Traurig in Europa, The Westerwaves, 21.08.2021 in Wien (A), Chelsea - Bericht von Kabl
Traurig in Europa, 21.08.2021 in Wien (A)
Die ersten zwei Tage der Reise verbringen wir in Passau. Dort erkunden wir die Stadt, stellen fest, dass fast keine Kneipe mehr auf hat, die cool war, als Caro (meine Mitreisende) dort studiert hat. Wir gehen in das Dackelmuseum, ich schlafe bei Pustet ein, Caro vergisst ihre Sonnenbrille bei Pustet, findet sie aber zwei Stunden später wieder.
In Wien angekommen, haben wir ganz viele Pläne, was man alles machen muss. Von vorn herein klar ist, dass man nicht alles schaffen wird. Los geht es mit dem Kondommuseum. Es befindet sich im Untergeschoss eines Sexshops und zeigt die Entwicklung der Kondomindustrie auf. War ganz witzig.
Nach einer schweißtreibenden Runde Minigolf machen wir uns auf den Weg zum recht abgelegenen Gersthofer Friedhof. Dort liegt mein Lieblingsliedermacher Ludwig Hirsch begraben. Nach einer halben Stunde finden wir sein Grab, auf welchem der populäre "Große, schwarze Vogel" steht (siehe gelbe Pflanze).
Am nächsten Tag geht es auf den Prater. Zwar enorm touriemäßig, aber doch sehr kurzweilig. Es wird Riesenrad und Geisterbahn gefahren. Auch der Gasthof Schweizer zeugt von überragendem Stil und kulinarischer Raffinesse.
Weiter geht es zur Donauinsel, wo wir auf die Bandmitglieder von "Traurig in Europa" treffen. Der Bassspieler, Martin, gibt uns einige Insidertipps für Wien, die wir in den nächsten Tagen noch wahrnehmen werden.
Kurz noch ins Kriminalitätsmuseum eingecheckt. Man sollte hierfür schon zwei Stunden Zeit mitbringen. Teilweise werden wirklich sehr drastische Bilder von Tatorten gezeigt. Auch so manche Tatschilderung (besonders blieb mir die im Gedächtnis, in der eine wohlhabende Frau ihr Dienstmädchen systematisch zu Tode gefoltert hat) ist nichts für sensible Gemüter. Also, eher nur für Leute, die nicht sehr zart besaitet sind.
Nach einem Bier im Schweden Espresso, wo uns die Wirtin erzählt, dass ein Stammgast nun Hausverbot hat, da er sich penetrant nackt auszieht und zu Schlagern aus der Jukebox grölt, treffen wir pünktlich um 20 Uhr im Chelsea, einer Fuppes-Kneipe, ein. Der Eintritt ist mit 12/14 Euro für zwei Bands viel zu teuer, aber zumindest konnten wir 1x Gästeliste klar machen.
Die Westerwaves beginnen gegen 20:45 Uhr. Im Vorfeld wurde spekuliert, ob sie Coverrock machen. Sie spielen jedoch angenehmen und einfachen Punkrock, der mich beispielsweise an die Ramones erinnert. Die Band verbreitet richtig gute Laune, vor allem der Sänger überzeugt durch meist treffende Ansagen - lediglich nervt es, dass er gefühlt nach jedem Lied einen Moshpit fordert. Auch diesen dämlichen "Boomer"-Begriff, der bei der im Alter etwas fortgeschrittenen Band heute oftmals selbstironisch skandiert wird, geht mir etwas auf die Nüsse.
Hier dann gegen Ende endlich der heiß ersehnte Moshpit. Beruhigend, dass es wenigstens in anderen Ländern wieder möglich ist, "normale" Konzerte stattfinden zu lassen. Gerade am Schluss finde ich die Band richtig stark, kurze, fröhliche Hits, schnörkellos und ohne viel unnötiges Gitarrengewichse runtergespielt.
Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Song "Morrissey at the Butchers". Auch Margaret Thatcher wird lyrisch abgehandelt. Liegt wohl daran, dass der Sänger aus England kommt. Als Zugabe wird ein Lied gespielt, bei dem das Publikum immer "1234" brüllen muss, dann ballert die Band wieder los. Zusammenfassend schöner Auftritt von den Westerwaves, gerne wieder.
Mit "Traurig in Europa" wird dann nach einer kurzen Umbaupause ein ziemliches Kontrastprogramm zu den Westerwaves aufgefahren. Das Publikum lichtet sich zwar etwas, jedoch sind immer noch so 50-60 Leute im Raum.
Die Band erinnert mich musikalisch und vor allem von der Performance her ziemlich an PISSE. Auf der Bühne gibt es ein Saxophon, einen Synthesizer, Gitarre, Bass, Schlagzeug und einen Sänger, der in mehrfacher Hinsicht komplett irr ist. So kotzt er bereits beim 3. Song "Taser Taser" in einen Eimer, zersägt mit einer Stichsäge einen Karton oder bläst enorm falsch in eine Trompete. Ich bin beeindruckt.
Daneben steht der brave "Der wo in der Apotheke wohnt" im Kraftwerk-T-Shirt und drückt ein paar Knöpfe. Wie sich im Anschluss ans Konzert herausstellt, war die Band mit dem Sound nicht wirklich zufrieden. Ich finde, gerade der Lärmbrei trägt viel Positives zum Gesamteindruck der Band bei. Alles wirkt enorm aggressiv, chaotisch und im positiven Sinne etwas verstörend.
Auch der Bassspieler Martin darf mal einen Song singen. Hat er Glück gehabt, da er ausnahmsweise mal nicht vom eigentlichen Sänger umgeworfen oder mit Rettungsdecke eingewickelt wird.
Hier nochmal der Sänger in Aktion. Textlich geht es übrigens fast ausschließlich um österreichische Politiker. Textauszug des wohl größten Hits der Band: "Hurensohn, Hurensohn, du verdienst nur Mindestlohn".
Ja, ich bin hier echt begeistert. Diese Band passt wie die Faust aufs Auge in kleine, schimmlige Clubs. Sicher nicht massentauglich und gute Laune verbreitend wie die Westerwaves, aber dafür unglaublich intensiv. Musikalisch irgendwie schwer zu beschreiben. Verstörende, recht lange instrumentale Intros wechseln sich mit Hardcore-Brüll-Passagen ab. Ich werf nochmal Pisse als Vergleich in den Raum.
Auf eine Zugabe wird verzichtet, stattdessen wird das Keyboard in tausend Teile geschlagen. Fazit: Zwei sehr unterschiedliche, aber wirklich tolle Bands an einem Abend gesehen. Um 22:30 Uhr ist Schluss.
Nach dem Gig verticken die Bandmitglieder noch hochwertiges Merchandise: Zum Beispiel Zewa-Papiertücher mit irgendwelchen Sprüchen drauf, FFP-2-Masken mit Edding beschmiert...Die Cola ist übrigens bereits seit Jahren abgelaufen, da sie nie jemand kaufen wollte.
Dann folgt das absolute Urlaubshighlight: Die Kellergasse in Stammersdorf, dem letzten Bezirk Wiens. Eine Gasse, Weinstube an Weinstube reiht sich aneinander. Wenig Touristen, nur einheimische Trinker. Unser Plan, in jeder Bude ein Achtel zu trinken, geht auf. Danke an Martin für diese großartige kulturelle Empfehlung.
Am Tag drauf noch auf den Böhmischen Prater. Nur eine Straße, fast nur Attraktionen für Kinder, alles ist enorm klein, aber irgendwie sehr liebevoll und mit Stil. Neben dem Kommerzprater als Gegenpol wirklich sehr nett zu besichtigen.
Und dann noch auf den Friedhof der Namenlosen. Der ist im Gegensatz zum Zentralfriedhof absurd winzig, verbreitet aber auch eine ganz besondere Stimmung.
Als vorletzte Station geht es dann noch nach Linz, hier ein Foto vom "Höhenrausch"-Museum. 35 Installationen und Kunstwerke, die irgendwie in den Überbegriff "Paradies" gequetscht wurden. Lohnt sich wirklich, wir haben fast drei Stunden darin verbracht. Sehr abwechslungsreiche Ausstellungsgegenstände. Ich fühle mich fast genötigt die Floskel "Da ist für jeden was dabei" zu verwenden.