Turnstile, Pressure Pact, 18.07.2022 in Köln, Palladium - Bericht von der Redaktion
Turnstile, 18.07.2022 in Köln
Naja, jedenfalls spülte der Youtube-Algorithmus mir irgendwann im vergangenen Jahr das Video zur EP "Turnstile Love Connection" wiederholt in den Feed, und spätestens beim zweiten Mal fand ich's dann richtig geil, das folgende Album "Glow On" auch. Aber sowas von! Bock, mir die Band live zu geben, hatte ich trotzdem nur bedingt, denn natürlich war mir der Hype um die Band bewusst, und sowas ist einfach derbe abschreckend. Aber wie das halt so kommt, Peter hat ne Karte übrig und ich krieg doch irgendwie Laune. Obwohl die Show im Palladium stattfindet. Große Halle, mieser Sound, viele Leute, viele Idioten. Das waren noch die positivsten Gedanken, die ich im Vorfeld dazu hatte. Aber ey, egal, Turnstile, einmal dem Hype erlegen!
Spannend bei Konzerten dieser Größenordnung: Die werden tatsächlich bei Twitter diskutiert! Ich hab da mal für euch recherchiert. Gezwitschert wurde sehr viel über den Look des Turnstile-Publikums (traditional Tats, Männer oben ohne, Bauchtaschen, oder dieses Bild, dessen Gag ich nicht verstehe, aber trotzdem lache). Außerdem geht es sehr viel darum, dass Phoebe Bridgers gegenüber im E-Werk spielt und Fans sich begegnen, Konzerthopping betreiben oder nur verwirrt sind. Oh, und um den Merch!
Wie so oft schließe ich mich den Worten von Fö an. Ich hatte bis vor Kurzem noch nie von Turnstile gehört. Dass das Album "Time & Space" vor ein paar Jahren komplett durch die Decke gegangen ist und überall abgefeiert wurde, hab ich nicht mitbekommen. Auch von "Glow on", dem aktuellen Album, habe ich nur durch eine Insta-Story erfahren, in der eine kurze Sequenz aus dem Song Holiday lief. Es brauchte da aber nur wenige Sekunden bis mir klar war, hier passiert etwas Großes. Schnell mal bei Spotify reingehört und ... BUMM! ... es hat mich auf Anhieb so dermaßen aus dem Stuhl geblasen wie schon lange nichts mehr. Das Album wurde daraufhin geordert, ordentlich gesuchtet und als bekannt wurde, dass die Band bald in Köln gastiert, war sofort klar, da muss ich hin, das muss ich sehen. Leider ist Stolly spontan raus, doch Fö übernimmt das Ticket. Glück im Unglück. Was mir heute etwas Sorgen bereitet, sind die vorherrschenden Temperaturen in NRW. Es ist wirklich unerträglich heiß, unsere Dachgeschosswohnung ist nach wenigen Stunden am Siedepunkt angekommen und auch mein Gehirn brodelt schon langsam vor sich hin. Wie soll ich unter diesen Umständen ein Hardcore-Konzert überstehen? Willkommen in unserer Reihe "immer einen Schritt hinterm Hype"! Turnstile hab ich lange ignoriert. Ich hab die immer in diese Testosteron-Windmill-Hardcore-Ecke einsortiert, ein Musikstil den ich nicht wirklich verfolge, weil das hören halt nur Idioten. Hat eine Studie herausgefunden, ich kann da nix für! Außerdem hilft eine solche Einleitung, die Anzahl unserer Leser*innen auf einem erträglichen Maß zu halten.
Es ist wirklich eine Frechheit und sowas von asi für die Vorband. Während Fö also Chubby & The Gang als Support vermutet, über die ich mich auch sehr gefreut hätte, meine ich irgendwo gelesen zu haben dass Citizen den Anfang machen sollen. Wie sich bald heraus stellen wird, liegen wir beide falsch. Was bei Konzerten dieser Größenordnung noch schlimmer ist als bei kleineren: Das quasi nicht vorhandene Informationsmanagement. Glaubt ihr etwa, irgendjemand (weder Laden, noch Band, noch Veranstaltende, noch Tourbooking) hätte irgendwo mal angekündigt, wer Vorband ist? Ich hatte mal irgendwann was von Chubby & The Gang gelesen, aber so sehen die da auf der Bühne nicht aus. Ich find's echt scheiße, derart mit Informationen zu geizen. Und undankbar gegenüber der Vorband ist das auch.
Ich würde die jetzt eher in die Ecke NY-Oldschool HC einsortieren.
Ok sorry. NYHC war mir auch immer zu testo. Die Vorband jedenfalls nennt sich PRESSURE PACT, wie wir nach Lippenlesen zwischen dem niederländischen Akzent (und einem Blick auf den Merchstand) herausfinden. Das ist schon eher die Ecke Testo-HC. So von der Art, dass ich's in nem kleinen ranzigen Keller wohl ganz cool fände, hier wirkt das etwas verloren. Da kann der Sänger noch so sehr über die Bühne tigern, Purzelbäume schlagen und mit seinen Füßen nach Fliegen treten, die über seinem Kopf summen.
Mir gefallen sie ganz gut. Die Lieder sind alle sehr kurz und knackig, erinnern an alte Agnostic-Front-Sachen und sind durchweg sehr punkig. Bei der späteren Recherche entdecke ich noch, dass die Band einen nicht zu verkennenden Oi!-Einfluss besitzt. Schade dass uns dies nicht vorher aufgefallen ist, wir hätten hervorragend darüber diskutieren können, wie hoch der Glatzen- und Hosenträgeranteil sein muss, damit sich eine Band irgendwas von Oi! und Skinhead auf die Fahnen schreiben kann. Pressure Pact wären dabei mit ziemlicher Sicherheit komplett durchgefallen, so viel Haupthaar wie hier vorhanden ist.
Wie gesagt ich find es auch ganz gut, bin aber auch ein wenig froh, dass nicht irgendein Beatdown-Scheiß geboten wird und Songs und Set so kurz sind. Nach einer halben Stunde reicht mir das Ganze dann auch. Zuhause höre ich noch 3x in einer Stunde das Album durch und damit ist die Geschichte von Pressure Pact und mir auch schon zu Ende. Schlagzeugfoto! Beeindruckend, wie da dieser Klotz vor die Basedrum getaped wurde, damit ja nichts rutscht. Richtig gut. Trotzdem muss der Drummer zwischendurch mal was richten. Naja. Band soweit ganz gut.
Vor allem ist die Warterei bei der Hitze hier in der Halle echt eine Qual. Das war echt überflüssig. Ich schwitze alleine beim Rumstehen wie ein Arbeiter im Straßenbau. Mein Blut ist einfach zu dick für diese Temperaturen. Das einzig Gute an der lange Pause ist, dass ich zu dem Vergnügen komme, nochmal auf die Toilette gehen zu können. Hierbei bin ich ganz angetan von dem Einbahnstraßensystem, das sich das Palladium einfallen lassen hat. Es kam wirklich kaum zu Schlangenbildung vor dem WC. Vielleicht sollte sich die Stadt Dortmund, bevor sie mit dem Bau ihres geplanten Parkleitsystems beginnt, mal kurz Rat beim Palladium holen. Wir einigen uns darauf, dass Turnstile um 21 Uhr beginnen, schließlich sind wir hier in einer professionellen Lokalität und da muss alles getimed sein! Hieße dann allerdings, ne halbe Stunde Zeit zu überbrücken. Schlussendlich dauert es aber ne DREIVIERTELSTUNDE! In der Zeit hätte doch locker noch ne weitere Vorband spielen können! Chubby & The Gang zum Beispiel!
Irgendwie hab ich es gewusst, schaut man sich Konzerte von der Band im Netz an, ist dort immer viel Eskalation, es fällt auch einfach sehr schwer bei diesem mitreißenden Sound still stehen zu bleiben. Ich bin trotzdem komplett geflasht als die ganze Halle von vorne bis hinten einfach nur steil geht. Sowas hab ich noch nie erlebt, in 20 Jahren des auf Konzerte gehens, nicht ein einziges Mal! Es ist einfach nur krass. Schaut mal, ob ihr im Netz die Videos vom Konzert findet, die von den Balkonen aus gefilmt wurden. Alleine bei dem Anblick dieser bekomme ich noch jetzt eine Gänsehaut. Wir haben ne ganz okaye Position so im zweiten Drittel der Halle. Immer noch weit weg von der Bühne, aber weit genug um im Beobachtermodus zu bleiben, denke ich jedenfalls. Peter äußert Sorgen, dass bestimmt gleich alle rumspringen. Hier hinten? Komm, nee, niemals! Dann legen TURNSTILE los und alle springen rum. Also jetzt wirklich, ALLE! Knapp 4000 Leute an einem heißen Sommertag in der Corona-Zeit in einer riesigen Halle, und wirklich ALLE rasten total aus! Von vorne bis hinten! Ist das krass! Das erwartet man vielleicht bei ranzigen Kellershows mit 100 Leuten, aber hier??!
AHA-Regeln einhalten? UN-FUCKING-MÖGLICH! Ich bin innerhalb von Minuten nass geschwitzt und ständig kippt mir jemand sein Getränk ins Gesicht, die Schuhe oder über die Klamotten, das alles natürlich während ich unermüdlich zwischen anderen tanzenden und schwitzenden Körpern zerrieben werde. Was ein Wahnsinn! Unsere Gruppe wird natürlich erst einmal zersprengt. Die einen müssen ihre Gliedmaßen wiederfinden, die anderen entschließen sich, fortan als wildgewordener Flummi zu leben, und alles titscht halt irgendwie hin und her. Zwei Minuten vorher hab ich mir noch Gedanken drüber gemacht, ob es nicht vielleicht doch ratsamer wäre, hier drinnen Maske zu tragen, aber nachdem wir alle in literweise Bier und Fremdschweiß gebadet haben, ist das eigentlich auch egal.
Für meinen Geschmack sind die sphärischen Zwischensequenzen etwas zu lang, alle die vor der Bühne hin und her moshen nehmen die Pausen allerdings sehr dankbar an. Ansonsten? Alles geil! Die Songs drücken, schieben und rollen mit ihren fetten Gitarrenwänden und dem druckvollen Schlagzeug genauso wie auf Platte, nein... vielleicht sogar noch ein Stück weit mehr! Wenn das jemanden hier anwesenden kalt lässt, der oder die muss innerlich tot sein! Konzert: Packt mich total! Macht richtig Bock! Absolutes Highlight, wie hier alle ausflippen ey. Bei den sphärischen Pop-Ambient-Passagen sogar noch mehr als bei den Hardcore-Stampfern. Macht Laune! Und nachdem die anfänglichen Mega-Wellen abgeflacht sind, ist sogar ein wenig Platz zum Tanzen. Was nicht heißt, dass nicht auch weiterhin wirklich ALLE hier genau das tun.
Ich glaub insgesamt waren es nur drei oder vier Songs, die nicht vom aktuellen Album waren. Gespielt werden natürlich zum Großteil Songs des aktuellen Albums, was ich voll okay finde, das ist schließlich ein totales Monster. Für mich fast auf einem Level mit Gallows' "Grey Britain", wenn auch ganz anders.
Songauswahl lässt keine Wünsche offen. Von Blackout (zu Beginn), Holiday, Mystery, Underwater Boi und dem überdrehten Wild Wrld, bis hin zu Don´t Play, das Bad Brains mit Samba-Rhythmen vermischt, ist alles dabei!
Schön finde ich, dass die Band manchmal, durch die sparsame Beleuchtung auf der Bühne, in den Hintergrund rückt, nur noch als Schatten-Silhouette zu erkennen ist und in diesen Momenten der Fokus komplett auf der Musik liegt. Zugegeben, der Sound könnte vielleicht besser sein, was mir aber egal ist, solang alles andere geil ist. Die Band geht teilweise etwas unter wenn man sich zu sehr auf das Gemoshe vor der Bühne konzentriert. Trotzdem schaffen es alle Musiker, immer mal Akzente zu setzen. Der Leadgitarrist hat sogar ein eigenes Spotlight wenn er Soli spielt. Eigentlich ultra peinlich, aber heute werden sämtliche Parameter anders gesetzt, heute find ich's geil!
Ansagen wenig bis hin zu so standard "ja, ihr seid voll geil, bestes Konzert, wir kommen wieder, blabla", so in dem Stil. Dafür stimmt alles andere, Musikalisch ist das schon feinstes Tennis!
Mich hat es derweil so durch die Gegend geschleudert dass ich den Rest der Mitreisenden verloren habe, ergo ist auch niemand da der oder die mich auf die Schultern nehmen möchte, wenn ich mir die triefnassen Gestalten um mich herum, genau anschaue, bin ich auch nicht wirklich scharf drauf einen dieser tropfenden Fleischsäcke auf den Schultern zu balancieren. Am Ende, vor T.L.C., geht es um "Love", also sollen alle ihre loved ones auf die Schulter nehmen. Steffen schaut mich mit Hundeaugen an, aber ey, ich bin alt, Rücken und so!
Ich war schon auf einigen Hardcore-Shows in meinem Leben, aber rückblickend muss ich sagen dass ich so eine Eskalation wie heute noch nie erlebt habe. Weder auf einer der Hardcore-Shows noch sonst irgendwo! Heftig! Ich glaub, viel länger hätte das Publikum das Tempo auch nicht mitgehen können, ohne dass ein Rettungswagen den Bereich vor der Bühne evakuiert hätte. Sollte die Band irgendwann mal wieder in der Gegend sein, ich bin wieder am Start, so viel ist sicher. Gute Stunde Spielzeit, voll okay, hab nicht mit mehr gerechnet, bin satt (also musiksatt) und zufrieden. Don't believe the hype, aber Turnstile, das war ganz stark!