No°rd:
Dahinter die Festung
Ein altes Haus aus Holz. Es ist dunkel, eng und kalt. Nur wenig Licht kommt durch die kleinen Fenster, denn die Fensterbänke stehen voll mit dem Ballast der letzten Jahre. Undefinierbare Erinnerungen aus Ton, Holz und Keramik. An den Wänden hängen vergilbte Bilder längst vergessener Personen. Oder sind es Fotos? Von ihren Rahmen rieselt Staub auf den feuchten Teppichboden. Es riecht modrig. In der Ecke stehen ein paar Gummistiefel. Daneben, bei der Tür, ist eine E-Gitarre an die Wand gelehnt. Du gehst zur Tür und öffnest sie. Sofort blendet die Sonne deine Augen, du musst sie zukneifen. Jetzt schmeckst du Salz auf den Lippen, hörst die Wellen brechen, fühlst du Wärme im Gesicht - und spürst plötzlich die weite Welt direkt vor dir. Sofort willst du raus aus der Enge der eigenen vier Wände. Doch du kannst nicht. Du kannst deine Beine nicht mehr bewegen. Sie scheinen festgenagelt im Hier und Jetzt.
So klingt das Debüt-Album „Dahinter die Festung“ von NO°RD.
Die Band kommt aus Münster und Dortmund und spielt melancholischen Indie-Punk. Der Bass wummert, die Gitarren bahnen sich ihren Weg hinaus aus der Tristesse des Alltags und das Schlagzeug schraubt scheppernd das Tempo in die Höhe. Dazu kryptische Texte, die beim Hören Bilder, Geschichten und Gefühle erzeugen.
„Wir müssen weitergehn / die Stufen runtergehn / bis nah ans Wasser ran / Wir können Schiffe sehn / wir können Schwimmen gehn / wir haben Flaschen“
So beginnt „Serge“, der Opener der Platte. Er klingt irgendwie nach Aufbruch, nach Sehnsucht. Nicht ohne Grund nimmt das Meer in vier der Songs auf „Dahinter die Festung“ einen festen Platz ein. Die Weite. Der Gedanke, einfach ausbrechen zu können. Es aber nicht zu tun. Denn da ist auch immer die Enge, das alte Haus aus Holz, etwa im Liedtext von „Schlagring“:
„Der alte Schrank da in der Ecke / sieht ganz schön ranzig aus / er könnte mal gelüftet werden / und wir ganz sicher auch / die alte Hülle rostet / so sieht es halt hier aus“
oder auch im Text von „Slalom“:
„Sie sitzt seit Stunden vor den Karten / und fragt sich nicht warum / Was soll sie sich auch fragen / - sie ist ja schließlich dumm! - / schaut manchmal aus dem Fenster / wo Bäume sind und Stein / und all die ganzen Menschen / die sind erbärmlich klein“
Thematisch geht es auf dem Debüt von NO°RD düster zu. Das individuelle Leiden, die zermürbende Einsamkeit, der Tod und seine Hinterbliebenen werden besungen – aber auch Serge, das Lama.
Die Ähnlichkeit zu DUESENJAEGER-Platten sowie anderen Veröffentlichungen von Tobi Neumann ist bei „Dahinter die Festung“ von NO°RD nicht zu überhören, musikalisch sowie besonders beim charakteristischen Sprechgesang. Das ein oder andere Mal macht sich auch das typische TURBOSTAAT-Gefühl breit, besonders bei Aufbau und Inhalt der Texte. Auch eine Inspiration durch alte PASCOW-Songs kann hier und da unterstellt werden. Doch NO°RD sind keine Kopie der genannten Kapellen. Vielmehr klingt die Musik der fünf Musiker einerseits frisch und eigenständig, andererseits angenehm bekannt. Da wirkt es dann auch wie ein Augenzwinkern, wenn im Video zum Song „Flutlicht“ ein betagter, bärtiger Herr die Instrumente ergreift und ordentlich abrockt:
„Wenn alles vorbei geht / ist alles vorbei / wenns 1 zu 0 steht / ist alles geil“.
„Dahinter die Festung“ ist ein sauber produziertes Erstlingswerk. Die Instrumente bilden eine treibende Klangwand, ohne in matschige Sound-Collagen abzudriften. Einzig der Gesang könnte an manchen Stellen klarer und verständlicher sein. Das Artwork der Platte passt wie die Faust aufs Auge – und auch den Namen NO°RD (nur echt mit dem Gradzeichen) sollte keine andere Band als die von Andreas, Tim, Wilhelm, Holz und Maik tragen dürfen - auch, wenn weder Münster noch Dortmund im Norden des Landes liegen. WE°ST würde aber auch einfach nicht passen.