Herr Berlin:
Decoder
Kategorie "was sonst keiner besprechen will".
Warum das keiner besprechen will: Vermutlich, weil hier jeder ne x-beliebige austauschbare Hipster-Indie-Kapelle erwartet.
Und was ist es nun wirklich? Indie: Ja. Kapelle: Sowieso. Hipster: Dazu ist der Sänger wahrscheinlich zu alt. X-beliebig und austauschbar: Der erste Höreindruck sagt "ja". Aber hören wir mal weiter.
Sänger Jimi Berlin zieht nun schon seit über 20 Jahren seine Kreise im Musikgeschäft, also vermute ich einfach mal, dass er sich hier ne Begleitband für seine Solo-Songs zusammengestellt hat, denn so klingt das irgendwie, wie Songwriter-Mucke mit Begleitband. Was die Leistung der Musiker nicht schmälern soll, aber wenn die Band sich schon nach Herrn Berlin benennt, sollense sich darüber mal nicht groß beschweren. Musik ist ganz nett. Nicht aufgeregt, nicht hektisch, aber auch nicht zu gefühlsbetont. Erinnert an Element of Crime, teilweise auch an einige Verbrechen von Bela B., bloß dass die Coolheit nicht so mit dem Bulldozer ins Haus fährt. Tendenziell ruhige Songs, die aber dank prägnanter Stimme und der textbetonten Aufnahme trotzdem ihre Aufmerksamkeit bekommen. Relativ abwechslungsreich ist die ganze Geschichte auch, so sticht das vom Drumcomputer beherrschte "Tante Ursula" heraus, "Bar Song" bewirbt sich als Soundtrack für die Großstadt-Detektiv-Story, "Kopfüber in Autos" blubbert vor sich hin wie ein Fisch im Aquarium. Die Texte, tja, die sollte man wohl besonders hervor heben, das macht man so, wenn man deutschsprachige Indierock-Songwriter-Mucke bespricht, dann muss man unbedingt was zu den Texten sagen. Aber wenn der Herr Berlin da singt "Ich hab mir deinen Namen über mein Herz tätowiert", will ich die CD halt einfach in den Gulli schmeißen. Aber dieses Klischee-Fauxpas bleibt eher die Ausnahme, meistens sind die Texte schön eingängig zwischen Storytelling und dem persönlichen Gedankenaustausch, ohne dabei zu kryptisch zu werden (also doch nix für die Hipster!).
Fazit: Ich sach ma so: Ich werde mir niemals "Herr Berlin" übers Herz tätowieren. Zugegeben, es ist eh eher unwahrscheinlich, im Stapel für "Platten, die bei uns keiner besprechen will", was zu finden, das mich total vom Stuhl schubst, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. So als Hintergrundmusik zum Wühlen im Bemusterungsmaterial eignet sich Herr Berlin jedenfalls ganz gut. Fehlt nur noch, dass es draußen zu schneien anfängt, dann wär die Stimmung perfekt.