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The Mary Wallopers, 21.11.2022 in Düsseldorf, The Tube - Bericht von tenpints

The Mary Wallopers, 21.11.2022 in Düsseldorf

Im Jahre 2020 verändert sich mein Leben so radikal wie es noch 2019 kein Schwein, am wenigsten ich selbst, für möglich gehalten hätte: Meine alte Liebesbeziehung - Punk-Konzerte, Bier - wird durch eine neue - Live-Streams, eine Frau - ersetzt. Ich denke, es versteht sich von selbst, dass das eine gewisse Umstellung in meinem Gefühlshaushalt bedeutet. Panisch suche ich  plötzlich das Internet nach Möglichkeiten ab, zumindest vorübergehend in meine alten vertrauten Gefilde zurückkehren zu können, und finde The Mary Wallopers - die Brüder Charles und Andrew Hendy und ihren Freund Sean McKenna; drei Iren aus der Grenzstadt Dundalk, in die der Geist Luke Kellys eingefahren ist, und die auch von Shane MacGowan und The Pogues durchaus einmal gehört haben. Irish Folk also, der mit dem, was hierzulande darunter bekannt ist, so gut wie nichts gemein hat, dafür sehr viel mehr mit der irischen Arbeiter- und Rebellenbewegung und den verzweifelt schönen Volksliedern der einfachen Bevölkerung eines vormals kolonialisierten Landes mit reicher Geschichte. Und mit Punk - die Gebrüder Hendy jedenfalls waren vor ihrer Folk-Karriere bekannt als das Rap-Duo TPM und hatten schon in dieser Eigenschaft sozialkritische Lieder voller DIY-Spirit aufgenommen. Da sie aber eben auch brillante und urwüchsige Folk-Sänger sind und man damit ganz offensichtlich - die Freunde von LANKUM haben es vorgemacht - ganz gut Karriere machen kann, haben sie die Mics an den Nagel gehängt, sich Saiteninstrumente und die Bodhran-Trommel umgeschnallt und wunderbar anarchische Live-Streams aus ihrem Party-Schuppen auf YouTube gemacht. Und nun, endlich, ihr Debüt-Album draußen, vier weitere Musiker dabei und eine Menge echter Live-Shows vor der Brust, in UK, Benelux, Irland - und Düsseldorf!
An einem Montagabend ist in der Düsseldorfer Altstadt zur Weihnachtsmarktzeit richtig was los, stelle ich fest, als ich nach der Arbeit und zwei Stunden Fahrt mit Stadtbahn und RE endlich angekommen bin. Im Tube hingegen kurz vor Beginn des Konzerts noch nicht so sehr. Ich genieße deshalb noch ein Bierchen am Rhein, wo ein Riesenrad für London-Atmosphäre sorgt. Jetzt schon ein wundervoller Ausflug. 
Auf dem Weg zum Tube bin ich schon an vier Irish Pubs vorbei gekommen, und zwei davon sahen sogar richtig gut aus. Einer liegt direkt neben dem Tube, und Charles Hendy betritt ihn just in dem Moment, in dem ich aus der Altbier-Studentenkneipe gegenüber komme, wo ich ein Kürzer Alt verkostet habe, das allerdings unangenehm muffig schmeckt. Oder liegt mein Unbehagen daran, dass ich offenbar doppelt so alt bin wie alle anderen in dieser Kneipe?  
So ist das also, wenn man ein alter Mann ist - man lässt mitten in der Woche Frau und Kind schamlos allein, um in Düsseldorf saufen zu gehen. Sean McKenna hat dieses Problem nicht, und darüber singt er stets das Lied "Love Will Never Conquer Me", in dem es darum geht, wie schön es ist, ein Single zu sein. Tja, der Zug ist abgefahren, denke ich, und singe trotzdem mit, weil es gar nicht anders geht - der Song ist einfach zu gut.
Als siebenköpfige Band sind die Mary Wallopers endgültig im Folk Punk der mittleren 80er angekommen, es gibt neben Schlagzeug und Bass auch noch Akkordion und Tin Whistle zu hören - "Red Roses For Me" lässt grüßen, und zusammen mit der Atmosphäre, die die Altstadt in dieser Ecke und in diesem wundervollen Laden bietet, ist auch für mich das Zeitreise-Gefühl komplett.
Vor allem das Schlagzeug katapultiert den Klang der Band in ganz andere Ebenen - hier intoniert McKenna den Song "The Hackler", der schon auf Platte (mit Bodhran) unfassbar intensiv ist, aber live mit Schlagzeug nochmal zehn Schüppen drauf packt. Die 30-40 Anwesenden und ich sind komplett ergriffen.
Ich habe kein Bild von Charles Hendys Interpretation von "Building Up And Tearing England Down", dem alten tragikomischen Dominic-Behan-Song über das Leid der irischen Gastarbeiter in England, und das liegt einfach daran, dass dieses Lied in dieser Form so unfassbar schön und traurig ist, dass ich es einfach nicht hinkriege. Das Publikum singt mit, es ist ein Traum. "I remember Carriеr Jack he wore a hod upon his back /
And he swore he'd one day set the world on fire / 
His face we've never seen since his shovel it cut clean / 
Through the middle of a big high tension wire / 
And I saw auld Balls McCaul, from the big flyover fall / 
Into a concrete mixer spinning round / 
Though it was not his intent, he got a fine head of cement / 
When he was building up and tearing England down"
Bei Bassistin Róisín Barrett muss ich mich entschuldigen dafür, dass ich kein Bild ihres neuen Trendsetter-Moves gemacht habe (zu sehen auf ihrem Instagram-Account), aber sie macht einfach in jeder Pose eine gute Figur. 
Auf dem Debüt-Album übrigens ist sie auch drauf, aber nur auf drei Songs, was ich mit jeder Sekunde, die hier verstreicht, mehr bedauere; glaubte ich zuvor, dass das Album mehr oder weniger perfekt ist, will ich nun wesentlich mehr Songs von der Band in voller Besetzung hören! "Lots Of Little Soldiers" - ein Anti-Kriegs-Lied in kriegerischen Zeiten, so muss das sein - etwa haut nochmal zehn Spuren mehr rein als auf Platte. 
Der absolute Höhepunkt ist für mich aber eine Ausnahme von der soeben geäußerten Meinung: Andrew Hendys Version von "John O'Halloran", nur er und die Bodhran, und mit der Atmosphäre, die da geschaffen wird, könnte er ein ganzes Stadion füllen. Am Ende schlägt er mit voller Wucht auf sein Instrument ein, und das ganze Leid der irischen Bevölkerung unter dem Joch des englischen Imperialismus bricht sich Bahn.
Am Ende spielt die Band selbstverständlich noch "Cod Liver Oil & The Orange Juice" von Hamish McImlach, ihren kleinen Hit, und mit "All For Me Grog" wird nach einer Stunde das Konzert für meinen Geschmack etwas zu schnell schon beendet, denn das Repertoire gäbe noch so viel mehr her, und ich könnte ihnen stundenlang zuhören und zuschauen. Immerhin komme ich so noch bequem mit dem RE11 recht früh nach Hause, was nicht nur die Familie freut, und mit einem sehr zufriedenen und dankbaren Gefühl im Herzen schlafe ich dann ein.

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Band:
The Mary Wallopers
Konzertberichte: 1

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