Kevin Devine Interview, 16.01.2017 im Underground, Köln

Zwei Jungs, wahrscheinlich Brüder, in ihren besten Jahren an Weihnachten irgendwann in den 80s. Also mit „beste Jahre“ meine ich 6 bis 10 Jahre alt. Der eine hat sein Festtagshemd abgelegt und hält nun beschwörend seinen wahrscheinlich frisch erworbenen Wrestling Gürtel über den Kopf. Der Andere steht brüllend vor dem Baum, vielleicht setzt er grade zum Slam-Dunk auf seinen Bruder an. Achja und dieser zweite Junge ist unverkennbar Kevin Devine. Das Foto auf dem Cover seines kürzlich erschienenen neunten Langspielers könnte den folkigen Indierock des New Yorker Songwriters nicht treffender beschreiben. Authentisch, wütend, melancholisch aber immer auch wild und stellenweise unberechenbar wirken die Songs, die Kevin seit den Anfängen in der Hardcoreszene von Staten Island mit verschiedenen Bands vertont. Heute ist die erste Show seiner Europatour mit Laura Stevenson und wir treffen Kevin Devine im Backstageraum vor einer Aluschale voller Nudeln vom Chinaimbiss. Es folgt ein Gespräch über Filmkunst, Fernsehshows, Donald, Babys, Songs und das gute alte Internet.
Bierschinken: So, nun sitzen wir hoffentlich alle gemütlich, so kann man sich unterhalten
Kevin Devine: So können wir definitiv reden, ja.
B: Also, erster Tourstop, wie war der Flug? Und wann seid ihr angekommen?
K: Wir sind gestern gegen 11 Uhr gelandet. Gestern konnten wir also den Tag über entspannen und den Flugkater auskurieren. Die ersten Male, die wir nach Europa gekommen sind, haben wir eigentlich immer direkt eine Show gespielt am Tag der Ankunft. Aber das brauch ich nicht mehr. Das ist wirklich wahnsinnig. Dieser Flug schlaucht richtig und nach der ersten Show bist du dann komplett im Arsch. Die erste Show war dann sowieso immer ein bisschen seltsam, denn ich fühlte mich einfach noch nicht wirklich anwesend. Mindestens ein halber Tag zwischen Ankunft und Show ist schon cool.
B: Mannometer, immer dieser Jetlag!
K: Jetlag, definitiv! Im Flugzeug kannste nicht pennen. Selbst wenn du`s tust, tust du`s nicht.
B: Vor allem schaut man den ganzen Flug über Filme ohne Ende.
K: Ich habe RAY DONOVAN geschaut, amerikanische TV-Serie. Die läuft sonst auf Showtime und Liev Schreiber spielt den Titelhelden. Das war gut. Danach noch zwei HBO Shows, Vice Principles, erinnert ihr euch an die Show Eastbound and Down? Das ist die neue Show mit dem Typen von Eastbound and Down. Und dann war da noch was... ah Fuck, vergessen. Keine Ahnung. Und dann hab ich noch versucht mir eine Doku über das Internet reinzuziehen und bin eingeschlafen. Aber nicht, weil die Doku irgendwie langweilig gewesen wäre, ich bin einfach so weggepennt. Die hieß LO AND BEHOLD.
B: Oh ... Die hab ich gestern auch versucht zu gucken.
K: Really? Also, ich hab auch versucht sie gestern zu gucken. Irgendwo über dem Ozean.
B: Naja, LO AND BEHOLD ist super. Aber auch nicht grade leichte Kost.
K: Nicht gerade das Richtige für nachts halb eins im Flugzeug. Aber sie scheint sehr interessant zu sein. Morgens aufwachen, Kaffee machen und direkt diese Doku schauen, das wär ideal. Ich bin halt ungefähr 11 Mal eingepennt während sie lief, aber ich fand sie auch intellektuell super interessant. Es wurde ganz gut aufgezeigt, wie das Internet innerhalb von nur 10 bis 20 Jahren zum Mittelpunkt unseres Lebens wurde. Was so Mitte der 90s anfing, ist nun überall. In Allem was du tust. Es hat unser Leben komplett infiltriert. Naja.
B: Ich werd`s mir wohl nochmal komplett reinziehen...
K: Wenn du LO AND BEHOLD bis zum Ende durchgeschaut hast, lass mich wissen wie’s endet. Das Mal davor habe ich im Flugzeug nur Schrottfilme gesehen. Irgendwas mit zwei Dudes auf der Suche nach Weddingdates. Mike und.. keine Ahnung wie der andere hieß. Zac Efron und Adam Devine waren auf jeden Fall die Schauspieler.
B: Ich hab mal THE WRESTLER im Flieger gesehen, richtig guter Film.
K: Da war ich im Kino, der war heavy. Erst spaßig und dann nur noch heftig. Vor allem das Ganze mit seiner Tochter.... heavy. Mickey Rourke war wirklich gut in dieser Rolle. Er kam aus der völligen Versenkung und dann direkt so ein Hit.
B: Hat er danach denn nochmal Filme gedreht eigentlich?
K: Klar, Iron Man, Sin City, da gab‘s einige. Wir könnten ja mal bei ImdB nachschauen, können wir aber auch lassen.
B: Sollen wir mal über deine Musik sprechen?
K: Wir können über alles sprechen was ihr wollt. Ich würde auch gerne den Rest des Tages über Mickey Rourke sprechen.
B: Mickey Rourke ist auch alle Fälle ein Thema.
K: Wenn er jemals für irgendwelche politischen Ämter kandidiert, sollte das sein Slogan sein. „Mickey Rourke – Er ist ein Thema“
B: Wo wir grade zufällig von Politik sprechen, Trump ist jetzt seit zwei, drei Tagen im Haus...
K: Ja, seit Freitag meine ich. Wollen wir über ihn sprechen?
B: Ja, also ich würde sagen, du bist ein sehr politischer Songwriter. Nicht immer, aber du sprichst politisch relevante Themen an. Wie gehst du mit der Situation um? Hat sich das schon auf dein Songwriting ausgewirkt?
K: Viele Songs auf INSTIGATOR wurden während der Primary Elections geschrieben. Ein Song heißt „Both Ways“. Da geht’s um diese widersprüchliche Natur des amerikanischen Exzeptionalismus. Diese Auffassung, du könntest gleichzeitig der Schulhofschläger und das Opfer sein. Ganz schön verwirrend. Die Auffassung, du könntest Länder einfach webbomben und dann kannst du sie wiederaufbauen lassen, ganz nach deinem Geschmack. Den Menschen in diesen Ländern erzählst du dann von deiner Demokratie und lässt sie demokratische Wahlen abhalten, aber nach diesen Wahlen sagst du ihnen, sie hätten den falschen Typen gewählt und du hättest jemand besseren für den Job. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob dieser russische Hackerangriff auf Amerika wirklich eine Sache ist, aber Amerika hat seit Jahrzehnten Länder auf diese Weise angegriffen. In Lateinamerika, in Afrika und vielen anderen Orten dieser Welt, wo Wahlen durchgeführt wurden, mischten wir Amerikaner uns ein und sagten „Wir finden nicht gut wie die Wahl ausgegangen ist, Kill that Person!“ Also wortwörtlich. In Lateinamerika ist die CIA an allen möglichen Morden beteiligt, Morde an Personen die vorher von den Lateinamerikanern gewählt wurden.
Nun da Donald Trump der Präsident der Vereinigten Staaten ist, bekommt Exzeptionalismus in der amerikanischen Politik ein ganz neues Level, da er so radikal, chaotisch und außergewöhnlich agiert. Es ist aber nicht so, dass diese widersprüchliche amerikanische Ideologie erst anfing als dieser Dude gewählt wurde. Der Moment fühlt sich ekelhaft und gruselig an, aber es gab einen ebenso ekelhaften und gruseligen Weg hierher. War früher alles gut und jetzt ist alles schlecht? Nein das wäre etwas zu weltfremd für mich. Aber wirken diese Probleme die wir schon lange haben, heute noch dunkler, noch befremdlicher, noch chaotischer, noch unberechenbarer als gestern? Absolut! Trump kannst du schlecht vergleichen mit seinen Vorgängern. Er ist ein neues Level.
B: Apropos Neues Level: Momentan übernehmen leider nicht nur in Amerika die Superschurken die Macht.
K: Die Nationalisten sind natürlich auch in anderen Ländern wieder stärker geworden, das ist nicht bloß ein amerikanisches Problem. Rechte Bewegungen in Polen, Großbritannien, Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern. Le Pen und diese ganze Scheiße. Trump ist die amerikanische creepy Cartoonversion davon. Ein Showmaster, ein abgefuckter Autohändler mit dem Zugang zu Nuklearwaffen.
B: Klingt so als wäre das ein sehr sehr politisches Album geworden. Ist es so?
K: Natürlich haben diese Themen ihren Weg in die Songs gefunden, wie könnte es auch anders sein? Selbst wenn der Song nicht explizit politisch ist. Songs sind ein Filter für alles was in deinem Kopf geschieht und alles was in deinem Kopf passiert, basiert auf Dingen die du erlebst, Dinge die auf der Straße passieren. Spätestens hier wird’s politisch.
B: Du lebst in Brooklyn, New York. Wie hat sich die Stimmung in deiner Nachbarschaft verändert, speziell nach Trumps Wahlsieg?
K: Momentan noch nicht wirklich, er ist ja noch nicht am Zug. Was man aber beobachten kann ist, dass Menschen aus am Rand stehenden Minderheiten sich immer mehr in die Rolle einer Minderheit gedrängt fühlen, da nun eine wirklich greifbar nahe Gefahr da ist. Das sind Erfahrungen die ich nur aus Erzählungen mitbekomme, da ich bin ein weißer, männlicher Hetero bin. So schlimm das auch ist, die Menschen schlagen zurück und das ist wichtig und vielleicht das Gute an all diesem Schlechten. Ich wäre absolut geschockt, wenn wir alles einfach hinnehmen und passieren lassen würden, wie es in der Geschichte bereits geschehen ist. Aber ich sehe, wie wir uns wehren und das ist das Gute. Zumindest in New York kannst du das überall finden. New York hasst Trump und das pisst ihn total an, weil er ja selber New Yorker ist. Die Menschen wehren sich und werden nicht damit aufhören. Wahlen sind eine Sache, aber Pro-People-Movements sind auch eine Sache.
B: Das letzte Jahr war ja nicht nur für Donald Trump erfolgreich, sondern auch für Kevin Devin, stimmt`s?
K: Ja, wir haben das Album Anfang des letzten Jahres fertig aufgenommen, waren auf Tour mit den FRONT BOTTOMS in Großbritannien und danach mit MURDER BY DEATH in den Staaten und dann hat meine Frau ein Baby bekommen im März. Seit der Geburt meiner Tochter war das Jahr ein Spagat zwischen Platte fertigbekommen und Zuhause sein mit meiner Familie.
B: Du hattest bei Facebook schon ein Foto von dir mit deiner Tochter und da wir vorhin über LO AND BEHOLD gesprochen haben, komm ich nochmal auf das Thema Internet zurück. Du zeigst nicht bloß Tourdaten und Musikvideos auf deinem Social Media Auftritt, sondern eben auch etwas so Persönliches. Machst du dir Gedanken darüber?
K: Ja, Ich denke viel über diesen schmalen Grat nach.
B: Deine letzten beiden Platten wurden über Kickstarter finanziert. Ist die Inszenierung auf Facebook und im Internet allgemein vielleicht auch einfach notwendig?
K: Ich glaub, das Internet ist ein notwendiger Faktor im Leben einer von der Musik lebenden Person in der heutigen Zeit. Besonders, wenn du so mittelmäßig bekannt bist. Wenn du superberühmt bist, bist du das entweder wegen Social Media oder du hast Social Media noch niemals gebraucht. Wenn du aber in einer mittelmäßig bekannten Indieband spielst, promotest du deine Shows und deine Platten über das Internet. Selbst Printmedien haben heute ihre Blogs online, welche wesentlich häufiger frequentiert werden. Die damit verbundene Schwierigkeit ist, nicht komplett in einer Internetpersona verloren zu gehen. Wenn du in dieses Social Media Klick-Hamsterrad kommst, also erst zu Facebook, dann schnell Twitter, dann eben Instagram, dann wieder zu Twitter und nochmal zu Facebook, dann wird’s scheiße. Außerdem besteht die Gefahr süchtig nach Reaktionen zu werden, da wir Dinge online stellen, auf die andere Menschen reagieren sollen. Ich versuche daher, keine Kommentare unter meinen Posts zu lesen. Und wenn ich ein Foto meiner Tochter hochlade, ich glaube ich habe zwei bei Instagram hochgeladen, dann beschäftigt mich das schon. Waren das schon zu viele? Ich möchte sie auf keinen Fall dazu benutzen, um für mich zu werben und eventuell ein, zwei Tickets mehr zu verkaufen. Das wäre total seltsam. Ich bin zwar nicht unglaublich berühmt, aber die Menschen, die sich für meine Musik interessieren, interessieren sich auch für die Person dahinter. Ich möchte eigentlich nicht, dass meine Tochter damit irgendetwas zu tun hat, bis sie selbst entscheiden kann, ob sie will. Alles andere würde sich zu kardashian anfühlen. Ich versuche einfach einen authentischen Social Media Auftritt zu haben, ohne dass jeder auf Facebook direkt denkt er hätte Zutritt zu meiner Persönlichkeit.
B: Ich glaube, es kann passieren, dass Fans schon anhand deiner Texte meinen, einen Zutritt zu deiner Persönlichkeit zu haben. Würdest du dir weniger Gedanken über sowas machen, wenn deine Texte unpersönlicher wären?
K: Wenn du solche Texte schreibst, auch wenn sie nicht autobiografisch sind, tendieren Menschen immer dazu zu denken, sie würden dich kennen. Wahrscheinlich kennen sie dich auch in Ausschnitten. Aber das sind nur Ausschnitte, die du gewählt hast und herausgibst. Das ist ja längst nicht dein Ganzes. Ich habe dieses Gefühl damals auch gehabt, als ich ELLIOTT SMITH gehört habe, obwohl er nicht immer autobiografisch geschrieben hat. Das hat etwas mit der Art und Weise zu tun, wie unsere Musik dem Zuhörer serviert wird. Ein Typ mit einer Akustikgitarre, das wirkt immer irgendwie persönlich und intim. Selbst wenn der Typ Bob Dylan ist oder wer auch immer. Eigentlich ist das auch schön, aber es ist nicht immer wahr.
Rede ich euch eigentlich zu viel?
B: Naja, ich glaube die viertel Stunde ist auf jeden Fall rum, meinste wir können noch eine letzte Frage stellen?
K: Klar, schieß los.
B: Hast du ROGUE ONE gesehen?
K: Nein, leider noch nicht. Aber mein Bruder war mit seinen Kids drin und sagte es wäre der beste STAR WARS Film seit DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK.
B: Perfekte Abschlussworte. Danke dir für deine Zeit!
K: Kein Dingen.
B: Wie wär´s wenn wir noch ein schönes Selfie schießen?

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mrks 01/2017