Herrenmagazin, Fluppe, 15.11.2019 in Oberhausen, Druckluft - Bericht von Fö
Herrenmagazin, 15.11.2019 in Oberhausen
Ich kann gar nicht beurteilen, ob "Atzelgift" nun wirklich das beste Album der Band ist (da mögen die Fans drüber entscheiden), für mich persönlich aber irgendwie schon, war es ja schließlich das erste Album der Band, deren Geschicke ich unermüdlich verfolgt habe, seit damals die ersten mp3-Schnipsel in diesem Internet auftauchten. Also, kurze Rede: Ehrensache, dass ich mir direkt ne Karte hole, als die Konzerte bekannt gegeben werden. Obwohl ich eigentlich von mir dachte, diesem ganzen Hype-Ding und Vorverkaufs-Wahn nicht aufgesessen zu sein (der aktuell grassierende Ärzte-Wahn hat mich irgendwie auch nicht gepackt), aber hey, ich hatte wohl meine sentimentalen paar Minuten. Als der Abend dann näher rückte, war ich eher überrascht, dass irgendwie sonst niemand zu diesem Konzert wollte - zumindest niemand aus meinem Umfeld. Nagut, nicht niemand, Kai fährt hin, aber sonst haben echt alle entweder abgelehnt oder sind kurzfristig auf der Couch eingepennt (Hallo Olivia!).
Anfahrt (weil Anfahrts-Ergüsse grad wieder son Thema sind): Eigentlich easy. Zug fährt pünktlich, keine besonderen Zwischenfälle. Außer dass im Zug diverse Punker und Punkeretten sind, die zum Deutschpunkabend mit Flaschenbecher und noch wem fahren - da fühle ich mich direkt ein wenig schäbbich, lediglich auf so ein Indie-Dingens zu wollen. Highlight, als einer der Fahrtgäste den Schaffner für seinen "Nazisprech" rügt. Ich weiß zwar nicht, was dieser gesagt hat, aber is ja auch egal. Man muss die gesellschaftliche Diskursverschiebung einfach mal in ihre Schranken weisen!
Eröffnet wird der Abend von FLUPPE, die bereits spielen, als wir die Druckluft-Halle betreten. Den Sänger hatte ich ich kürzlich seiner Zweitidentität als Singer/Songwriter Joe Astray kennen gelernt. Er erzählte damals von seinem Bandprojekt und ich konnte nichts anderes erwidern als: "Das ist ein astreiner Name für ne Deutschpunkband!"
Aber klar, nee, is' kein Deutschpunk, is' Indie. Weiß gar nicht wie man das näher titulieren soll. Wenn Punk, dann eher Die Nerven als Flaschenbecher. Indie halt, manchmal etwas sphärisch, hier und da etwas frickelig, meist eher gemäßigt. Deutschsprachige Texte. Proberaumnachbarn von Herrenmagazin (ist das ein Kriterium?)
Kam soweit ganz gut, aber aus den Latschen haut mich sowas einfach nicht. Ganz spannend fand ich, wie Joe die Texte und insbesondere die sprachlichen Bilder sporadisch durch entsprechende Gesten untermalt. So hat er urplötzlich ein Feuerzeug in der Hand, als das Wort "Feuer" fällt! Ansonsten wechselt er immer mal zwischen Gestenreichtum und Händen in den Hosentaschen. Alle Extreme der Indie-Frontsänger-Performance-Schule abgedeckt.
Als Merchandise wollen sie selbstgemachte Streichhölzer verkaufen. Geil! Ich kam nicht dazu, mal zu gucken, wie selbstgemachte Streichhölzer aussehen. Sind das wenigstens diese Wildwest-Dinger, selbstentzündend und so? Was sagt die Brandschutzverordnung dazu?
Dann die Band mit den lustigen Frisuren: HERRENMAGAZIN! Bin ja schon etwas erstaunt, wie voll es hier drinnen ist. Oder was heißt erstaunt, eigentlich hatte ich mir im Vorfeld da gar nicht groß Gedanken drüber gemacht und eher nebenbei mitbekommen, dass Bremen und Berlin wohl ausverkauft waren. Anscheinend geht die Taktik mit dem "vorläufigen" Abschied und dem "exklusiven" Comeback irgendwie auf. Ja ich weiß, war bestimmt keine Taktik, schon okay!
Ja, was sagt man zu so einem Konzert so? Die Setlist war echt nett, ey! Solche Album-Shows sind ja schon irgendwie immer etwas komisch. Außer man mag das Album. Herrenmagazin spielen halt "Atzelgift" von vorne bis hinten, glaube ich zumindest, die Songreihenfolge kenne ich ebenso wenig wie die Band das offensichtlich tut, aber, wie Deniz erzählt, Rasmus hat ja Setlisten gebastelt. Seine besteht aus aneinander geklebten Schnapspullen, König Wilhelmsburg hat komische Zeichnungen und ein Negativ. Was uns der Künstler damit sagen will?
Das Publikum natürlich artig textsicher. Textsicherer als ich jedenfalls, aber ich bin auch teilweise überrascht, dass ich noch so viel kenne. Gefeiert wird also insgesamt ganz gut, was ja, sage ich mal so in aller Häme, auf Indie-Konzerten keine Selbstverständlichkeit ist. Deniz merkt an, dass heute internationaler Tag der Weißweinschorle sei. Man findet ja immer einen Grund zum Feiern! Für was es nicht alles Feiertage gibt. Gibt es auch einen internationalen Tag der Nichtalkoholiker? Wie wird sichergestellt, dass der nicht zufällig auf den internationalen Tag des Doppelkorns fällt? Gibt es da ein Gremium für?
Deniz' Tante ist heute im Publikum, weswegen er sich sehr freut, dass mitgesungen wird. So kann er sich auf der nächsten Familienfeier wieder blicken lassen. Das Publikum ist eh ziemlich hörig. Einmal streckt Deniz sich, und alle jubeln. Au Backe. Irritierend, sowas. Aber ist ja nicht so, dass die Band das nicht herausfordert. Schon beim zweiten oder dritten Lied werden wir tatsächlich zum Mitklatschen aufgefordert! Dat is doch kein Stadion hier! Bei Flaschenbecher wär das nicht passiert.
Bester Spruch übrigens von Rasmus, nachdem er sich bei einem Lied etwas versemmelt: "Da war ich wohl meiner Zeit voraus". Chapeau! Auch sonst kommt der Schalk im Hause Herrenmagazin natürlich nicht zu kurz, es gibt Verbrüder- oder besser Verschwesterungsszenen im Publikum, Instagram bekommt, gemessen an den zu sehenden Handydisplays, auch ausreichend neuen Content, also haben ja alle was davon.
Achja, ganz gehalten wird sich an die Trackliste nicht, "Kein bisschen aufgeregt" kommt irgendwie etwas verfrüht und leitet die erste Zugabepause ein, die von Deniz ganz alleine beendet wird, indem er den Atzelgift-Bonustrack "Der Wind" spielt. Das Lied habe ich übrigens erst relativ spät kennen gelernt, weil das Promo-Paket von (ich glaube) damals Motor Music das Stück einfach vorenthalten hat. Das prangere ich an!
Noch schöner aber, dass danach noch ein weiterer alter Song folgt: "Der Spaß am Ruin" schaffte es als einziger der Lieder der ersten EP "Ich habe dieser Tage meiner selbst verloren" nicht auf "Atzelgift". Schöner Song, den habe ich nun wirklich lange nicht mehr gehört! Der Rest der Band kommt dann auch wieder auf die Bühne und es folgen ein paar Nicht-Atzelgift-Hits.
Also halt Stücke der nachfolgenden Alben. Die ja auch alle ziemlich gut waren! Das hier, mit Akustikgitarre, dürfte "Keine Angst" gewesen sein. Ansonsten war noch "In den dunkelsten Stunden", "Alle sind so", "Krieg" und, naja, noch neuere halt. Unterbrochen aber tatsächlich von einer weiteren Zugabe-Pause! Ich finde das so unfassbar unangenehm, da zu stehen, während die Band von der Bühne geht, und eigentlich sowieso genau zu wissen, dass die wiederkommen, eben weil der Abgang so plötzlich war. Da krieg ich direkt keinen Bock mehr, zu klatschen, möge der Auftritt zuvor auch noch so gut gewesen sein. Ihr seid nicht die verfickten Rolling Stones, ey!
Aber egal. Gutes Konzert, bisschen zu wenig Deutschpunk, aber machste nix. Anständige Theater-Verbeugung am Ende. Auch wenn diese Verbeugung ebenso im Klischeesumpf steckt wie ne zweite Zugabe: Da Knochenfabrik das auch machen, kann ich da absolut nichts Schlechtes drin sehen! Also verbeugt euch ruhig!
Anschließend: Wir lungern noch ein wenig rum und beschließen irgendwann, noch zum Deutschpunkabend im alten Café zu wechseln. Flaschenbecher haben wir verpasst, es spielen gerade SCUNKS, vermutlich sind sie in ihrer zweiten oder dritten Zugabe und covern "Trampen nach Norden" von Pascow. Rundherum knutschende Punkerpärchen, pogende Nietenjacken, schäbige Iros, draußen Lagerfeuer und Kotzlachen, boah geil ey! Endlich normale Leute! Hätte man die beiden Konzerte nicht zusammen legen können?
Rückfahrt dann mit Gesprächen darüber, was eigentlich Punk ist. Immer wieder großer Spaß!
Rückfahrt dann mit Gesprächen darüber, was eigentlich Punk ist. Immer wieder großer Spaß!