gewährt wurde, während der Straßenpöbel warten musste. Aber dafür ist der Eintritt frei, muss man ja auch mal positiv hervor heben. Und ich glaube, es kam jeder rein.
Da hat wohl wer die Lampen an. Hahahaha! LES TRUCS! Megagut! Auch schon seit gut 7 Jahren nicht mehr live gesehen. Ich bin Fan von Bands, die starre Bühnenkonzepte verwerfen. Hier wird einfach ein Tisch mitten in den Raum gestellt, diverses elektronisches Sammelsurium draufgestapelt, und die beiden ProtagonistInnen laufen drumherum, drücken Knöpfe, singen, schreien.
Mikrofone und Lampen luchsen dabei wie außerirdische Tentakel aus den Rucksäcken, wodurch die beiden noch unabhängiger agieren können, was dem Ganzen ziemlich viel Dynamik verschafft. Musik: Nunja, Elektro halt, aber mit Gesang
Und das mit dem "aber mit Gesang" ist im Grunde auch das, was mich (neben der Performance-Komponente) so fesselt, denn sonst wäre es eben einfach nur Elektro. Puh. Aber was die da so singen, insbesondere wenn es mal in so episch-hymnische Sphären abdriftet, ist echt ungemein mitreißend.
Von Platte find ich das eher anstrengend, auch wenn auf jeder Platte doch zumindest so 2-3 Hits vorhanden sind, aber auf Albumlänge kann ich mir das einfach nicht geben. Weswegen ich auch das aktuelle Album "Jardin du boeuf" noch gar nicht gehört habe, von dem vermutlich einiges gespielt wurde.
Wie auch immer. Live ganz großartige Kiste, da finde ich sogar das Elektro-Gezappel tanzbar. Bis auf einen Prollo-Zwischenrufer keine besonderen Zwischenfälle, aber immerhin wurde auf ihn reagiert und nicht einfach nur "Konzept gefahren", was bei solch einer Kunst-orientierten Performance vermutlich auch keine Selbstverständlichkeit ist.
Toller Auftritt, etwas kurz, aber in der Kürze liegt die Würze. Eine Redewendung, von dem die nachfolgende Band sich auch mal ne Scheibe von abschneiden könnte, aber ich will mal nicht meckern.
Nächste Band: ROCKET FREUDENTAL. Auch wieder eher ungewöhnliche Besetzung: Ein Sänger und ein Typ an Koffer-Blech-Schlagzeug, dazu Elektro-Töne. Kann ja eigentlich nur gut werden!
Nie vorher von gehört und auch am Abend selbst nicht wirklich behalten können, wie die denn nun eigentlich hießen. Aber war schon irgendwie ganz geil. Der Gesang ist oft eher Gepöbel, manchmal werden auch nur Phrasen gekloppt (aber originelle!), find ich gut. Irgendwie wie ne Elektro-Version von Human Abfall (und sie kommen ebenfalls aus Stuttgart).
Texte leicht dadaistisch, aber dann auch wieder zynisch und am Puls der Zeit, sogar das Oberthema Gentrifizierung wage ich heraus zu hören, oder auch Hipstertum, wenn es um Stuhlkreise oder Yogalehrer geht. Ziemlicher Hit auch "Ich baue Scheiße - stapelweise". Stark!
Einziges Manko: Der Auftritt war mir einfach entschieden zu lang. Okay, geht mir meistens so wenn ich weder Band noch Lieder kenne, aber irgendwie geht das Besondere an der Band halt einfach unter wenn sie sich nur ständig wiederholt - und dann auch noch ne Zugabe spielt. Man ey.