Wie ist es, wenn man vom Punk zum Papa oder zur Mama wird? Alte Gewohnheiten, Lebens- und Denkweisen stehen auf einmal auf dem Prüfstand. Nichts ist mehr, wie es mal war, das ist vielen schon vorher klar. Doch wie dicht die Minen auf dem weiten Feld zwischen Dosenbier und Drei-Monats-Koliken liegen, da machen sich die wenigsten eine Vorstellung von. Daher möchte ich euch in dieser „Kolumne“ immer mal wieder einen Einblick darin geben, wo möglicherweise die Nähte spannen beim Spagat zwischen Pogo und Pampers.
Das heutige Thema lautet:
Kinderwahnsinn!
Früher warst du immer gegen Kinder eingestellt, sahst keinen Grund für noch mehr Babys auf der Welt? Warst der Meinung, es geht zu Ende mit der Welt, denn die Weltbevölkerung ist in die Höhe geschnellt? Doch in der letzten Zeit breiten sich Zweifel aus, denn in den letzten Jahren wirkte auf einmal vieles so sinnentleert und abgenutzt.
Mittlerweile hat sich ein Großteil deines Bekanntenkreises selbst in die provinzielle Spießigkeit verpisst, die Bands, die du dein Leben lang gefeiert hast, sind in den letzten Jahren zu Schwurblern geworden, haben sich aufgelöst, sind aufgrund ihres hohen Alters direkt von der Bühne in den Sarg gesprungen oder machen schlicht und einfach mittlerweile unhörbare Rock-Musik? Dann wären da noch all die Festivals im Sommer, auf die du dich lange im Vorfeld gefreut hast, die allerdings auch irgendwie ihren Glanz verloren haben. Vielleicht durch stetig gleichbleibendes Programm, zu hohen Preisen oder wahlweise zu viel oder zu wenig Awareness-Ständen, Nacktheit oder Mainstream-Bands.
Und nun? Einfach so weitermachen wie bisher? Nochmal die Subkultur wechseln? Ist das in deinem Alter überhaupt noch erlaubt? Neue Hobbies anfangen? Kleingarten? Warhammer? World of Warcraft? Bong rauchen? Vielleicht doch noch ein letztes Mal zum Rodeo und dort zum drölfzigsten mal Slime oder Götz Widmann gucken, obwohl dies bei den letzten drei Malen schon so aufregend wie das RTL 2 Nachmittagsprogramm war? Danach ein peinliches aber total lustiges „Oi! Ihr Ficka!“ Shirt kaufen und mit einem Einhorn-Schwimmring um den Bauch zwischen den Zelten der 17-jährigen Zeltnachbarn einschlafen und sich dabei nochmal richtig jung und wild fühlen?
Nein? Alles keine Optionen?
Dann knick ein vor der Natur, dem Trieb und dem Fortpflanzungsdrang und entschließe dich, noch ein bis sieben Kinder in die Welt zu setzen! Warum soll es auch nur in Indien rappelvoll sein? Ein Leben fernab von Langeweile und leeren Kalendern ist dir hierdurch auf jeden Fall gewiss. Wenn du dich also doch noch für das Kriegen von Kindern entscheidest, heißt es zunächst einmal die dann aufkommenden Zweifel und Ängste z. B. bedingt durch eine für deinen Nachwuchs lebensfeindliche Welt, die geplagt ist vom menschengemachten Klimawandel aus Osteuropa, drohendem Atomkrieg und AfD-Politiker:innen in hohen Ämtern beiseitezuschieben.
Danach folgt die Frage nach dem, der oder den richtigen Partner:innen für dieses Unterfangen. Aus einem Füllhorn an Möglichkeiten habt ihr nun für euch auszuwählen, ob ihr es ganz klassisch in einer Zweier-Beziehung angehen wollt oder vielleicht liegt euch auch mehr die offene Beziehung mit einer oder vielen anderen Menschen, mit denen ihr eine Patchwork-Familie gründen könntet. Mit sehr viel Glück bietet sich hierfür eure Punker-WG an und mal angenommen Ratte, Kotze und Boile stimmen eurem Plan beim wöchentlichen Küchentisch-Plenum zu, dann denkt daran, ihnen bewusst zu machen, dass das Bevorstehende sehr viel Arbeit mit sich bringen wird (und, wie wir alle wissen, "Arbeit ist Scheiße"!).
Symbolbild: Standard Punk-Wohnung
Solltet ihr eure Mitbewohner:innen damit noch nicht verschreckt haben, zieht bitte in Betracht, dass die Aufgabenteilung in Sachen Care-Arbeit in Zukunft genauso schleifen könnte, wie es bisher mit dem Erledigen der hauswirtschaftlichen Tätigkeiten in der WG auch schon der Fall war. Allzu oft werdet ihr allein dastehen, da Kotze noch drauf, Beule seit Tagen "Lost" und Ratte Bier holen ist. Gebt euren Zimmernachbar:innen auch zu bedenken, dass in Zukunft eine andere Art der Sauberkeit in eurem Haushalt herrschen sollte. Kinder sind zumindest am Anfang sehr kleine Menschen, die zwischen dem ganzen Müll und Dreck, den unzähligen Vinyl-Schallplatten, leerem Dosenbier, zentnerweise Soja-Granulat und Killernieten auch schon mal schnell verloren gehen können. Auch wenn die meisten Kinder in einem solchen Fall durch Geschrei gut auf sich aufmerksam machen können, ist dies durch die durchgehende Kakofonie in euren vier Wänden, entstanden durch ein Gebräu aus Crust, Oi! und Deutschpunk, womöglich schwer zu orten. Auch ist dabei zu bedenken, dass die ziemlich sicher anwesenden Punker-Hunde nicht immer die besten Wesen zum Spielen mit dem Nachwuchs sind. Hängt halt immer schwer von der Bissigkeit und dem Grad der Verlausung ab.
In den ersten Jahren wird sich euer Kind auch wahrscheinlich noch hervorragend mit dem Stapeln von Bierdosen, dem ausprickeln von Anarchie-A`s mit Spritzbesteck und Tattoo-Tinte zum Ausmalen von ausgeblichenen Bildern auf dem Oberarm von Kotze begnügen, doch der Schrei nach einem Kinderzimmer mit echtem Spielzeug und echten Spielgefährt:innen wird aller Wahrscheinlichkeit immer lauter werden.
Solltet ihr euch nun doch ganz altmodisch für die Zweierbeziehung entscheiden und noch keine zeugungswilligen Partner zur Hand haben, dürft ihr euch aller Voraussicht nach in das beliebte Game der Partnersuche begeben. Aber keine Angst, ein gesunder Mix aus Speed- und Blind-Dating, Tinder, Verkupplungsversuchen von Freunden und Familie und Zwangsverlobung haben noch bei jedem Menschen zum Erfolg geführt. Ist auch diese Hürde genommen, muss nun nur noch die letzte Entscheidung getroffen werden: Soll das Kind ein leibliches werden oder möchtet ihr eins oder mehrere adoptieren? Wählt ihr Letzteres, gebe ich zu bedenken, dass ein ellenlanges Vorstrafenregister, etwaige Gesichtstätowierungen sowie eine leichte bis mittelgradige Drogen- und Alkoholabhängigkeit die Sache erschweren und deutlich in die Länge ziehen könnten. Wesentlich schneller kann da das Zeugen eines leiblichen Kindes vonstatten gehen. Unter Umständen schneller als euch lieb ist. Manchmal ist aber auch hier Geduld oder Hilfe von Nöten. Gerade wenn ihr eurem Punksein mittels vieler bewusstseinserweiternden Substanzen Ausdruck verliehen habt, braucht es eine gewisse Zeit, bis euer Untergeschoss wieder in Schwung und die Maschine in die Gänge kommt. Das wusstet ihr nicht? Hätte der örtliche Dealer doch bloß diese alarmierenden Warnhinweise, wie du sie mittlerweile auf jeder Zigarettenschachtel findest, auf seine Tütchen mit Crack, Kiff und Shore gedruckt, dann hättest du vielleicht vorher schon mal eine kurze „Pause“ eingelegt, damit dann endlich die Saat aufgeht und sich all deine Punkerfreund:innen beim nächsten Anblick von dir denken können:
"Oh oh oh das tut weh, wenn ich Dich schwanger durch die Straßen laufen seh, oh oh oh, das tut weh, wenn ich Dich und deinen Kinderwagen seh!"
Peter 04/2024