"Der Teppich unter meinen Füßen ist sehr weich", stelle ich fest, wie ich die Treppen vom Empfangsfoyer in den dritten Rang hinauf steige.
Bis die Darbietung losgeht, male ich mir auf den roten, samtenen, flauschigen Theatersesseln aus, wie ich im Anschluss an das Konzert auf Socken die Treppen runterhusche. Hmmmm.... flauschi flauschi, träum. In wohligen Gedanken versunken, nehme ich nur peripher wahr, wie das Licht gedimmt wird und vier Musiker auf die Bühne treten. Sie stimmen ein Lied an: "Fahr doch mit dem Fahrrad, in ein anderes Stadtgebiet..." und schon ist das Tocotronic-Areal in meinem Hirn aktiviert. Das ist der Teil, der mich die nächsten 1,5 Stunden jede dargebotenen Textzeile mitflüstern lässt. Beim Blick über meine Schultern erkenne ich ernste, erhabene Herrschaften in Uniform. Vermutlich Burschis. Der besonnene Exzentriker Dirk v. L. betont Wörter wie BRRRAAAUNschweig und DEUTSCHES Haus zwar unmissverständlich, aber das Publikum fühlt sich geschmeichelt und in seinem Lokalpatriotismus bestärkt. Ich verstehe nicht; der Sessel zwickt urplötzlich, ich wehre mich innerlich gegen alle bisherigen angenehmen Gefühle, werde nervös, aber der Textfluss wird nicht abreißen. Lediglich bei dem kleinen Animationsversuch durch Dirk zu "Aber hier leben, nein danke", setzt die instinkte Abneigung gegen jede Form von Massenkult wieder ein und ich verstumme. Ist das wirklich Dirk v. L. und nicht Ben Becker, der dort noch steht, weil er noch nicht umgefallen ist?! Ich weiß es nicht... Jedenfalls sind Tocotronic schlimmer als Fahrrad fahren - mensch verlernt es nicht, auch wenn mensch sich dies in manchen Zusammenhängen zwar wünschen mag. Am Ende bin ich so konfus, dass ich vergesse, meine Schuhe beim Gang über den Teppich auszuziehen. Vermutlich hätte der Abend danach aber geendet wie mein letzter Besuch eines Tocotronic-Konzerts: nämlich in Begleitung des Sicherheitspersonals.