SPOILERALARM Solltest du das Traumschiff von Ostern noch nicht gesehen haben und vorhaben, dies noch zu schauen, so solltest du diesen Beitrag nicht lesen. Er könnte dich verstören.
Das Traumschiff kommt nur an Ostern und Weihnachten und ist für all die Menschen gedacht, für die der regelmäßige Sonntagstatort zu belastend ist. Es ist für alle, die gerne einmal eine Kreuzfahrt auf der MS Deutschland (kein Witz) machen würden. Für alle, die noch von der „Südsee“ oder einer Safari ins „exotische“ Afrika träumen. Für alle, die von den 50ern und 60ern als die gute alte Zeit sprechen, als der Mann noch ein Mann war und eine Frau eine Frau war. Für alle, die sich Florian Silbereisen als Kapitän (kein Witz) wünschen und sich niemals vorstellen können, dass es auch eine Kapitänin geben könnte. Für alle, die immer schon mal Urlaub mit Zimmerservice genießen wollen und mit Namen an Deck begrüßt werden möchten. Für alle, die zu Hause auch gerne mal eine Kapitänsmütze tragen. An diese Zielgruppe richtet sich diese Sendung. Diese reaktionäre Sendung ist so ein Skandal, dass das eigentlich nicht unkommentiert stehen gelassen werden kann. Für diese Sendung wären wir gerne der kommentatorische Eisberg, der die MS Deutschland das letzte Mal auf große Fahrt schickt.
Es ist Sonntag, der 12.04.2020, so circa 20:00 Uhr. Corona-Zeit heißt Zuhause-Zeit. Also entschließen sich die zwei aufstrebenden TV-Kritikerinnen Sabine Walter und Lorena Mangel sowie die beiden Bierschinken-Redakteure Zwock und Dr_Lü-Ken_moderiert, sich diesem analogen „Fernsehhighlight“ hinzugeben. Pünktlich um 20:15 Uhr beginnt das Traumschiff im ZDF. Die vier KritikerInnen versammeln sich vor ihren analogen Endgeräten. Die Funksprüche der vier werden via Skype abgesetzt.
Heute sticht die MS Deutschland in Richtung Marokko in See. Vorab wird wie immer über das stereotype oder sogar rassistische Motiv der heutigen Sendung spekuliert. Hoch im Kurs stehen Tausendundeine Nacht, wildes Treiben und Abzocke auf dem Basar sowie aufdringliche Verkäufer (!).
Wie jede Folge des Traumschiffs beginnt auch diese Seereise am Anleger im Hafen. Dort werden alle Reisenden mit ihrem Namen begrüßt (Sektempfang) und wie immer die ProtagonistInnen der heutigen Folge mysteriös in Szene gesetzt, wie immer gibt es drei (!) Geschichten, die auf dem Schiff erzählt werden und von denen die DrehbruchschreiberInnen sich erhoffen, für das breite Publikum vom Kind bis zur*m Senior*in Identifikationspotential zu bieten. Oft dürfen auch prominente Gäste nicht fehlen. In Erinnerung ist uns allen hoffentlich noch der absolut nicht in die Geschichte passende Gastauftritt von Roman Weidenfeller an Weihnachten.
Der Anfang auf dem Schiff (wie immer) gebührt, wie es sich gehört, dem Kapitän Florian Silbereisen (kein Witz). Einer pathetischen Rede des Kapitäns Florian Silbereisen folgt ein Einspieler, der die ZuschauerInnen vor den Endgeräten mit romantisierenden Bildern auf das „neue Land“ einschwören soll. In den Wohnzimmern soll der Satz fallen: „Ach is dat schön da. Da möchte ich auch gerne mal hin!“ Das große „Abenteuer“ kann beginnen.
Die Geschichte von heute ist schnell erzählt.
Eine marokkanische Prinzessin (!) („woher können Sie eigentlich so gut deutsch?“) reist mit der MS Deutschland zurück in ihre Heimat, um dort verheiratet zu werden (kein Witz). An Bord tun sich schnell zwei Verehrer auf. Der böse Fotograf, dem kein rassistischer Männerwitz zu schade ist, trifft auf toleranten und politisch korrekten Fitnesstrainer. Ratet mal, wer sie nach einigen „Aufregern“ „bekommt“? Der marokkanische Patriarch und König übergibt schließlich seine Tochter einem anderen Mann und somit der wahren Liebe. Hier wird der Vater noch ernst genommen.
Weiter geht es mit dem abgehalfterten Schlagerstar Wolfgang Firek, der als Pianist an Bord der MS Deutschland verweilt. Zu ihm gesellt sich gegen seinen Willen eine Frau und damit holt ihn seine Vergangenheit ein. Die vermeintlich sexuelle Spannung ist gar keine sexuelle Spannung: Sie sind Geschwister. Das ehemalige Schlagerduo hatte sich zerstritten und findet im Sinne des familiären Friedens wieder zueinander. Was sollen die NachbarInnen sonst bloß denken.
Letzter Teil der heutigen Seereise und gleichzeitig spannungsmäßiger Tiefpunkt ist eine reiche Galeristin, die ein Sammelsurium hochwertigster Gemälde im Keller der MS Deutschland lagert, um sie dann in Marokko an exklusive InteressentInnen zu veräußern. Wer hätte es ahnen können: Es befindet sich ein smarter Kunstfälscher an Bord, der auf geheimnisvolle Weise ihr Lieblingsstück entwendet und in seiner Kabine plagiiert. Dieser plumpe Betrüger tauscht Original und Fälschung aus, was die Kunstliebhaberin natürlich sofort bemerkt. Sie informiert geistesgegenwärtig den Kapitän Florian Silbereisen, der als Kapitän scheinbar nichts besseres zu tun hat, um nun als Detektiv in Erscheinung zu treten. Gemeinsam mit der Frühstücksdirektorin überwältigt Florian Silbereisen den gemeinen Betrüger.
Nebengeschichte: Florian Silbereisen tauscht an Land seine weiße Uniform gegen Lederjacke und Motorrad und wird damit zum freiheitsliebenden Rebellen. Höhepunkt ist das gemeinsame Sandboarding mit der Frühstücksdirektorin (sexuelle Spannungen treten auf), bei dem Florian Sibereisen sein Tattoo entblößt und die Frühstücksdirektorin aus einer misslichen Situation rettet.
Fazit: Das heutige „exotische“ Abenteuer nach Marokko („da wollten wir doch schon immer mal hin“) hat uns KritikerInnen leider im Keller der MS Doitschland vergessen.
Wie immer war die heutige Reise mit dem Traumschiff eine widerliche Reise in die Vergangenheit. Wie immer bediente dieses „Qualitätsfernsehen“ (danke GEZ) kolonialistische und „exotische“ Sehnsüchte nach der „guten alten Zeit“: Wie immer wird die andere Kultur anhand von Stereotypen romantisiert und damit gleichzeitig der latente Rassismus überspielt. Wie immer ist der weiße Mann der Retter und Frauen möchten von diesen umgarnt werden. Wie immer werden Exit-Sehnsüchte der kleinen Frau und des kleinen Mannes bedient, die immer schon einmal aus ihrem Alltag ausbrechen und die Freiheit eines großen „Abenteuers“ genießen wollen.
Wir möchten der MS Doitschland empfehlen, die Reise in „exotische“ Länder einzustellen und sich aus aktuellem Anlass in der praktischen Seenotrettung im Mittelmeer zu engagieren.
0,5 von 5 Bierschinken.
Fernsehen für die doitsche Kernfamilie.
Danke für euren Beitrag zu dieser Sendung.
Lorena Mangel, Dr_Lü-Ken_moderiert