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„In Black’N’Red“ – so verheißungsvoll tituliert die englische Gypsy-Voodoo-Blues-A-Billy-Band The Urban Voodoo Machine das aktuelle, zweite Album. Die neunköpfige Musik-Hydra aus London verspritzt dabei ein ganz gefährliches Soundgift, das süchtig machen kann und
von der Combo selbstbewusst als „Bourbon Soaked Gypsy Blues Bop’n’Stroll“ definiert wird …
Diese Band, oder besser gesagt, diese neunköpfige Musik-Zigeuner-Cabaret-Truppe scheint direkt einem feuchten Traum von des Teufels Großmutter entsprungen zu sein: The Urban Voodoo Machine ist eine gut gekleidete, trinkfeste, ebenso lebenslustige wie liebesgierige „Jahrmarkthure“ mit ganz eigenem Style: Der Sound der neunköpfigen Musik-Hydra ist schmierig, aber elegant, dunkel, aber erhaben, teilweise rockabillyinfiziert, aber in melancholischen Momenten auch sehr stark blues-lastig – richtig fieser Voodoo-Burlesque-Blues eben! Und der Titel des Debütalbums aus dem Jahr 2009 bringt alles auf den dunklen Nenner: „Bourbon Soaked Gypsy Blues Bop’n’Stroll“, so „klingen wir, das sind wir, im Studio und live im Scheinwerferlicht“, flüstert Sänger Paul-Ronney Angel mit lässigem Grinsen im Gesicht. Dabei zupft sich der ursprünglich in Norwegen geborene Wahl-Londoner genüsslich mit dünnen, beringten Fingern am schwarzen
Zigeunerbärtchen. „Nachdem ich 2002 angefangen habe, erste Demos zu produzieren, suchte ich einige Zeit lang im Londoner Underground nach verwandten Seelen“, erinnert sich Angel nostalgisch zurück. „Ich brauchte echte Musiker, die sich mit Leib und Seele dem dunklen Sound verschreiben wollten, der mir vorschwebte; eine Mischung aus all den Einflüssen, die meine Seele in Wallung bringen, vor allem Blues, Zigeunermusik, Jazz, Mariachimusic, aber eben auch schmutzig-schweißtreibender Rock’n’Roll und eine deftige Prise Punk. Stell dir das als einen Cocktail vor, der in einem dämmrigen Burlesque-Etablissement serviert wird – so etwas wollte ich kreieren!“
Der Clan der Burlesque-Vampire
Das finstere Herz der Combo bildet seitdem eine Truppe aus neun kongenialen Musikern, die auf dem Weg zur Bühne wie eine Jahrmarktsmusikantentruppe aus jahrhundertealten Vampiren aussieht, eher einer erschworenen Clan-Gemeinschaft als einer Band gleicht. „Offiziell sind wir neun Mitglieder, zuweilen wächst die Mannschaft aber auch auf bis zu dreizehn Künstler an“, erklärt Paul-Ronney Angel stolz, „dazu zählen z.B. auch Sami Yaffa von den New York Dolls, Harmonica-Legende Adrian Stout von The Tiger Lillies oder Jim Jones aus der Jim Jones-Revue“, eine Band, die dem DYNAMITE bestens bekannt ist. Die unzähligen morbiden Musikerfiguren bedienen neben klassischen „Folterinstrumenten“ wie Gitarren, Schlagzeug oder Stand-Bass auch die Bouzouki, dazu gesellen sich als musikalische Begleiter Mundharmonika, Akkordeon, eine Teufelsvioline, Trompeten und Mariachi-Maracas neben vielen weiteren
Gerätschaften wie beispielsweise Piano, Mandoline, Saxofon, Tuba oder Banjo. Sogar abartige, schräge Instrumente wie „leere Whiskeyflaschen, Waschbretter, singende Sägen, chinesische Gongs oder tie-racks“, verrät der Band-Großmeister, finden einen Platz im Schatten der Bühnenlichter.
Music for men ’n’ women in black ’n’ red …
Darüber hinaus bietet The Urban Voodoo Machine nicht nur ein vielgesichtiges, fratzenhaftes, teuflisches Musikfeuerwerk, auch style-technisch hebt sich die Truppe selbstbewusst und stilsicher vom Rest des Musikbusiness ab: Als traditionelle „Arbeitskleidung“ kommen nur schwarze Anzüge der Marke „Six Feet Under“, also im Stile eines klassischen Beerdigungsinstituts, infrage. Als zweite zentrale Farbe neben Schwarz gilt nur die Farbe Rot als erlaubt, für Hemden beziehungsweise Shirts. In dieser Kombination symbolisieren die Kleiderfarben somit die Farbe der Nacht und des Blutes, zwei zentralen Themen in den Texten der Band. Zwar schwitzt die Truppe auf der Bühne in ihren Anzügen und roten Hemden mit Spitzkragen, aber der Schweiß demonstriert zugleich auch das dritte Fluidum, neben Blood und Tears, welches das dunkle Mühlrad der Voodoo-Machine am Laufen hält: Sweat, Schweiß! Und der steht für puren sex on stage! „Auf der Bühne kann alles passieren“, lächelt Angel diabolisch, „denn alles ist Interaktion zwischen Band und Auditorium – ein Austausch von Energien und Flüssigkeiten ...“
Hellcome to the Gypsy-Hotel-Club
Seit 2006 kann man den Flüssigkeitsaustausch während der schweißtreibenden Cabaret-Show von The Urban Voodoo Machine sogar regelmäßig einmal im Monat in London im Gypsy-Hotel-Club (Dalston, London and South East/Bardens Boudoir, 36 Stroke Newington-Road, London, N16) zelebrieren. Dort läuft das Ganze als ein festes Live-Event, benannt nach dem Label der Band, Gypsy Hotel, und dient sowohl der Band selbst als auch den dort beheimateten oder mit dem Label befreundeten Künstlern wie Lady Ane Angel, dj Scratchy oder The Fire Tusk Pain Proof Circus als intensive Plattform. Das ständig anwachsende Publikum kleidet sich inzwischen sogar zunehmend wie die Veranstalter selbst und immer häufiger muss das Gypsy-Hotel wegen Überfüllung sogar einen Einlass-Stop verhängen, „no rooms free“:
Zuspätgekommenen bleibt also oft nichts anderes übrig, als das „exciting and eclectic rock’n’cabaret“ nur von der dunklen Straße aus zu genießen …
The Mainstream-Zombies vs. The Urban Voodoo Machine
Auf dem aktuellen Album, einem von Alex McGowan im Space Eko-Studio im Herzen von London produzierten Höllencocktail, trifft Zigeuner-Skiffle auf Jazz’n’Bop, Cabaret-Elemente vermählen sich mit rohem Rockabilly, dazu sammelt sich düsterer Blues im Gehörgang an, gelegentlich auch countryeske Balladenmomente – ein Gesamtsound, der für Anbeter der dunklen Seite des Mondes komponiert wurde, abseits allen Mainstreams. Dazu verkündet Angel nachdrücklich: „Das Meiste aus der Mainstreamecke ist scheiße, daher werden wir auch immer nur das tun, was wir allein für gut halten, und uns nicht nach Vorgaben richten. Somit ist uns unser Underground-Status auch sehr recht. Aber vergiss andererseits auch nicht, dass auch geniale Bands wie The Pogues, The Clash oder die Rolling Stones einmal Einzug in den sogenannten Mainstream gehalten haben – aber ohne sich zu verkaufen! Wir haben unsere Seelen dem Underground-Teufel verkauft. Was er damit macht, werden wir sehen ...“
Der sorgt momentan ganz im Stile des musikalischen Teufelspaktes gerade aber dafür,dass 2011 wohl das Jahr für The Urban Voodoo Machine wird, denn das neue Album bricht seit seinem Erscheinen im Mai alle Rekorde, ohne sich weiter verkaufen zu müssen: Die Gruppe wurde nominiert als „Best New Band“ des britischen Classic Rock-Magazine und wird im Herbst ausgiebig auf Tour gehen. Im Sommer davor gastiert man beim renommierten Glastonbury-Festival und spielt als Support für The Pogues, The New York Dolls, Goran Bregovic und Paul McCartney auf. Wenn die Hölle also nicht zufriert, dann sollte man sich den nächsten Gig der diabolischen Varieté-Truppe in der nächstgelegenen Kaschemme nicht entgehen lassen …
Emmerich Thürmer (DYNAMITE MAGAZIN) 06/2011