Surge Of Fury, Soulprison, Wrecked Culture, No Escape, 08.02.2025 in Biberach, Abdera - Bericht von der Redaktion
Surge Of Fury, 08.02.2025 in Biberach
So unverfänglich starten schräge Filme…
Jedenfalls sammel ich Lux kurz vor Acht am Bahnhof ein und wir wackeln ins Abdera.
Die erste Band spielt schon, die Leute stehen bis zur Einlasstheke. Was ist denn hier los? Ausverkauft? Ein kurzer Blick in Richtung Bühne zeigt den wahren Grund.
Es sind „Solokünstler“ im Publikum! Die ca. 100m2 zwischen Bühne und Mischpult sind faktisch leer. Es stehen nur U-förmig am Rand entlang ca. 30 Personen.
Ich geh ja echt schon lange auf Konzerte, mein Erstes mit ungefähr 15 dürfte auf ca. 1992 datieren. Aber das, was jetzt folgt, hab ich so noch nicht gesehen.
Sporadisch löst sich ein Mensch aus der Reihe und turnt, springt, akrobatikt sich rad-schlagend durch den Raum, um nach wenigen Sekunden wieder in der Reihe der Zuschauer zu verschwinden.
Alles in allem wirkt das auf mich nicht wie ein Konzert sondern maximal wie eine tough-guy Selbstdarstellungs-Show. Mit Elementen aus rhythmischer Sportgymnastik und Bodenturnen, einem drittklassigen Breakdance-Battle unterbrochen von Square-Dance Einlagen und einer Portion Schulhofschlägerei.
Zudem finde ich es ziemlich asozial, dass 30 Leute 100m² Platz beanspruchen, in den sich kein normaler Konzertbesucher reintraut aus Sorge um Brille, Schneidezähne und Kaltgetränk, wohingegen sich die restlichen 50 Besucher auf den 20m² zwischen Mischpult und Bar zurückziehen müssen. Aber hey, immerhin sind die Wege kurz, um ein neues Bier zu holen!
Zwischendrin rätseln Lux und ich, ob das Publikum uns nicht schon längst für Zivibullen oder die Eltern eines der Kids halten, die sich vorne drin auf die Mütze geben, weil wir uns vermutlich komplett auffällig benehmen.
Da legt er direkt los mit dem Bericht, der gute Löd. Dabei wollte ich auch noch mein Vorwort in diesen Bericht reinwindmühlen (erfundenes Wort). Eigentlich will ich nicht damit starten was für ein cooler alter Hardcore- oder Hardcore-Punk-Veteran ich bin aber irgendwie doch, denn da komm ich her: Erste Konzerterlebnisse gab es in Herrenberg, Nagold und Tübingen. Wilde Moshpits mit MDC, der Sänger von SNIFFING GLUE welcher sich mit dem Mikro regelmäßig den Schädel aufschlug, Bierduschen bei ZERO MENTALITY und VITAMIN X, cirle pits und belebtes Menschenchaos im Juha oder im Epplehaus und dann noch die ganzen Festivals, be-part, Hardcore Winterfest usw. usf. Da gab es für mich zum ersten Mal vegane VoKü, linke Organisationen hatten einen Info-Stand, Merch-Tische voller Siebdruckkram und selbstbeklebten Tapes. Viele Powerviolence-, Grindcore- und NYHC-Bands wurden geglotzt und auch häufig mit allen Beteiligten völlig chaotisch abgefeiert und für geil befunden (teilweise mit Konfettikanonen, Luftballons und völlig irren Verkleidungen). Und auch mit BAVARIA BOOTSKIOSK spielten wir eigentlich fast nur mit solchen Bands. Auf meinem Label erschienen damals in Kooperation OVER THE TOP oder die SOVIET NUNS. In meiner Erinnerung liefen Live-Shows meistens rücksichtsvoll ab: Es wurde geschubst und gedrängelt und getanzt und auch mal rabiater getackelt und gedrückt. Fiel mal eine*r um, wurde ihm/ihr aufgeholfen und es gab immer das Gefühl, dass man gemeinsam einem Subkulturereignis beiwohnt und dieses bei Gefallen auch genießen und dazu feiern möchte und das in einer großen Traube aus Menschen die sich von links nach rechts und wieder zurück vor einer kleinen Bühne bewegt von der aus irgendjemand runterschreit. Erst kürzlich hörte ich von dem Begriff Crowdkilling und zwar im Plattenschau-Podcast, in welchem die Sängerin Janika von PRISON OF HOPE zu Gast war und erzählte wie schwer sie sich immer noch mit diesem tough guy-Abgemackere im Hardcore tut. Da habe ich ihr vor dem Radiogerät kopfnickend zugestimmt. Einige Tage später spülte es mir dann auf Instagram ein paar Reels von der BCHC Konzertgruppe Biberach in die Timeline und ich fühlte mich endgültig wie der hinterletzte Boomer der die Welt nicht mehr versteht: Gezieltes und willkürliches Auf-die-Fresse-schlagen inklusive Ausholen, stellenweise völlig unvermittelt von ein paar aufgepumpten oder übermotivierten Selbstdarstellern, die das Ganze dann in den Kommentaren als wahre Bro-Love feierten als wären sie die hinterletzten Höhlenmenschen (Höhlenmänner), kritische Stimmen wurden mit "das war schon immer so auf Hardcoreshows" abgewunken. Eigentlich hatte ich immer mega Bock gehabt mal in Biberach vorbeizuschauen seit ich in die Region gezogen bin, vor allem weil sich der Laden als sehr progressiv, aware und offen darstellt. Junge Leute die eine eigene Konzertgruppe starten und regelmäßig überregionale Bands einladen für einen mehr als fairen Eintrittspreis, da schlägt mein DIY-Herz direkt höher. Und das Bild vor dem Laden bestätigte erstmal meine Vorfreude. Da standen echt viele Besucher*innen, quatschten und tranken Bierchen und die Stimmung war wirklich cool. Boomerkommentar Nr.X: Kaum jemand hing am Smartphone. Echt wahr.
Aber jetzt mal noch zum eigentlichen Grund des Besuchs, den Bands: Eine Kurznachricht reißt mich am frühen Abend aus der Lethargie. Lux schreibt: „Hättest Du heute spontan Bock doch mal in Biberach nach dem Rechten zu sehen?“
Nach Betreten vom Abdera komme ich mir direkt ein bisschen beobachtet vor. Entweder weil wir so alte Wichser sind oder weil wir uns nicht an irgendeine für uns unbekannte Etikette hielten. Als wären wir undercover auf einem Rechtsrock-Konzert. Der Opener NO ESCAPE hat ein zumindest interessantes Line Up. Drums. Gitarre. 2x Vocals. Fast schon avantgardistisch?
Das war so geil stumpf. Ich musste die ganze Zeit lachen. Der Gitarrist sah so aus als müsse er nach dem Konzert noch dringend auf ein Fortnite-Turnier. Irgendwie nett, wenn auch musikalisch natürlich unerträglich. Außerdem ist die ganze Zeit das Saallicht an. Ist die Abi-Party schon vorbei? Die Schulband schwoft doch noch. Musikalisch überzeugt es mich aber nicht. Zu Monoton und zu eindimensional. Könnte am spartanischen Line Up liegen. Is aber auch egal. Will mir da gar nicht mehr Gedanken machen.
Absolut spitze! Mich freut es ja, dass der klassische 90er-Crossover-Sound wieder Einzug hält in die Rockmusik (auch von der ganzen Ästhetik her mit diesen Graffiti-Logos). Also zumindest live bockt das total wie ich finde. Es wird zwischendurch ein Cover angekündigt. Ich hoffe auf "Opelgang", der Löd tendiert eher zu den Beatles. Wir liegen beide leider falsch. WRECKED CULTURE kommen in einer normalen Besetzung auf die Bühne. An den Vocals eine weiblich gelesene Person, die eine unglaubliche Stimme hat.
Das Rad wird musikalisch nicht neu erfunden. dafür wird auf der komplett freien Tanzfläche hin und wieder ein Rad geschlagen. Wahnsinnig schade wie exklusiv sich das alles anfühlt. Löd und ich stehen hinter dem Mischpult. Daneben oder davor hätte ich furchtbare Angst um mein (sehr teures) Zahnimplantat.
Du hast ein Zahnimplantat? Wie so ein Gangster Rapper? Gefährlich! Von tiefen Growls bis zu hohen kreischenden Shouts ist da alles dabei. Mein lieber Scholli. Der Rest der Band haut mich nicht vom Hocker, aber der Gesang sticht positiv heraus.
Ein Typ verliert während einer wuchtigen Aktion (haut einer Person im Publikum volle Kanne in den Ranzen) seinen Tunnel. Das ist kein Witz. Der Tunnel fliegt aus dem Ohrloch direkt in seinen Nacken und bleibt dort kleben. Als er es bemerkt, läuft er wild durch die Gegend und fragt die Leute am Rand ob sie seinen Tunnel gesehen haben. Während ich das hier schreibe lache ich mir schon wieder den Arsch ab. Ich war auf jeden Fall sehr gut unterhalten, die Bands spielten auch wirklich straffe Sets. So etwas ist sehr zu begrüßen. Ok ich mach keinen Hehl draus, dass ich mit dieser Veranstaltung so meine Schwierigkeiten habe. Ich korrigiere: dass ich mit dem Publikum vor dem Mischpult meine Schwierigkeiten habe.
Ja nun. Stuttgart. Aus Stuttgart kommt nur geiles Zeug und jede*r weiß das. SOULPRISON überzeugen mich auch sofort, das liegt aber vor allem daran dass das musikalisch näher am Thrash-Metal als am Bollo-Hardcore ist. Löd beugt sich zu mir rüber und sagt: "Stell dir das alles mal ohne Ton vor." Vor Lachen läuft mir ein bisschen Bier aus der Nase. Obwohl mir das Dargebotene gefällt fühle ich mich so beim Rumstehen wie der auffälligste Zivibulle der Welt. SOULPRISON begeistern mich vom ersten Ton. Endlich auch mal Melodien! Zwei Gitarren bieten dafür auch einfach mehr Möglichkeiten.
Hier hat man das Gefühl die Musiker auf der Bühne möchten gemeinsam ein Lied spielen. Der Sozialpädagoge in mir spricht ein lobendes "Weiter so!" aus. Auch das Songwriting ist besser, strukturierter. Nicht nur eine beliebig wirkende Aneinanderreihung von Parts, was mir bei den vorherigen Bands so vorkam.
Nimmt sich alles wieder wahnsinnig ernst und möchte noch männlicher und tougher sein als jede Fankurve voller Ultras. Den Stelzböcken im Publikum gefällts, gemeinsam vollführen sie ihre Balztänze. Und hauen wieder wahllos in Richtung der umstehenden Zuschauer*innen. Die Toiletten befinden sich im Abdera sehr nah an der Tanzfläche, das macht jeden meiner Klogänge zu einem Nahtoderlebnis. SURGE OF FURY aus Belgien fällt für mein Gefühl wieder deutlich ab. Die Songs wirken beliebig und der Sänger versucht vor jedem Song das Publikum zu animieren „Show me your best move“ oder versucht einen Circle-Pit zu initiieren.
Diese dauerhaft schwelende Aggression könnte man doch einfach auch an ein paar Nazis rauslassen. Einmal kurzzeitig führt es zu einem 4-Mann-Pit - aber mehr ist nicht drin. Es wirkt sehr bemüht und mich langweilt es dann doch recht schnell, vor jedem Song so ne Ansage zu hören. Die Leute haben halt anderes/nix im Sinn, also lass doch gut sein!
Wir verabschieden uns kopfschüttelnd vom Ort des Geschehens. Ich gondel Lux zum Bahnhof und fahr dann – mit dem Versuch den Abend einzuordnen – immer noch leicht irritiert nach Hause.
Ich hätte direkt Bock gehabt mit dem Typen eine Diskussion über die politische Integrität von Phil Anselmo anzufangen, aber musste auch erstmal richtig klar kommen. Einerseits richtig stark dass so etwas noch möglich ist: Eine wahnsinnig tolle Location mit mit Provinzpunk-Vibe, aktive Menschen jenseits der 30 oder 40 die Bock haben und das hochziehen und auf der anderen Seite solch ein ausladendes Show-Element das nur zur Profilierung von 5, allerhöchstens 7 Menschen dient. Der Rest steht drumrum und versucht keine Faust oder einen Schuh ins Maul zu bekommen und selbiges würde ja nicht mal ausversehen passieren. In der Ballonfabrik in Augsburg hängt ein Schild neben der Bühne auf dem "No Kung Fu Fighting" steht, das täte dem Abdera evtl. auch ganz gut, dann würde ich auch wieder kommen. Musikalisch fühlte ich mich nämlich sehr gut unterhalten. Dass wir heute hier völlig falsch sind, wird abschließend und endgültig dadurch manifestiert, dass nach der Show ein ein Konzertbesucher auf uns zukommt und fragt, ob wir denn Pantera kennen? Keiner in seiner Gruppe war wohl sattelfest mit 90s Groove Metal. Wir zwar auch nicht, aber für uns pre-Rentner war das wenigstens zeitgenössische Musik.