Kochkraft durch KMA, Liser, 21.10.2022 in Bochum, Rotunde - Bericht von der Redaktion
Kochkraft durch KMA, 21.10.2022 in Bochum
Irgendwie steht dieser Tag unter keinem guten Stern. Ich komme nicht in die Gänge, kann mich für nichts entscheiden und dann kotzt die Katze auch noch alles voll. Läuft. Aber egal, ich habe Tickets für KOCHKRAFT DURCH KMA, es kann also nur besser werden. Finally on tour: Kochkraft durch KMA! Das hat jetzt schon mehrere Anläufe gebraucht und auch von der aktuellen Tour mussten die ersten Termine wegen dem großen C abgesagt werden. Damit die restlichen nicht auch noch wegen geringen VVK-Zahlen dran glauben müssen, plündern wir unsere Sparschweine und fahren nach Bochum. Aber wie sich herausstellen sollte, war es dann doch recht voll. Nur nicht, als wir ankommen. Leichtgläubig wie wir sind, verließen wir uns auf die Angabe "Einlass 18:30, Beginn 19:30" und stehen dann erstmal vor verschlossenem Laden.
Vorband heute - ah nee, Moment, ist "Band" der richtige Ausdruck, wenn es nur eine Person ist? Verwirrend das alles! Wie auch immer. Vor-Act heute ist LISER. Wie Loser, nur mit i, werden wir im Laufe des Auftrittes erfahren. Aber trotzdem nicht englisch ausgesprochen, wäre das auch geklärt. Wir erfahren auch, dass wir sie aus dem Internet kennen.
Ich bin tatsächlich schon mal in diesem Internet über LISER gestolpert, hat mich musikalisch nicht wirklich abgeholt und so Beats aus der Konserve, wo dann eine:r drüber rappt, find ich live eher öde. Aber jetzt bin ich halt hier, dann gucke ich mir das auch an. Musik ist wahrscheinlich Rap. Es gibt Sprechgesang, es wird aber auch mal mit Melodie gesungen, dazu kommen Beats aus diesem Zauberkasten namens Laptop. Was schon mal ein Setting ist, an das ich mich gewöhnen muss. Also, abgesehen davon dass ich das eh muss, weil es halt Rap ist.
Absolut. LISER braucht ungefähr fünf Minuten, um all meine Vorurteile zu entkräften. Das liegt zum einen an ihrer einnehmenden Bühnenpräsenz und der tollen Stimme (krass, wie lange man so'n Ton halten kann) zum anderen daran, dass die Songs live sehr viel druckvoller klingen. Auftritt kommt aber echt gut. Sympathisch und witzig. Texte so zwischen persönlichen Problemen (glaube es geht oft um Boys) und globalen Problemen (z.B. Kapitalismus). Faszinierend, wie schnell sie das Publikum im Griff hat. Irgendwann singen alle im Kanon darüber, auf ein Auto zu spucken. Verrückt!
Wie erfrischend manche eigentlich schon lange überstrapazierten Inhalte doch sein können, wenn man sie einfach mal aus einer anderen Perspektive erzählt bekommt. Und während viele Rap-Dudes in ihren Texten über ihre Riesenschwänze und die Anzahl der Bitches, die sie damit beglückt haben, berichten, rappt Liser lieber über die Vorzüge des "Satisfyer Pro".
Das ist echt Wahnsinn! Die Rotunde ist ganz ordentlich gefüllt und so ziemlich alle gehen vom ersten Ton an mit. Was Sängerin Lana nach 2 Songs zu der Ansage verleitet "normalerweise heizen wir jetzt die Leute richtig ein, aber das müssen wir ja gar nicht mehr!" KOCHKRAFT DURCH KMA starten direkt auf die Überholspur mit "Wir fahren schnellerer" vom neuen Album "Alle Kinder sind tot". Das Tempo ist also schon mal klar! Und mir fällt es auch direkt schwer, ruhig stehen zu bleiben, also gebe ich alle Widerstände auf und lasse mich fallen. Sehe nicht nur ich so, wenn ich mir die wogende Menge um mich herum ansehe, schon lange kein Konzert mit so einer guten Stimmung mehr erlebt. Alle tanzen, keiner nervt und auf der Bühne herrscht dieselbe positive Energie, wie davor.
Puh ich merk schon, ich muss mich auch mal mit dem Konserven-Output der Band befassen! Bisher liefen Kochkraft bei mir unter "live super, von Platte so lala", aber so inbrünstig wie die Leute hier mitfeiern steh ich damit wohl alleine da. Überhaupt, KOCHKRAFT DURCH KMA, endlich mal wieder eine Band, die mich richtig mitreißt. Und nur Hits am Start: egal ob ältere Stücke wie "Du bist doch hier oben", "Panzer", "Endlich Läuse", "Luke, ich bin dein Nachbar" oder die Songs der neuen Platte wie "Tanz mit Attitüd'" oder "Auf jungen Stuten lernt man fluten", knallt live alles mega.
Wer schon mal in der Rotunde war, kennt vielleicht dieses Dezibelmessgerät das da unter der Decke hängt. Kochkraft durch KMA klären dazu auf: Anscheinend hat die Stadt Bochum verfügt, dass der durchschnittliche Lärmpegel einen bestimmten Wert nicht überschreiten darf. Was ja im Umkehrschluss heißt, dass man ruhig sehr laut sein darf, sofern man danach auch wieder sehr leise ist! Das wird heute auch hin und wieder versucht. Leise klatschen! Leise mitsingen! Leise tanzen!
Neben dem ganzen Schabernack, den die Band auf und vor der Bühne treibt, verknüpft sie ihre treibenden Beats immer wieder mit politischen Statements, ohne ins Parolenhafte abzudriften, oder die Moralkeule zu schwingen. Und die teils schräge Unsinnspoesie in den Texten erweist sich als pointierte Alltagskritik.
Dieses Quirlige ist echt unfassbar mitreißend. Keine Sekunde, in der nicht irgendwas passiert, und das ohne dass das alles zu geplant oder aufgesetzt rüber kommt. Bin sehr begeistert! Außerdem ist hier auch dauernd was los, mal begeben sich Sängerin und Schlagzeuger für einen Song ins Publikum, oder der Tonmann greift zur Gitarre und haut ein Solo raus.
Influencer:innen hassen diesen Trick" auch live mit Feature von Liser. Starker Song! Ich sollte mir die neue Platte wirklich mal anhören. Kriege jetzt erst mit, dass da tatsächlich Antitainment zitiert werden. Geil!
Die aktuelle Single "
Gibt auch ein paar Mitmach-Spielchen. Ich bin ja kein Mitmach-Typ, aber offenbar bin ich mittlerweile so euphorisiert, dass ich bei dieser Aktion hier ebenfalls in die Hocke gehe und fröhlich "Du bist der Tonmann, du musst den Ton anmachen" skandiere.
Nebenbei werden auch noch diverse Handys konfisziert, die nach dem Konzert natürlich alle wieder an ihre Besitzer:innen ausgehändigt werden. Schätze ich zumindest. Richtig verrückt wird es, als Beray bzw der "Knabe", uns einfach mal eben alle rausschickt. Also raus ins Foyer, während der Konzertraum immer leerer wird. Und da wird auch die Lichtfrau rausgeschickt. Und der Tonmann. Irre!
Schon ganz witzig, wie wir alle dastehen und aussehen wie Pik 7. Irgendwann dürfen wir dann wieder rein zum Grande Finale und mit "Eins zum Lieben, eins zum Laster" senkt sich der Vorhang über diesen fantastischen Konzertabend. Foto von verwirrten, aber fröhlichen Menschen, die darauf warten, dass sie wieder reinstürmen dürfen.
Nach knapp 90 Minuten Dance-Work-Out bin ich aber auch wie aus dem Wasser gezogen. Vielleicht sollte die Band mal über Handtücher als Merch nachdenken. Ich würde eins kaufen. Auf dem Rückweg lernen wir in der S-Bahn noch Christian Schütte kennen, finden aber nicht raus, wer das ist. Zumindest die Oespeler Jugend scheint dieser Mensch schwer beeindruckt zu haben. Stellt sich zum Abschluss die Frage: hört die Jugend noch Musik und wenn ja, was? Falls ihr die Antwort wisst, schreibt sie in die Kommentare, es gibt auch nichts zu gewinnen.