Lankum, 27.11.2019 in Amsterdam (NL), Paradiso - Bericht von tenpints
Lankum, 27.11.2019 in Amsterdam (NL)
Amsterdam (Symbolbild aus dem Oktober) also. Geheimtipp Zugfahren, man ist schnell da für wenig Geld, wenn man früh bucht, und das tue ich, denn ich bin ja nicht doof. Die Band LANKUM habe ich schon im April in Edinburgh gesehen, dort in der "altehrwürdigen" Queen's Hall vor ausgesprochen gesetztem Publikum auf Sitzbänken. Nun also im Paradiso, einer umgebauten Kirche mit zahlreichen Veranstaltungsräumen, in denen pro Tag vier-fünf Konzerte stattfinden. Die bequeme Anfahrt im ICE International entfällt, da der Zug umgeleitet werden muss - fahre ich also mit Regionalbahnen, brauche damit letztlich 90 Minuten länger als geplant, was eine willkommene Ausrede für ein frühes Nachmittagsbier liefert. (Und außerdem befindet sich beim Umstieg in Oberhausen der Kiosk halt genau zwischen den Gleisen. Wer bin ich, dass ich solch ein Zeichen ignoriere?) Bin trotzdem noch früh genug für ein großes Punk IPA für lächerliche 8,95 Euro im neben dem Hotel gelegenen "De Biertuin", wo mich der aus Straubing stammende Barkeeper als Deutschen entlarvt - Kacke, hatte ich mir doch gerade einzureden versucht, tatsächlich in Irland oder wenigstens in UK zu sein, da sieht's nämlich sehr ähnlich aus wie hier. "Guckst du dir das Spiel heute an?", fragt er - um 21 Uhr soll Dortmund gegen Barcelona verlieren -, was ich verneine. Meine Erklärung, dass ich LANKUM gucke und es sich bei LANKUM zwar um eine Irish-Folk-Band mit Punk-Hintergrund handelt, diese aber nichts mit handelsüblichem Irish Folk Punk zu tun hat, wird zur Kenntnis genommen, dann darf ich mich wieder in Ruhe betrinken.
Um 21 Uhr soll Einlass sein, na, egal, setz ich mich um 20:45 Uhr halt noch in die Bar des Etablissements und schaue mal, was es da so zu trinken gibt. Denkste! Im Paradiso kommt man auch im strömenden Regen - das Wetter könnte nicht besser sein für dieses Konzert - nicht vor dem auf dem Ticket stehenden Einlass irgendwo rein. Gegenüber gibt es aber einen Türken, ich bestelle "Heineken alcohol free", woraufhin der Mann mich entsetzt anschaut - er verkaufe keinnen Alkohol! Na gut.
LANKUM sind auf Tour, fast jeder Termin ist ausverkauft. Heute spielen sie im kleinen Saal, das ist ein schöner Raum in Club-Größe, und es gibt keine Sitzplätze. Schade, hatte irgendwie mit Kirchen-Atmosphäre gerechnet. Aber so ist es eigentlich besser.
Die Band entstammt der irischen Hausbesetzer-Punk-Szene und hat 2014 nach intensiver Recherche in den irischen Folk-Archiven begonnen, traditionellen Folk der Außenseiter*innen, Ausgestoßenen, Armen neu zu vertonen, zunächst mit Fokus auf Kneipen-Atmosphäre, mittlerweile mehr in Richtung Drone und Psychedelica gehend - ohne aber die Melodien zu vergessen. Auch Black Metal ist ein deutlich zu hörender Einfluss, wie ich vor allem heute merke, als ich das furiose Finale von "The Granite Gaze" dolle verstärkt um die Ohren geblasen bekomme - lupenreines BM-Tremolo-Riffing, aber gespielt mit traditionellen irischen Instrumenten.
Es werden anfangs die Hits des neuen Albums "The Livelong Day" runtergespielt, ergänzt um das bislang unveröffentlichte "Rocky Road To Dublin" (das hätte auch wirklich nicht auf das düstere Album gepasst). Vor allem "The Pride Of Petravore" begeistert mich, ein finsteres Doom-Instrumental für Pfeife und Harmonium. Zwischendurch erweisen sich die Gebrüder Lynch (jeweils außen sitzend) zum Ausgleich als hervorragende Entertainer und erzählen z.B. die Geschichte von Bruce Dickinson, der mit Iron Maiden einst bei einem Stadionkonzert in Dublin den Union Jack ("The Butcher's Apron" - die Schlachterschürze!) wedelte und damit auf einen Schlag einen Großteil seiner irischen Fans vergraulte. "We'll never wave any butcher's apron!", teilt Ian Lynch mit, womit er sympathischerweise auch jedem irischen Nationalismus eine Abfuhr erteilt, und als kurz vor Schluss des Konzerts eine Horde Punks am Merchtisch "Eat The Rich" anstimmt, bedankt er sich freundlich für diese Sympathiebekundung von der richtigen Seite. Was wohl die natürlich ebenfalls anwesenden gesetzten Herrschaften - LANKUM gefallen nicht nur Punks und Metalheads, sondern natürlich auch ganz normalen Folkies - darüber denken? Klar, Folk von den Inseln war immer schon eher links, aber so sehr nach Anarcho riechende Punks, die Trad Folk derart apokalyptisch interpretieren? Na ja, vermutlich ist genau das das Erfolgsrezept. Ich kann mir aber auch keine Band vorstellen, der ich diesen Erfolg mehr gönne als LANKUM. Da ist alles echt, vor allem die Verwunderung darüber, dass man plötzlich nicht mehr in dreckigen Squats spielen muss und mit zehnminütigen Folk-Drones allen Ernstes Geld verdienen kann. Herrlich.
So bin ich dann am Ende auch längst von Glück und Zuneigung überwältigt und singe zusammen mit den Merch-Tisch-Punks und mit einem frischen Bier die letzten beiden Stücke - "Cold Old Fire" (ein Lied über Armut im kapitalistischen Irland) und "The Old Man From Over The Sea" (ein traditionelles Stück über sexualisierte Gewalt, wie immer unfassbar intensiv vorgetragen von der unglaublichen Radie Peat) - schwer ergriffen mit. Auf dem Weg zum Hotel finde ich sogar die vor dem Konzert verlorene Key Card im Regen auf dem Asphalt wieder - und sie funktioniert noch.
Im April spielen LANKUM wieder in Holland, beim Roadburn Festival. Ich kann es kaum erwarten.
LANKUM sind auf Tour, fast jeder Termin ist ausverkauft. Heute spielen sie im kleinen Saal, das ist ein schöner Raum in Club-Größe, und es gibt keine Sitzplätze. Schade, hatte irgendwie mit Kirchen-Atmosphäre gerechnet. Aber so ist es eigentlich besser.
Die Band entstammt der irischen Hausbesetzer-Punk-Szene und hat 2014 nach intensiver Recherche in den irischen Folk-Archiven begonnen, traditionellen Folk der Außenseiter*innen, Ausgestoßenen, Armen neu zu vertonen, zunächst mit Fokus auf Kneipen-Atmosphäre, mittlerweile mehr in Richtung Drone und Psychedelica gehend - ohne aber die Melodien zu vergessen. Auch Black Metal ist ein deutlich zu hörender Einfluss, wie ich vor allem heute merke, als ich das furiose Finale von "The Granite Gaze" dolle verstärkt um die Ohren geblasen bekomme - lupenreines BM-Tremolo-Riffing, aber gespielt mit traditionellen irischen Instrumenten.
Es werden anfangs die Hits des neuen Albums "The Livelong Day" runtergespielt, ergänzt um das bislang unveröffentlichte "Rocky Road To Dublin" (das hätte auch wirklich nicht auf das düstere Album gepasst). Vor allem "The Pride Of Petravore" begeistert mich, ein finsteres Doom-Instrumental für Pfeife und Harmonium. Zwischendurch erweisen sich die Gebrüder Lynch (jeweils außen sitzend) zum Ausgleich als hervorragende Entertainer und erzählen z.B. die Geschichte von Bruce Dickinson, der mit Iron Maiden einst bei einem Stadionkonzert in Dublin den Union Jack ("The Butcher's Apron" - die Schlachterschürze!) wedelte und damit auf einen Schlag einen Großteil seiner irischen Fans vergraulte. "We'll never wave any butcher's apron!", teilt Ian Lynch mit, womit er sympathischerweise auch jedem irischen Nationalismus eine Abfuhr erteilt, und als kurz vor Schluss des Konzerts eine Horde Punks am Merchtisch "Eat The Rich" anstimmt, bedankt er sich freundlich für diese Sympathiebekundung von der richtigen Seite. Was wohl die natürlich ebenfalls anwesenden gesetzten Herrschaften - LANKUM gefallen nicht nur Punks und Metalheads, sondern natürlich auch ganz normalen Folkies - darüber denken? Klar, Folk von den Inseln war immer schon eher links, aber so sehr nach Anarcho riechende Punks, die Trad Folk derart apokalyptisch interpretieren? Na ja, vermutlich ist genau das das Erfolgsrezept. Ich kann mir aber auch keine Band vorstellen, der ich diesen Erfolg mehr gönne als LANKUM. Da ist alles echt, vor allem die Verwunderung darüber, dass man plötzlich nicht mehr in dreckigen Squats spielen muss und mit zehnminütigen Folk-Drones allen Ernstes Geld verdienen kann. Herrlich.
So bin ich dann am Ende auch längst von Glück und Zuneigung überwältigt und singe zusammen mit den Merch-Tisch-Punks und mit einem frischen Bier die letzten beiden Stücke - "Cold Old Fire" (ein Lied über Armut im kapitalistischen Irland) und "The Old Man From Over The Sea" (ein traditionelles Stück über sexualisierte Gewalt, wie immer unfassbar intensiv vorgetragen von der unglaublichen Radie Peat) - schwer ergriffen mit. Auf dem Weg zum Hotel finde ich sogar die vor dem Konzert verlorene Key Card im Regen auf dem Asphalt wieder - und sie funktioniert noch.
Im April spielen LANKUM wieder in Holland, beim Roadburn Festival. Ich kann es kaum erwarten.