Jaguwar:
Ringthing
Ende der 2000er Jahre spielte ich als junger, naiver, aber gut aussehender Bassist mit meiner damaligen Indierockband mit der Vorgängerband von Jaguwar, die damals “The Artbreak Heart Shop” oder so hießen, in Chemnitz auf.
Das Konzert hatten die klar gemacht und hinzu kam, dass sie a. die bekanntere und b. die deutlich lauteragressiverschnellerüberhaupt Band waren und für uns stand die ganze Zeit fest, dass wir als erstes spielen - den Support machen, den Abend eröffnen, das Publikum heiß oder zumindest lauwarm. Aber Jaguwars Vorgängerband kamen an und sagten, dass sie nach dem Konzert noch nach Hause nach Dresden fahren, da ihr Bassist eine Aufnahmeprüfung für eine Ausbildung [oder duales Studium oder Wurstfabrik, ich weiß es nicht mehr genau - Nazijäger vielleicht? Kann Mensch doch gut machen in Dresden, oder? Gibt's doch genug.] hatte und deswegen sollte es nicht so spät werden. Naja, was sollten wir anderes sagen, als: “Ok, können wir so machen.”
Aber falsche Entscheidung: Wir hätten es dann lieber einfach ganz sein lassen sollen, denn The Artbreak Heart Shop oder wie sie damals auch immer hießen, waren wild, laut, aggressiv, krachend und ergreifend - so wild, laut, aggressiv, krachend und ergreifend, dass unser Auftritt danach wirkte, als hätte Metallica sich eine Schülerband der 9. Klasse, deren Repertoire aus schlecht gespielten Beatles Klassikern wie “Hey Jude” oder “Obladi Oblada” besteht, als Support geladen und dann hat Lars Ullrich kurzfristig entschieden: “Oh nö, heute spielt der Support mal als zweites und wir können früher schon Geld(säcke) zählen und koksen.” Und nach Metallicas Auftritt verlassen die anwesenden 80.000 Zuschauer die charakterlose Mehrzweckhalle und nur die ganz besoffenen, die noch nicht mitbekommen haben, dass Metallica jetzt nicht jünger geworden sind und ein unglaublich schlechtes Beatles-Coverset spielen, torkeln noch durch den Saal auf der Suche nach dem Ausgang, um sich ab und zu dann doch noch einmal zur Bühne umzudrehen, um den Refrain von Obladi Oblada im Heavy Metal Style mitzugrölen. Es ist vernichtend und ich tat mir damals so selber leid.
Ich erzähl das alles, weil ich der Band über die Jahre immer weiter auf Facebook gefolgt bin, hier und da mal reingehört habe, was sie machen, die Umbenennung oder Neugründung mitbekommen habe [wobei ich den alten Namen fast besser fand, auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann] und nun ja, ich gespannt war auf eben dieses Album, das immerhin bei Tapete, einem etwas elitären Indie-Rock-Pop-Label, aber durchaus mit Geschmack, erscheint.
Und alles ist anders. Das Album ist prima und ergreifend. Verspielt, tolle Melodien, prima zweistimmiger Gesang - nur für meinen Geschmack zu leise (gemischt), aber vermutlich ist das ja so auch gewollt. Weiter geht's mit toller Gitarrenarbeit und ein noch besseres Schlagzeug - das macht so Spaß, dem Drummer zuzuhören, weil er immer wieder mit schönen kleinen Fills und Breaks überrascht.
Aber Folgendes ist es nicht: wild, laut, aggressiv und krachend.
Manchmal reißt die Gitarre den Gain-Regler schön weit auf, aber es ist weit davon entfernt, dass die Platte mich animiert, mein Zimmer in Brand zu setzen oder Nazis zu jagen. Aber es ist ja auch “Dream Pop”, hat die Sängerin in einem Interview mit Deutschlandradio gesagt. Ich wusste nur nicht, was das sein soll, als ich mir das Interview angehört habe. Und was vorstellen konnte ich mir auch nicht darunter. Auch soll die Musikrichtung “Shoegaze” heißen, weil die gitarrespielenden Menschen immer die ganze Zeit auf ihre tausend Pedale schauen, weil sie zu viel wechseln müssen - das macht Dominik von den Dead Koys auch, aber die sind lauter. Fairerweise muss ich sagen, dass die Sängerin in dem eben erwähnten Interview auch meinte, dass es live deutlich lauter zur Sache geht. Live hab ich sie in neuer Besetzung nur noch nicht gesehen. Muss ich wohl aber dringend nachholen und berichten.
Meine Überraschung über das softe Album soll aber nicht bedeuten, dass dies nicht ein super Album ist und alle, die den grüblerischen verträumten Sound von The Cure über My Bloody Valentin mögen, werden dieses Album ganz sicher auch abfeiern. Und zum Ende hin - der letzte Track, der passenderweise “End” heißt - rasten die auch noch mal halbwegs aus, auch wenn der Schlussakkord auf der Akustikgitarre geklimpert wird. Ich werde das Album noch ein paar Mal hören müssen, um mir wirklich abschließend eine Meinung machen zu können, was ich davon halten soll, bzw. wie gut ich es finde und wo ich es in meiner eigenen imaginären Schublade zwischen Deutschpunk und HipHop nun einkategorisiere. Die Texte habe ich bis dahin bestimmt nicht verstanden, aber ist auch die Frage, ob das auch so wichtig ist. Nen Textblatt lag dem Promokrams nicht bei - Abzug in der B-Note für die Promoagentur!