Cold Kids:
Sektempfang bei Scheele
Nach einigen vielversprechenden EP-Veröffentlichungen (u.a. mit KRANK) haben die Bamberger COLD KIDS den ersten Longplayer veröffentlicht, auf welchen folgende Adjektive zutreffen: treibend, düster, kryptisch, bedrückend (bis zu dem Punkt, an dem es deprimierend wird), groß.
COLD KIDS machen Wave-Punk, der (natürlich) stellenweise Erinnerungen an die 80er weckt, sich aber nie in Reminiszenzen an die Bands dieses Jahrzehnts verliert.
Um es kurz zu machen: „Sektempfang bei Scheele“ ist das Album des Jahres, weil:
- Diese Platte funktioniert wie ein Präzisionsuhrwerk: Das Zusammenspiel der Instrumente interagiert perfekt mit den Arrangements und Texten, es entstehen Klanglandschaften, die die Geschichten der Songs komplettieren und weiter erzählen. Alles wirkt so (be-)drückend, treibend, fast schon hektisch (toll umgesetzt in „Weiter“), dass man glauben mag, es handele sich hier um eine Vertonung von Kafkas „Process“.
- Die Texte sind, ohne Übertreibung, Grimme-Preis-verdächtig. Alles hoch gesellschaftskritisch, ohne dass dabei jemals olle Punker-Plattitüden oder ausgelutschte Worthülsen verwurstet werden müssen. Nichts über den Kampf von „denen da unten gegen die da oben“, der Texter hat verstanden, dass dieser Kampf schon längst verloren wurde, alles was bleibt ist also eine Bestandsaufnahme über die Abgefucktheit unserer Gesellschaft und der Sinnlosigkeit des Seins. Das moderne Sklaventum der Lohnarbeit („Über Leben“) ist nicht zu überwinden, weil die janusköpfige Gesellschaft („Weiter“: „zur Begrüßung ein Handkuss / zum Abschied ein Kopfschuss“ – Gänsehaut!!) dieses abgefuckte Spiel einfach immer weiter mitspielt. Jeder will was Besonderes sein und das größte Kuchenstück haben („Fame“), aber eigentlich sind alle gleich, gleich scheisse und kaputt („Ameisenhaufen“) – schütt‘ Benzin darauf und zünd‘ ihn an!
Was bleibt also? Verzweiflung. Ohnmacht. Rastlosigkeit.
- Das Ganze fühlt sich durchweg authentisch an, da ist nichts Aufgesetztes. Das hier ist ein schwarzes Loch mit einer Menge Wut im Bauch und existenzieller Hilflosigkeit, das vollendete Scheitern am Leben.
„Sektempfang bei Scheele“ geht ganz nah an dich heran, packt dich und reißt dich mit. Man merkt, dass da was unter der Oberfläche brodelt, dass es hier im nichts Geringeres als Seelenfrieden geht, dass diese Scheibe eine Therapiesitzung ist. Das ist schrecklich-schön. Die Verzweiflung des Sängers, dieses Getriebenen und Rastlosen, wird grandios instrumental in Szene gesetzt und ist dabei so echt und greifbar, dass es weh tut, man will sich schütteln und „NEIN! Das ist alles gar nicht so schlimm!“ schreien, aber dann realisiert man: doch, ist es. Fuck.
Man könnte ganz leicht noch 1000 Worte und mehr über diese Scheibe verlieren, zum Beispiel dass mich lange Zeit keine Platte so sehr gepackt hat wie der „Sektempfang“, oder dass mich das Album in eine mittelschwere Sinnkrise geworfen hat, oder, oder, oder. Stattdessen nur noch das hier: Tu dir, liebe/r Leser/in, den Gefallen und kauf dir diese Platte. Jetzt. Und alle anderen Veröffentlichungen auch!