Kennt jemand der Bierschinkenleser das Buch "Rock - Das Gesamtwerk der größten Rock-Acts im Check: alle Alben, alle Songs"? Das Buch behandelt, wie es der Titel andeutet, Bands wie King Crimson, Pink Floyd, Jethro Tull oder Yes und seziert deren Gesamtwerk akribisch durch. Es gibt in diesem Schinken eine Kategorie namens "Musikalische Wurzeln". Ich erläutere diese am Beispiel King Crimsons. Diese Band wurzelt in Jazz (Miles Davis, John Coltrane), Rock'n'Roll (Elvis Presley, Chuck Berry), Minimal Music (Philip Glass, Steve Reich), Klassik (Gustav Holst, Claude Debussy, Bela Bartok), 60s Artpop (The Beatles) und Psychedelic Rock/Rock (Jimi Hendrix, Pink Floyd, Cream, The Moody Blues). Eine ganz schöne Palette. Wer alle erwähnten Bands kennt, bekommt eine 1 ins Musikzeugnis.
Incoming Leergut werden, völlig zu Unrecht, in diesem Buch nicht beachtet. Unter der Kategorie "Musikalische Wurzeln" müssen genau zwei Subgenres genannt werden. Das ist erstens deutschsprachiger Punk aus Köln (Supernichts) und melodischer Punk aus Amerika (NOFX).
"Unbrauchbar" und "Niemals geb ich auf" klingen musikalisch dermaßen wie die Herren um Fat Mike, dass es sich fast schon um eine deutsche Tribute-Band handeln könnte. Letztgenanntes klaut darüber hinaus dreist den "ahahahah"-Chor von Supernichts' "Welcome To Bungalow Ghetto". Supernichts ist tatsächlich an jeder Ecke zu hören. Es geht um ähnliche Themen (Studenten, wie bei "der ideale Führer", Kritik an der eigenen Szene und Tocotronic, wie bei "Schuld ist nicht die Gesellschaft"), es wird ähnlich phrasiert und gebrüllt (vergleiche "Discotorten 2.0" und "Sieht kacke aus" von Supernichts), es werden die gleichen Textzeilen verwendet (in "Heute Nacht" heißt es "Geh doch zurück nach Hamburg") und als Abrundung singt sogar noch Frank von Supernichts (und der Frank von Nonstop Stereo) beim Song "Keine Panik" mit. Ich meine, den Supernichts-Frank auch bei "Johanna rück meine CDs von Iron Maiden wieder raus" vernehmen zu können. Ähnlich wie oft bei Supernichts endet das Album auch mit einem ziemlich sinnbefreiten Gröllied ("Kneipenschlägerei"), das mir aber irgendwie auf den Sack geht. Wo wir schon bei der Bewertung angekommen wären. Außer diesem sind nämlich ausschließlich absolute Hits auf "Dagegen mit dem Trend", lediglich das englischsprachige "Backlights" wirkt noch irgendwie wie ein Fremdkörper. Spieltechnisch steckt "Incoming Leergut" das große Vorbild locker in die Tasche, die Lieder sind tendenziell sehr schnell und teilweise recht komplex gespielt. Diese Band steht dem bereits zu oft erwähntem Vorbild tatsächlich in nichts nach, hier gibt es einfach Punkrock in diesem Stil zu hören, mit intelligenten Texten und geilen Melodien. Man muss das Rad ja nicht zwingend neu erfinden, wenn so ein Hammer dabei rauskommt. Höchstpunkzahl von mir, danke für dieses Klassealbum!

PS: Ich hörte "Dagegen mit dem Trend" das erste Mal in Anwesenheit meiner Mutter. Für sie fällt das Fazit folgendermaßen aus: "Ich habe jetzt eine halbe Stunde versucht tolerant zu sein. Aber das macht mich aggressiv. Das ist ja immer nur ein Takt, auf den irgendetwas möglichst unmelodiös gebellt wird."