Motorpsycho, 23.05.2022 in Dresden, Beatpol - Bericht von verSemm...

Ein Konzert wie ein Experiment an mir selbst. Meine Schwester zieht sich MOTORPSYCHO seit etwa 30 Jahren nahezu jährlich in Dresden oder Berlin rein inklusive dem Besitz einer ungeheuren Plattensammlung von ausschließlich dieser Band. Mich juckte das auch schon diverse Jahre, mir das einfach mal zu geben. Jede Platte von MOTORPSYCHO klingt auch anders; aber allein dass viele Songs weit über 5 Minuten sind, widerstrebt meiner Musikresozialisation und macht vieles der Band schwer zugänglich. Im Grunde weiß ich ungefähr was mich erwartet, kenne ansonsten nicht einen Song. Kann ich Gefallen daran finden? Fö war neulich bei Calexico - da kenne ich sogar einiges. Könnte es ähnlich werden?

18 Uhr: An der Tür klingelt es. Sollten die das echt schon sein, war nicht 19 Uhr anberaumt worden? Ich schmeiß mir noch das erstbeste was mir zwischen die Finger kommt in den Magen-Darm-Trakt, ein paar Bier-2-go für die Besatzung und zwei Minuten später geht´s schon weiter. Neumodische Technik, also diese Dinger die den Weg anzeigen, lässt uns sogar den größten Teil eines Staus bei Bautzen vermeiden.

19:30 Uhr: Auf die urige Schnapskneipe gegenüber wird sinnvollerweise verzichtet und ich beende mein Abendbrot mit Fladenbrot plus Sauce für 1,70€ von der Kinderkarte des Dönerlokals von nebenan.
Der Beatpol hat noch gar keinen Bericht. Krass, aber irgendwie auch verständlich. Da spielt oft recht anspruchsvolle Musik, Pop, Solokünstler et cetera pp und wenn Punk am Start ist, ist das ziemlich oft eher so kommerzielles Zeug. Der Club liegt ansonsten eher an der A4 als in der Nähe von Dresden. Mein letztes Konzert da dürfte Melt Banana oder Kettcar gewesen sein. Da hieß das Ding noch Starclub... Minimum vor 15 Jahren...

19:50 Uhr: Rein in die Bude und 4 witzige Gestalten machen den Einlass. Einer koordiniert, einer scannt, einer reißt ab und einer langweilt sich ob denn noch wer die 35€ spontan aufbringen wird. Hier muss ich kurz mal loswerden, dass ich es ekelhaft finde, dass man auf der Homepage vom Beatpol mittlerweile ausschließlich zu Eventim weitergeleitet wird. Wir sparen bei Loveyourartists (wird bei Motorpsycho vorgeschlagen) mehr als ein Bier pro Karte. Kauft ansonsten bei Saxticket, Brombeershop, Cityticket, Konzertkasse-Dresden und boykottiert diesen Schmutzverein Eventim. Beatpol bekommt bestimmt Geld von denen, aber die Alternativen kann man ja mal aufzeigen. Man spart ja sogar Geld dabei. Geändert hat sich so gut wie gar nix. Saal im oberen Stockwerk, Oldschool-Decke mit Discokugel. Unter einem Parkettboden der knarrt und Staropramen auf der Getränkekarte. Später wird man merken, dass es auch so gut wie keinen Luftaustausch geben wird. Immerhin unterstützt man Putin und feuert schon mal vor Konzertbeginn den Raum ordentlich an...

20:30 Uhr - Die Norweger betreten die Bühne, wie man sehr gut erkennen kann!

20:37 Uhr - Den ersten Song überstanden. Der Sound erzeugt erstmal leichte Vibrationen in meinem Schlüppi. 20:37 Uhr bis 20:43 Uhr - Ein richtig mieser Song mit fürchterlichen Tempowechseln malträtiert mich. Das war auch so komisch asynchron.

20:48 Uhr -Nach einem ganz guten Track mit stoischen Takt wird ein Song von der ersten Platte angekündigt - Der Song ist unfassbar gut! Geht auch höchstens 4 Minuten.

20:53 Uhr - Wir sehen jetzt Posergitarren. Eine Schiene für den Bass und eine als Gitarre? Was man in den Bilder leider überhaupt nicht sieht: Es werden noch visuelle Schnipsel projiziert. Hier dürfte das mit Schwarz-Weiß-Kriegsbildern untermalt worden sein...

Derweil fällt mir auf, dass das Publikum von Motorpsycho echt im Schnitt um die 1,85 Meter groß ist. Wenn mir jetzt jemand demnächst die Sicht versperrt, versuch ich dann wohl ihm eine Nähe zu MOTORPSYCHO in sein Hirn zu verpflanzen. Ich höre mich selber poltern: "Ey Keule, höre doch mal bitte weniger Motorpsycho, will die Band sehen!"

Auf Tour haben die 3 Musikfreaks (ich sag das jetzt einfach mal so) noch hier vorn einen weiteren am Start mit Synthie und weiteren Gitarren ab und zu.

Mit der Weile fällt mir auf, dass die Farbe des Lichts verdammt gut auf die Stimmung der jeweiligen Songs abgestimmt ist.

21:20 Uhr - Das Licht wird "sepiatisch". Dazu reduziert die Band merklich das Tempo zu einer Art Barmusik. Hier denk ich auch, dass der Lichtmensch endlich mal pinkeln gehen kann.

Der erste Song welcher die 10 Minuten knackt. Ich such bei geruhsamen Klängen die Toilette auf, ein neues Atlantic Ale als Bewaffnung und ich geh mal auf die andere Seite glotzen, wo der Altersschnitt dann doch klar die 60 riss. Aber da gabs auf einer Erhöhung auch Tische zum Sitzen. Dort sahen die Leute aus, als kämen sie grad von der Elchjagd aus Lappland. Jagd man denn noch Elche? Ich hab kein Plan...

21:33 Es folgt ein echt cooler Indiesong. Hier konnte ich links hinter dem Vorhang lunschen. Da steht noch ein Bandbegleiter vor einem Gitarrenständer mit gut ein Dutzend verschiedener Gitarren, die er noch für ihn da vorbereitet.

Dann kam irgendwann der schwierigste Part für mich. Eine halbe Stunde rum Hippiemusik für Leute die nicht wahrhaben wollen, dass sie Hippies sind! So psychedelisches Gejamme auf LSD. Das wahr durchaus brutal anzuhören, weil auch die Luftfeuchtigkeit des Beatpols dafür sorgte, dass alles was an der Haut hing direkt auch klebte. Der Applaus des Publikums steigt übrigens mit Länge der Songs. Bei mir kommt jetzt echt etwas Langeweile auf und ich lass meine Blicke schweifen. Im Publikum entdecke ich einen Teenager, der mitgeschleppt wurde. In dem Alter solch komplizierte Musik zu hören, wo man eine gewisse Aufmerksamkeitsspanne brauch - Ich zolle vollen Respekt an den Burschen!

Mittlerweile kommt es mir vor, dass das Bier direkt wieder aus den Poren in den Raum dampft. Das umgeschüttete Flaschenbier verflüchtigt sich im Becher in Rekordgeschwindigkeit, alles klebt, die Luft ist sauerstoffarm und Temperaturen jenseits von noch okay. Das wird jetzt für Publikum und Barpersonal (gut eingespielt) auch ein physisches Erlebnis. Alles hier nur noch am Ausdünsten...

Die Band holt mich heut dann aber auch immer wieder zurück. Bei grünem Licht kam laut Sestra "Greener". Dürfte einer dieser coolen Postpunk-Dancern sein.

22:37 bis 22:59 Uhr Es folgt die Zugabe. Eine. Um die 20 Minuten lang. Möglicherweise "The Wheel". Irre. Ich bin fix und alle. MOTORPSYCHO kann man erlebt haben. Muss man aber nicht. Ich kann den Auftritt ohnehin nicht wirklich werten (weder subjektiv noch objektiv); von der Songauswahl dürfte bis auf die Countryscheibe auch alles an Facetten der Band zumindest gestreift worden sein. Auf der Heimfahrt springt ein doofes Reh nach einer Kurve bei höchstens 50kmh noch unser Auto an. Ich hoffe es erholt sich. Gute Nacht.

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