Nathan Gray:
Working Title
Rezensionen schreiben macht mir keinen Spaß. Viele Platten, die veröffentlicht werden, finde ich einfach langweilig und manchmal ärgere ich mich fast ein bisschen, dass ich meine Zeit (die mit zunehmendem Alter natürlich immer weniger und deshalb kostbarer wird) damit verschwenden muss. Noch mehr Platten sind okay und man kann nicht mal einen fiesen Verriss schreiben, trotzdem wandern sie nach der Rezension auf den "Werd-ich-wohl-nie-wieder-hören"-Stapel. Und ganz selten ist mal eine Platte dabei, die mich wirklich begeistert, so wie "Working Title" von NATHAN GRAY.
Woran liegt das? Vielleicht daran, dass ich mir sämtliche Texte auf kleine Affirmationskärtchen schreiben könnte. Hier werden so viele emotionale Geschütze aufgefahren, dass ich einfach meine Deckung aufgeben und die Waffen strecken muss, was ich bei anderen Musiker*Innen wahrscheinlich pathetisch, kitschig oder schlicht nervig fände, ist in Songs wie "Still here" oder "No way" einfach authentisch und berührend. THE CASTING OUT klingen hier und da durch, einige Melodien erinnern an das letzte BOYSETSFIRE-Album, alles trägt unverkennbar die Handschrift von NATHAN GRAY, ohne dass er sich bloß selbst kopiert.
Vielleicht ist es auch die positive Grundstimmung des Albums oder die musikalische Lebendigkeit, vom tanzbaren "The Markings" bis zum von Klavier und Cello begleiteten "Refrain" ist alles vertreten und ich kann mir gut vorstellen, dass die Songs live sowohl auf der großen Bühne mit Band, als auch aufs Minimalste reduziert in der verrauchten Bar funktionieren. NATHAN GRAY hat einfach eine großartige Stimme, ich kann das nur immer wieder betonen, das kommt besonders bei den Akustik-Versionen der Songs auf der zweiten CD/Platte zur Geltung. Sympathisch auch, dass die Unterhaltungen zwischen Nathan und dem Tonmenschen nicht weggeschnitten wurden, immer schön zu wissen, dass selbst Profis durchaus keine One-Take-Wonder sind.
On Top zum eigentlichen Album "Working Title", den "Little Eden Sessions" mit den Akustik-Versionen auf CD/Platte 2 gibt es noch eine knapp 30minütige DVD mit dem Titel "Lost and found" mit Studioaufnahmen und kurzen Interview-Sequenzen, in denen der Sänger sehr offen und sichtlich bewegt über die Auseinandersetzung mit seiner Missbrauchserfahrung, Drogenabhängigkeit und den Weg aus der Depression spricht.
"Working Title" ist ein wirklich starkes, hoffnungsvolles, sehr persönliches Album mit einer wichtigen Aussage: wenn du schlimme Erfahrungen gemacht oder mit Problemen zu kämpfen hast, verschließe dich nicht. Lass Gefühle zu, sprich darüber, trau dich, dir Hilfe zu holen. Du bist damit nicht allein.