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Fullax, Micha-El Goehre, 16.06.2021 in Dortmund, Dortmunder U - Bericht von Fö

Fullax, 16.06.2021 in Dortmund

Dieser Konzertbesuch, und damit auch dieser Konzertbericht, hat eigentlich nur einen Grund: Ich will nicht, dass mein erstes Konzert des Jahres eines wird, in dem ich auch noch selbst involviert bin. Schlimmer noch, kürzlich beschlich mich leichte Panik, dieses Jahr mehr Konzerte zu veranstalten als zu besuchen. Für diesen Monat zumindest kommt das hin (nämlich das, das und das). Was jetzt bitte nicht so rüberkommen soll à la "öy, es wurde gelockert, also machen wir jetzt fleißig Großveranstaltungen", weil erstens sind die mit um die 100 Besucher*innen gar nicht so groß (höchstens vom Aufwand her, aber das ist ne andere Frage), und zweitens bin ich nach wie vor der Meinung, dass es hygienetechnisch kaum eine Freizeitaktivität gibt, die sicherer ist als die derzeit stattfindenden Konzerte. Außer vielleicht, ihr schließt euch in der Besenkammer ein. Das Wort "Veranstaltung" ähnelt ja nicht umsonst dem Wort "Verantwortung" und letzterer sind sich die Verantwortlichen, denke ich, deutlich mehr bewusst als alle die es zum Shoppen nach Holland, zum Saufen auf Partys oder zum Dummsein ins Stadion zieht. Wahrscheinlich hab ich auch noch nie nen behördlichen Text so intensiv studiert wie die CoronaSchutzVerordnung NRW, die, trotz aller Vorurteile dem Beamtendeutsch gegenüber, viel zu viel Interpretationsspielraum lässt und auf viele Fragen keine eindeutigen Antworten gibt. Noch ein Grund mehr, heute beim "Sommer am U" vorbeizuschauen: Mal gucken, wie die das mit dem Schachbrettmuster so interpretiert haben.
Das Sommer am U war bereits im letzten Jahr ein willkommener Fels in der Brandung der Corona-Leere und verspricht auch dieses Jahr einiges an nettem Programm. Beispielsweise ist am 13. August diesmal auch euer Lieblingsfanzine am Start, wenn die Apotheken-Umschau die Auftritte von The Dead End Kids und Dead Years präsentiert. Aber genug der Schleichwerbung. Heute ist Eröffnung und das U hat aufgetischt.
Um obige Frage zu beantworten: Das Prinzip des Schachbrettmusters hat in der Form Einzug in die visuelle Gestaltung gehalten, als dass die Stuhlkreise nicht mehr in runden Arealen aufgestellt sind, sondern in rechteckigen. Auch sonst scheint das Visuelle bei der Planung eine Rolle gespielt zu haben: Conferencier André nennt sogar die gestaltende Person, aber hab ich mir natürlich nicht gemerkt.
Begonnen wir das Programm alsbald durch den Poetry Slammer MICHA-EL GOEHRE, der heute nicht slammt und auch nicht wirklich poetriert, aber dafür vorliest, gespickt mit ein paar entertainenden Worten zwischendurch. Auch hier überzeugt zunächst mal das Optische: Er sieht schon sehr nach metal aus. Metaller sind ja meistens, wenn sie nicht grad Onkelz hören (warum auch immer sie sowas tun), nette Leute.
Das nächste, was mir auch wieder visuell ins Auge sticht - ich merke gerade, wie wichtig mir das Visuelle in der entbehrlichen Zeit geworden ist: Monatelang habe ich Musik ausschließlich über die Ohren wahrgenommen. Wo war ich, ach ja. Er hat einen Stapel Bücher neben sich liegen, liest aber tatsächlich VON EINEM SMARTPHONE ab. Ein großes zwar, aber trotzdem, ist das nicht total schlecht für die Augen? Und für die Umwelt? Und sowieso unpraktisch? Ich bin erstaunt, aber auch ein bisschen neidisch.
Ist vielleicht auch einfach ne andere Generation, die Smartphone-Generation, auch wenn Wikipedia sagt, dass Micha-El 8 Jahre älter ist als ich. Aber wäre es nicht praktikabler, gedrucktes Wort zu lesen? Nunja, er wird schon seine Gründe haben. Vielleicht war es ja wenigstens E-Ink. Ich will mich da auch nicht drüber echauffieren, ich hole mein Smartphone eigentlich nur aus der Tasche, um damit bei Konzerten demonstrativ zu zeigen, wie langweilig mir ist. Und was das betrifft, bin ich auch noch etwas aus der Übung.
Die Storys, die so gelesen werden, sind ganz nett, ich glaube ein Mal habe ich sogar gelacht. Das passiert mir bei Comedy wirklich extrem selten. Also, jetzt kann ich's ja zugeben: ich finde Spoken Word, insbesondere wenn einfach nur abgelesen wird, einfach meistens nicht witzig. Gruselig, Witze vorlesen, da fehlt jegliche Spontanität. Gibt Leute die das können und die einfach Bühnenpräsenz haben, aber wenn einfach "nur" vorgelesen wird, schalte ich schnell ab. Deswegen weiß ich gar nicht mehr, wovon die Texte handelten. Immerhin nicht von Saufen und WG-Partys, damit dürfte Micha-El Goehre vermutlich zu einer Minderheit in der Slammer-Szene gehören. Aber wie gesagt, ein Mal habe ich gelacht. Ich weiß nur nicht mehr worüber. Vielleicht war's nur wegen Schlossi.
Weiter geht es mit: Livemusik! Boah! Musik für Ohren UND Augen, auch wenn das Visuelle bei dieser Band nicht sonderlich hervor sticht oder sich, wie das Schlagzeug, von unserer Position aus einfach nur hinter einem Boxenturm verbirgt. Die Band, die heute auftritt, nennt sich FULLAX. Schlossi fragt noch, ob sich das wie "lax" oder wie "Lachs" schreibt, was vermutlich die Stelle war, wo ich dann auch bei diesem Act gelacht habe.
Die Musik ist tatsächlich ein bisschen lax, zumindest kein Metal. Wir sind uns auch später nicht einig, ob das nun Indie oder Pop war oder doch was anderes, aber wir sind ja auch nicht hier, um Schubladen zu füllen, sondern unsere hungrigen Musiksynapsen. Ich erwähnte es schon an anderer Stelle: Aktuell könnte ich mir vermutlich jede Band live anschauen und würde alles gut finden. Sogar ne Band, die generischen aufgesetzten Synthie-Pop macht!
Statt die Köpfe euphorischer Fans haben wir übrigens eine blanke Stuhlreihe vor uns, die erst im späteren Verlauf des Konzertes gefüllt wird. Ansonsten haben sich aber schon so einige Leutchens eingefunden, um ihr vermutlich erstes Konzert des Jahres zu schauen. Da ist es ja wohl auch wirklich egal, wer spielt. Fullax jedenfalls machen recht gefällige Musik, die durchaus ihre tanzbaren Momente hat, wenn uns denn nach tanzen wäre.
Die Texte sind auf deutsch, aber bis auf einzelne Bruchstücke kommt da wenig bei uns an, was weniger an der Akustik vorm U liegt, sondern vermutlich an diesem echt gewöhnungsbedürftigen Effekt, der auf den Gesang gemanscht wurde. Ist das Autotune? Keine Ahnung. Vielleicht hat er auch lediglich genuschelt. Wir verstehen jedoch, dass es um die "Nordstadt" geht, und um "Shisha-Bars", was ganz witzig ist, weil die Band aus Kassel kommt, aber damit in Dortmund natürlich einen Nerv trifft, ist doch das klassische Nord-Süd-Gefälle hier ebenfalls ziemlich präsent und die übertriebene Selbstabfeierei des eigenen Stadtviertels scheint auch kein reines Dortmunder-Nordstadt-Phänomen zu sein.
Und wo wir gerade bei Lokalpatriotismus sind: Auch Kassel scheint ein Problem mit Nazis zu haben, erzählt der Sänger zumindest, als er den Song "Brauner Fluss" ankündigt. Ich finde es gut, dass auch Synthie-Pop-Bands politische Themen beackern, auch wenn mir der strukturelle Rassismus der sogenannten bürgerlichen Mitte deutlich mehr Sorgen macht als die Dumpfbacken-Dorfnazis, um die es hier vermutlich geht.
Ansonsten alles ganz schön, man kann sogar mitwippen, auch wenn mir das im Sitzen schwer fällt, insbesondere in diesem Liegestuhl-Ambiente, aber ja doch, netter Auftritt. Ich bin sogar überrascht, wie kurzweilig es dann doch war, als der letzte Song angekündigt wird. Wie der Mensch hinterm Schlagzeug aussieht, wird mir so immer ein Rätsel bleiben.
Anschließend legt noch ein DJ auf, hat irgendwas zu tun mit der Ausstellung zum Studio 54 im Dortmunder U, aber das kriegen wir schon nicht mehr so wirklich mit, es ist spät und Corona hat meinen Schlafrhythmus auf 22 Uhr Bettruhe eingestellt, so dass wir uns flugs auf den Heimweg machen. War doch ein ganz interessanter Konzertsaison-Auftakt, wir sehen uns beim Pankdemic!

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