Pascow:
Lost Heimweh
Meine erste PASCOW-Platte war die „Geschichten, die einer schrieb…“. Damals gab es noch kryptische Scheiße und Pathos aufs Brot. Die Punks im Publikum des AZs trugen weder Bärte noch hatten sie Tunnel in den Ohrläppchen. Das ist lange her. Doch auch schon damals gaben PASCOW bei Auftritten immer alles. Nie habe ich ein schlechtes Konzert der Saarländer erlebt. Vielmehr sprühte es von der Bühne immer vor Spielfreude, purer Energie und Idealismus. Das ist heute noch so, mit einer Schaufel Professionalität oben drauf. Dieser Funken zündet auch bei den nah gefilmten und wohl dosierten Live-Aufnahmen in der Band-Dokumentation „Lost Heimweh“: Sofort will man Teil der schwitzenden Menge sein und die alten wie neuen Lieder abfeiern. Doch „Lost Heimweh“ ist viel mehr als die Aufnahme eines mitreißenden Konzertes. Der Film ist ein Roundhouse-Kick mit Anlauf: Es geht um wachsende Bekanntheit, damit einhergehende Selbstzweifel, autonome Clubs und um Schnupftabakabhängigkeit.
Guten Dokumentationen über Musikkapellen muss eine Gratwanderung zwischen Privatheit auf der einen und Distanz auf der anderen Seite gelingen, um interessante Einblicke zu gewähren ohne dabei nur ein anbiedernder Werbefilm zu sein. „Lost Heimweh“ gelingt dieser Balanceakt.
Andreas Langenfeld und Kay Özdemir begleiteten die Band auf einer Tour durch selbstverwaltete Clubs, die der Band besonders am Herzen liegen. Sie führten Interviews mit Personen, die Teil des PASCOW-Kosmos sind oder waren. Unter vielen anderen mit von der Partie: Rookie Records Label-Inhaber Jürgen Schattner, Produzent Kurt Ebelhäuser, befreundete Musiker wie THE BABOON SHOW und Nagel von MUFF POTTER sowie enge Weggefährten wie Jörkk Mechenbier (LOVE A) und Measy (GIULIO GALAXIS). Die Auswahl dieser Gesprächspartner ist vielleicht etwas vorhersehbar, ihre Aussagen dadurch aber nicht weniger relevant - wobei einzelne beim Thema Musik überraschend engstirnig daherkommen. Der Zuschauer erfährt so die ersten Berührungspunkte der Interviewgäste mit PASCOW sowie ihre Meinung zur musikalischen Entwicklung. Dabei wird der Weg der Saarländer nachgezeichnet, aus dem Proberaum in Gimbweiler in die größeren Hallen mit Zuschauern, die beim Konzert Shirts der Band tragen. Zwischendurch werden ein paar spaßige Anekdoten aus dem Tour-Alltag eingestreut. All diese Sequenzen sind sehr schön geschnitten, teilweise ärgert aber der schlechte Sound, etwa, wenn Joachim Hiller vom OX vor lauter Hall kaum zu verstehen ist.
Ollo, Flo, Alex und Swen werden von ihren Kollegen als authentische und disziplinierte, aber auch zweifelnde Musiker porträtiert. Dieser Eindruck setzt sich in den Interviewpassagen mit den Bandmitgliedern selbst fort: Sie reden offen und hadern auch mal mit dem eigenen Selbstverständnis. Dabei bewahren sie sich aber stets eine angenehme Distanz zum Zuschauer. Hier werden die Hosen nicht komplett heruntergelassen, was privat sein soll, bleibt privat – die Aufnahmen von Männerhintern am Pissoir ausgenommen. Vielmehr geht es um PASCOW an sich.
Alle fragen sich, ob nach dem letzten Album „Diene der Party“ eine weitere Steigerung überhaupt realistisch ist. So bildet die mögliche Auflösung der Band eine erzählerische Klammer, welche die Dokumentation beginnt und beendet – und dabei wie ein Damoklesschwert über den meist hervorragend gefilmten Sequenzen hängt.
Doch „Lost Heimweh“ ist auch noch mehr als eine gelungene Dokumentation. Die Veröffentlichung gleicht einem durchdachten Gesamtkunstwerk und kommt in einer großen Box daher, die keine Fan-Wünsche offenlässt. Wie ein schwarzweißgrauer Faden zieht sich dabei das wunderbare Artwork von Langfeld und Özdemir durch jeden der Inhalte. Das Herzstück bildet natürlich die DVD mit der Doku. Hier finden sich auch großartig gedrehte und abgemischte Liveaufnahmen in voller Länge. Besser kriegt man die Wucht von PASCOW nicht ins eigene Wohnzimmer! Außerdem gibt`s interessante Extras, wie einen kurzen Film über die musikalischen und textlichen Einflüsse aus Sicht von Alex Pascow. Ein wertiges Fotobuch illustriert auf 120 dicken Seiten den Tour-Alltag und die brodelnde Intensität der Saarländer auf der Bühne. Auf einer 10inch liegt der Soundtrack zu „Lost Heimweh“ (natürlich inklusive Downloadcode) bei. Befreundete Bands coverten dafür ihre liebsten PASCOW-Songs. Zwar ist auch hier die Auswahl der Kapellen zu erwarten gewesen, dennoch machen die Lieder großen Spaß, besonders dann, wenn ihnen neue Ebenen hinzugefügt werden. So vereinnahmen LOVE A „too doof to fuck“ mit ihrem unnachahmlichen Stil, PIL TRAFA intoniert „Lauf Forrest, lauf!“ mit seiner Band auf Spanisch und „Im Raumanzug“ wird dank MAX FREYTAG zu einem langsam-melancholischen Klavierstück. Geil! Abgerundet wird das Gesamtpaket durch Aufkleber mit Zitaten aus „Lost Heimweh“ sowie einem sehr schön verarbeiteten Metall-Pin des Raben, der schon das Cover von „Diene der Party“ zierte.
Die feste Verwurzelung in der Punk- und DIY-Szene, die konsequente aber behutsame Weiterentwicklung der Musik und der ständige Wille, auf Platte wie auf der Bühne alles zu geben, sind der Grund, wieso PASCOW auch nach fast 20 Jahren eine der besten deutschsprachigen Punkbands sind. Vielleicht haben sie mit „Diene der Party“ ihren Zenit erreicht. Vielleicht ist „Lost Heimweh“ nicht mehr zu übertreffen, was die Darbietung der Veröffentlichung angeht. Vielleicht sollte man aufhören, wenn es am besten ist, wie an mehreren Stellen der Dokumentation angemerkt wird. Nichtsdestotrotz wüsste ich gerne, was da noch kommen wird. Und PASCOW auf der Bühne möchte ich auch dann nicht missen, wenn die Haare nicht mehr nur grau, sondern weiß sind. Passend zum Artwork.