Chefdenker:
Eigenuran
Es gibt in der Nordstadt eine Bude, da gibt es DAB-Export in der Dose für 1 Euro ohne Pfand. Es handelt sich dabei um für den Export (!) nach Kanada bestimmtes Bier, das aber nie in Kanada angekommen ist! Ich habe es gekauft. Es schmeckte nicht so prall, aber ich brauchte dringend Dosenbier und wollte die Dose danach auch wegschmeißen, denn mal ehrlich, was ist Dosenbier ohne das befriedigende Gefühl der Entsorgung zerdrückten Altmetalls im nächstbesten Mülleimer? Richtig: immer noch Dosenbier. Deshalb kaufe ich mir evtl. demnächst einfach mal "Prost", "Schloss" oder "5,0", denn alle diese Dosenbiere kosten weniger als Hansa Pils, wenn man das Pfand abzieht. Nicht, dass ich das nötig hätte, ich kann mir Hansa Pils in Flaschen vom Kiosk durchaus leisten, aber ihr Lieben, Dosenbier hat einfach ein bestimmtes Aroma, das man nicht nachmachen kann, insbesondere preisgünstiges Dosenbier vom Discounter. Dazu das erhabene Gefühl des Klopfens und Eindrückens, da wird man gleich wieder jung, nicht wahr? (Kurz bevor Dosenpfand eingeführt wurde, war ich schon 18 oder so. Ich schnappte mir den Wagen meiner Eltern und fuhr zum Aldi. Dort bot sich mit ein Bild des Chaos: Der Boden war geflutet mit Karlsquell und Schulten-Bräu, ein paar einzelne Dosen lagen darauf verstreut, ungefähr zehn Paletten pro Marke waren jedoch noch im Angebot (5 cent Karlsquell, 9 cent Schulten-Bräu), ich lud sie hastig in meinen Einkaufswagen, hatte ich doch das Glück gehabt, dass das Schlimmste - die Schlacht - offenbar schon vorüber gewesen war. Ein halbes Jahr lang konnte ich von dem Vorrat zehren, den Geschmack vermisse ich noch heute.)
Die Punkrock-Gruppe CHEFDENKER hat sechs Jahre an einem Konzeptalbum über Dosenbier gearbeitet. Es heißt "Eigenuran", was leider herzlich wenig mit dem Thema oder mit sonst irgendwas auf dem Album zu tun hat und auch ziemlich doof klingt, aber das ist mir egal. Mindestens 50% von "Eigenuran" handeln von Dosenbier. In verschiedenen Facetten (das Reizthema "Dosenpfand" wird allerdings nicht verhandelt, was das Werk leicht anachronistisch erscheinen lässt - oder auch utopisch, siehe oben) wird die Thematik beleuchtet, mal wird der geringe Preis gelobt ("Preisgünstiges Dosenbier"), dann wieder die objektiv durchaus vorhandene Scheußlichkeit des Produkts angesprochen ("Scheidungskind" - jedes Mal muss ich lachen, ganz groß!). Nimmt man noch die Lieder über Alkohol hinzu, in denen Dosenbier nicht im Mittelpunkt steht, behandeln Chefdenker auch die typischen Facetten Einsamkeit und Alkoholismus ("Chris Howland", "Manni hat Durst"). Absolut prägnant und damit abschließend vollendet behandelt wird das Thema in "Ich saufe mehr als der Arzt erlaubt": "Saufen, saufen, saufen, saufen, saufen, saufen / Es fällt mir etwas schwer, geradeaus zu laufen / Oh Gott, das Gleichgewichtsorgan im Innenohr / Ich muss zum HNO-Doktor!" - danach kann eigentlich nichts mehr kommen. Und es kommt doch noch etwas! "Downtown" behandelt das Thema Sinnfindung in der Großstadt, "Die Shell Jugendstudie" die Sinnlosigkeit sozialwissenschaftlicher Forschung, und "Lebenslauf" zeigt uns die melancholische Seite Chefdenkers in einem Text, den ich nicht verstehe - bis er dann wieder den Dreh in Richtung Dosenbier findet und alles gut wird. Und was dann am Ende in "Harter Weg" passiert, tut nicht nur denen gut, deren Verwandte in der Facebook-Freundesliste ihr trauriges Leben täglich dadurch aufpeppen müssen, dass sie sich und anderen mit nachdenklichen Sprüchen vor romantischen Bildern etwas unwahrscheinlich Gutes tun wollen. Was für ein Song! Was für ein Text! Danke, Claus Lüer, danke, Chefdenker!
Musikalisch hat das alles nicht mehr viel mit Punk zu tun, Chefdenker machen Country-lastigen Hard Rock. Ich mag das, andere finden's wahrscheinlich scheiße. Leider habe ich mit "Eigenuran" das kleine Problem, dass die Texte mir auf Dauer etwas zu wenig Substanz haben, jedenfalls deutlich weniger als z.B. auf "Eine von hundert Mikrowellen", aber gut, das wird auch auf ewig unerreicht bleiben und kann auch an mir liegen. "Eigenuran" ist auf jeden Fall ein weiterer Meilenstein im extrem meilensteinigen Oeuvre Claus Lüers und Chefdenkers und das perfekte Album für ein nettes Treffen mit Freundinnen und Freunden beim ein oder anderen Dosenbier. Wir sind ja auch schon groß, einige haben gar selber Autos und Berufe, da kann man hinterher die Paletten auch leer wieder zurückbringen, nicht wahr? Ich mag es ja auch irgendwie, Einwegpfand einzulösen, da fühle ich mich immer so reich. Komisch. Alles total komisch. Lasst es euch schmecken!