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Freitag, 02.06.2023: Holzrock Festival - Interview



Für unsere Festival-Interview-Reihe verschlägt es uns diesmal ganz in den Süden Deutschlands. Das Holzrock Festival findet nämlich im Sengelenwäldchen bei Schopfheim statt, welches sich eine Autostunde südlich von Freiburg befindet. Ungefähr 1000 Besucher trudeln dieses Jahr am Wochenende vom 28./29. Juli auf einer idyllischen Waldlichtung ein, wo so einiges auf sie wartet. Neben Bands wie u.a. Baits, The Monofones, Diensthund, Suck und Pinch Points wird das Lineup noch durch ein vielfältiges Politik- und Kulturprogramm links und antifaschistisch ergänzt. So gibt's zum Beispiel eine Lesung des sehr empfehlenswerten Buches "Punk as fuck". Auch Familienfreundlichkeit wird groß geschrieben, gibt's doch neben einem extra Campingbereich auch Kindertheater für den Nachwuchs. Generell geht's auf dem Holzrock sehr inklusiv zu, was eine äußerst angenehme Abwechslung zu manch anderem Festival ist. Gerade beim Lineup wird neben verschiedenen Musikrichtungen auch großer Wert auf den FLINTA*-Anteil gelegt, um der Diversität der Gesellschaft und Szene Rechnung zu tragen. Habe mich mal durch die Bands gehört und von Garage, Powerpop und NDW beeinflusstem Punk bis hin zu grungigem Indiepunk ist super viel Schönes und Neues vertreten. Wer die großen Namen zum xten Mal sehen will, kann ja zum Ruhrpott Rodeo gehen.

Das Team zeigt hier einen hohen Anspruch an sich selbst, um zum 40 jährigen Jubiläum auch diesen Sommer was Tolles auf die Beine zu stellen! Und das alles für einen schmalen Taler von 25 EUR für einen oder 35 EUR für beide Tage (ermäßigt 15 EUR/25 EUR), zu entrichten direkt vor Ort.

Weitere Infos gibt's auf unserer Veranstaltungsseite, der offiziellen Homepage und Instagram.

Weiter ins Detail gehen wir natürlich im Interview! Legen wir los:


1: Wie lange gibt es Euer Festival bereits? Wie waren die Anfänge?
1983 startete das erste „Woodrock“, ein von der lokalen Antifa organisiertes Polit- und Musikfestival. Seit 1991 findet das Festival unter dem Namen „Holzrock Open Air“ jährlich statt. Im Laufe der Jahre wurde das Festival überwiegend aus dem Umfeld des „Soziokultur Schopfheim e.V.“ (Café Irrlicht) organisiert.

2: Wie groß ist Euer Team?
Es schwankt zwischen 5 und 24 Menschen. Aktuell sind wir 20 Menschen.
Letztes Jahr waren wir nur noch ca. 5 Menschen.
Dabei machen wir alles rein ehrenamtlich, neben Lohnarbeit, Studium, Schule oder anderen Lebensentwürfen.

3: Gab es schon mal einen Moment, in dem ihr alles hinwerfen wolltet?
Als im letzten Jahr das Plenum auf nur 5 Leute geschrumpft ist, waren wir kurz vor dem hinwerfen. Deshalb gab es am vergangenen Open Air einen Streik, um Menschen dazu zu bewegen, sich der Orga anzuschließen, sowie die ehrenamtliche Arbeit, die vom Plenum geleistet wird, sichtbar zu machen.

4: Gab es Aspekte, die ihr am Anfang noch nicht bedacht habt und erst im Laufe der Zeit dazu gelernt habt?
Wir haben gelernt, dass das kollektive Gedächtnis unter exzessivem Bierkonsum leidet. Deshalb versuchen wir, Wissenshierarchien zu reduzieren und organisatorisches Wissen für die Zukunft nutzbar und zugänglich zu machen.
Sonst gibt es super viel Wissen aus den letzten 40 (!) Jahren und Strukturen und Abläufe die sich etabliert haben, offene Blicke und Änderungen sollen aber immer möglich sein.
Da immer schon Menschen die länger dabei sind und „neue“ Menschen zusammenplanen, können wir viel Wissen weitergeben, versuchen das noch besser zu machen und (Wissens-)Hierarchien abzubauen.

5: Was ist eure größte Angst bei der Planung des Festivals?
Hustle mit der Stadt (neue Auflagen, anderweitig Stress, dies das) und den Bäumen, welche ohne unseren Konsens umfallen und so ein Sicherheitsrisiko für den WaldPunkBesuch darstellen.
Aktuell ist das Sengelenwäldchen gesperrt auf Grund von der von den Bäumen ausgehenden Gefahr. Diese sind wegen des Klimawandels und der anhaltenden Trockenheit der letzten Monate und Jahre stark in Leidenschaft gezogen worden. Wir hoffen sehr, dass es eine nachhaltige Lösung und baldige Besserung dieser Problematik auftut.


6: Welche Auswirkungen hatte die Corona-Zeit auf das Holzrock?
2020 konnten wir kein Holzrock veranstalten, um dennoch politische Organisationen finanziell und durch Aufmerksamkeit unterstützen zu können, starteten wir eine Soli-Aktion. Auch 2021 konnten wir nicht die gewohnte Struktur des Holzrocks durchführen. Um unter pandemischen Bedingungen ein Festival veranstalten zu können, entschieden wir uns für eine kleinere eintägige Variante.
Zusätzlich sind in dieser Zeit einige Helfende und Menschen aus dem Orgateam ausgestiegen.
Gefühlt waren 2022 auch weniger Gäste als vor Corona da, was aber viele Gründe haben kann.

7: Nach welchen Kriterien geht ihr vor, um Bands zu buchen?
Diversität, ein hoher Flinta*-Anteil und Bock. Wir bemühen uns auf Diversität zu achten, sowie darauf Flinta*-Personen und Menschen, die sonst selten einen Platz auf der Bühne bekommen, einzuladen. Ansonsten schauen wir danach, was im Plenum gewünscht ist und versuchen, verschiedenen Musikrichtungen Raum zu geben. Wir arbeiten daran, noch mehr Raum für Diversität zu schaffen.
Bands/Musiker:innen/Künstler:innen können sich auch direkt bei uns bewerben, wenn sie Bock haben. Also schreibt uns: fragen-holzrock @ riseup.net
Allerdings bekommen wir da sehr viele Anfragen und können nicht alle beantworten – wir lesen aber alle, versprochen :)

8: Gibt es 2023 irgendwelche Neuerungen im Vergleich zu den Vorjahren?
Das neue Team muss noch zusammenfinden, Neuerungen und größere Projekte werden auf die nächsten Jahre verschoben. Da hoffen wir dann wieder eine zweite Bühne anbieten zu können und das politische Programm noch zu erweitern!

9: Schafft ihr es noch, euch selbst Bands anzuschauen oder am Programm teilzunehmen?
Je nach Aufgabe auf dem Festival, ist es möglich einige Programmpunkte wahrzunehmen. Allerdings sind wir aus dem Orgateam mit festen Aufgaben stark eingebunden. Wenn unsere Lieblings-Künstler:innen spielen ist es aber meistens möglich, sich das wenigstens teilweise freizuschaufeln!

10: Was war das witzigste/spannendste/ungewöhnlichste Erlebnis auf dem Festival?
Jedes Jahr gibt es ungewöhnliche und überraschende Ereignisse, so zum Beispiel 2017 als die Clowns bei Starkregen und mehreren Stromausfällen ein absolutes Brett abgeliefert haben und alle auf der Bühne getanzt haben. In einem Jahr gab es spontane Bierbankakrobatik.
Immer toll finden wir experimentelle Bands wie Les Trucs, die dann auch mal mitten im Publikum spielen. Und dazu noch sehr viele kleine Ereignisse die so passieren, die aber auch nicht alle erzählt werden sollten ;)


11: Welche 5 Bands (tot oder lebendig) hättet ihr gerne mal bei euch auf der Bühne?
Wir geben sehr gerne kleineren und noch nicht so bekannten Bands die Möglichkeit, bei uns aufzutreten, aber Amyl and the Sniffers wäre schon richtig geil (auch gerne 5 mal).

12: Wie geht ihr mit positivem und negativem Feedback um?
Mit Feedback-Boxen und über Mail und SocialMedia, können uns gerne alle Menschen Feedback geben, wir sammeln auch immer auf einer „To-Do-It-Better –Next Year“ Liste während des Festivals.
Das geht dann ins Plenum und von dort in die Arbeitsgruppen.
Manche Aspekte können wir gleich umsetzen, andere starten einen Prozess, der dann in neue Konzepte mündet.
Negatives Feedback bekommen wir eigentlich nur von Anwohnenden, die es nicht aushalten, dass es ein Wochenende im Jahr etwas lauter ist und den kulturellen und politischen Mehrwert von unserem Festival in ihrer spießigen Engstirnigkeit nicht erkennen.

13: Zumindest vor ein paar Jahren war euer Gelände nicht mal eingezäunt und generell lief alles sehr locker ab. Konntet ihr das aufrecht erhalten oder mussten inzwischen mehr Regularien her?
Klingt als wärt ihr die letzten Jahre nicht da gewesen?! :-)
Wir haben eigentlich nur richtig tolle Gäste, auf Zäune können und wollen (!) wir daher verzichten. Unser Konzept ist es, dass sich alle Gäste als Teil des Holzrocks sehen und aufeinander Rücksicht nehmen.
Dennoch haben auch wir Strukturen und Abläufe die bei Problemen greifen. Diverse Notfallkonzepte, erste Hilfe, Deeskalation, Awareness, Jugendschutz.
Aber wir wollen auch ein Freiraum sein und unser offenes Konzept verhindert unserer Meinung auch viel Stress, weil alles entspannter laufen kann.

14: Wie sieht es mit der lokalen Akzeptanz/Unterstützung des Festivals rund um Schopfheim aus?
Natürlich gibt es immer einige spießige Mitmenschen, denen wir gerne (!) ein Dorn im Auge sind. Insgesamt ist die Akzeptanz, auch durch unser Kinder und Kulturprogramm, sowie die politische Bildungsarbeit gut.
Punk ist tot? Doch Holzrock lebt!
Umfassende Unterstützung erfahren wir vor allem durch das Café Irrlicht in Schopfheim! - Support your local AZ!!! <3

15: Das Holzrock bietet neben den Bands auch Vorträge, Workshops und (Kinder-)Theater. Warum war es euch wichtig, das "typische" Festival-Erlebnis um diese Dinge zu erweitern?
Wir verstehen uns als klar links-politisches Festival. Punk und Hardcore ist mehr als Musik! Politische Bildung, besonders auf dem Land, war schon immer wichtiger Bestandteil des Holzrock/ Woodrocks. Gerne würden wir hier das Angebot ausbauen, allerdings fehlen uns dafür auf dem Gelände räumliche Möglichkeiten.

16: Euer Gelände liegt in einem Naturschutzgebiet. Was für Vor- und Nachteile bringt das mit sich?
Vorteile: Zumindest uns ist kein anderes Festival auf einer so schönen Waldlichtung bekannt!
Nachteile: Eingeschränkte Barrierefreiheit durch Waldboden, Wurzeln und Matsch.
Durch große Trockenheit eventuelle Waldbrandgefahr und Auflagen zum Naturschutz.
Insgesamt bemühen wir uns so wenig wie möglich Spuren zu hinterlassen und den Wald nicht zu schädigen.


17: Das Thema Awareness kommt beim Gros der Festivals jetzt erst an. Ich habe das Gefühl, dass ihr da schon weiter seid. Wie kam es dazu und wie sieht Euer Awareness-Konzept diese Jahr aus?
Da wir uns als Teil der linksradikalen Szene sehen, ist das Thema schon seit einige Jahren sehr präsent bei uns. Allerdings bedeutet das nicht, dass dieser Prozess bei uns schon abgeschlossen ist.
Wir beschäftigen uns weiter mit Themen der Diskriminierung und versuchen, uns und unserer Gäste weiter zu sensibilisieren. Damit wollen wir einen Ort schaffen, an dem sich möglichst alle Menschen wohlfühlen können.
Unser Awareness-Konzept findet ihr auf www.holzrock.de

18: Können auch Menschen mit Unterstützungsbedarf euer Festival problemlos besuchen?
Problemlos geht das leider allein durch den oft matschigen Waldboden nicht für alle Menschen. Auch können wir keine Übersetzung in Gebärdensprache anbieten und haben sicherlich noch viele Stellen mit Barrieren bei uns.
Wir versuchen dort wo es geht, Barrieren abzubauen.
Haben ein rollstuhlgerechtes Dixi, Begleitpersonen/Assistenzen bekommen freien Eintritt.
Zum Thema Inklusion und Festivals haben wir auch mal ein Interview gegeben. Da könnt ihr gerne hier nachlesen, da ist alles sehr ausführlich besprochen: https://vinyl-keks.eu/musinclusion-10-lina-amelie-und-jonas-holzrock-open-air/

19: Auch bei der Verpflegung steht Qualität und Nachhaltigkeit bei euch im Fokus. Was gibt's zur Stärkung und wie kann es bio, regional und gleichzeitig bezahlbar sein?
Mit dem Kochkollektiv „Maulwürfe“ aus Freiburg haben wir eine tolle Verpflegung am Holzrock. Dort gibt es beste vegane Grünkernburger und immer noch etwas Weiteres. Bei Allergien oder Unverträglichkeiten einfach dort anfragen, sie zaubern euch dann etwas <3.
Das Essen wird auf Spendenbasis angeboten, alle arbeiten ehrenamtlich bei uns, daher fallen da schon mal keine große Kosten an. Und das Essen muss nur seine Kosten decken, das Geld ist nicht für andere Posten eingeplant.
Zusätzlich gibt es noch Bio-Raclette von einem Schwarzwaldhof, dort bekommen wir auch über Kontakte einen fairen Preis.
Frühstück organisieren wir auch und es gibt Kuchen (alle gespendet, bringt gerne einen mit).
Wer lieber seine eigenen Dinge essen möchte, kann das aber natürlich auch. Es gibt (wenn Feuer erlaubt sind) einen Grill zum Selbergrillen und insgesamt keinen Konsumzwang.
Ihr unterstützt uns aber, wenn ihr Getränke und Essen bei uns kauft.

20: Wenn man beim Holzrock mithelfen möchte, muss man was genau tun?
Schreibe eine mail an helfen-holzrock @ riseup.net - wir freuen uns immer über neue Menschen in der Orga! Aber natürlich brauchen wir auch ca. 70 weitere Menschen, die am Festival, Auf- und Abbau und den Schichten helfen.

21: Letzte Worte / Sachen die Ihr loswerden wollt? <3
Auch 2023 wird wieder das beste Holzrock gewesen sein, dass es bis dahin gab :-)


Horace 06/2023
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