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Terrorgruppe:
Jenseits von Gut und Böse

Prolog: Als vor ein paar Jahren die Reunion der Terrorgruppe und ein neues Album bekannt gegeben wurden, war meine Skepsis dem Album gegenüber sehr hoch, hoffte jedoch, dass meine Liebe zu der Band wieder neu entfacht werden würde, da diese unter der Fundamental etwas gelitten hatte. Diese Erwartung wurden leider schwer enttäuscht, das Album floppte bei mir persönlich fast komplett, bis auf Schmetterling nervten mich fast alle Titel so arg, dass ich einmal kurz davor war, die CD während der Fahrt in hohem Bogen aus dem Fenster meines Autos zu feuern. Als nun wieder eine neue Platte angekündigt wurde, schwankten meine Gefühle zwischen Gleichgültigkeit, extrem niedrigen Erwartungen und sogar ein bisschen Angst.

Hauptteil: Vielleicht war gerade die erwähnte niedrige Erwartungshaltung das beste Gefühl, mit dem ich an die diese Scheibe herantreten konnte. Denn als ich vor Kurzem die dritte, vorab veröffentlichte Single Krieg ist super hörte, war die alte Liebe mit einem Schlag wieder da!
Zuvor ließ mich „Sie nationalistische Bullensau“ zwar kurz aufhorchen und schmunzeln, aber gerade wegen dem starken Provo-Faktor trotzdem irgendwie kalt. Irgendwie war mir das schon wieder zu sehr „gewollt“ und der mögliche Aufschrei zu kalkuliert. Auch wenn sie mit dem Inhalt des Songs, wie es die letzten Wochen und Monate mit Hinblick auf Entwicklungen um Gruppen wie „Nordkreuz“ und dem Fall George Floyd in den USA gezeigt haben, voll ins Schwarze treffen. Wer nun hofft, dass dieses Lied auch auf dem Album zu finden sein wird, den muss ich leider enttäuschen. Eine Indizierung und somit eine Beschlagnahmung der Tonträger wäre so dermaßen wahrscheinlich gewesen, dass es Irrsinn gewesen wäre, es mit auf Jenseits von Gut und Böse zu packen.
Als ich nun das komplette, fertige Werk vorliegen habe, braucht es allerdings nur einen einzigen Durchlauf bis ich, neben Krieg ist super, weitere veritable Hits ausgemacht habe. Sofort schließe ich die Loser-Songs Der Trottel (Oi,Oi,Oi) mit seiner Klavierbegleitung und seinem coolen Gitarren-Solo nach dem Break und Fettes betrunkenes Schwein in mein Herz. Schnell folgt Männer, der Song über viele meiner, leider immer noch oft, was vorgefertigte Rollenbilder betrifft, jedes Klischee erfüllenden Geschlechtsgenossen. Außerdem Easy Jet, der gleichzeitig die Themen Reisen, die ungerechte Verteilung von Privilegien, Flüchtlingskrise und die Festung Europa beackert. Bei dem letztgenannten stört mich nicht mal der Synthie, den ich bei Tiergarten noch als vollkommen schlimm und unnötig empfand. Ganz im Gegenteil, er gibt dem Song, gerade erst die richtige Würze. Gerade bin ich bei Durchgang Nummer vier oder fünf und ADHS, die Hymne für jeden Zappelphillip und Zusammenstehen, ein Song mit Durchhalteparolen für alle Irren, sind auf gutem Wege, von mir mehr als nur gemocht zu werden. Unterm Strich bleiben erstmal nur Alexandra und Suizidoption, die mir noch nicht glatt reinlaufen. Dafür, dass ich weniger als nichts erwartet habe, ist das doch erstmal ein wirklich guter Schnitt!

Zwei Fragen stellen sich mir nur bezüglich zweier der Songs. Erstens, habe ich mich verhört oder wird in Sinnlose Beleidigungstrategie gegen Fabelwesen die Gottheit Shiva als "verweichlichter Hippie-Spasti" betitelt? Ist "Spasti" als Schimpfwort wirklich noch vonnöten? Sollte man hier nicht etwas mehr Contenance walten lassen? Oder bin ich nun der verweichlichte Hippie? Zweitens, wenn alte Politiker in Alt-Delete gebeten werden abzutreten und gleichzeitig noch ihren Führerschein abgeben sollen, wie sollen sie sich dann ohne Airbag totfahren?

Auch wenn die Band es im Interview mit dem Plastic Bomb Fanzine abstreitet, finde ich schon, dass, wer genau hinsieht, im Schaffenswerk der Berliner eine wiederkehrende Themenzentrierung entdecken kann, die sich wie ein roter Faden durch alle ihre Alben zieht. Als da wären zum Beispiel: Polizisten (Sie nationalistische Bullensau, Disco 96), Reisen/Urlaub und das Gebaren weißer Menschen in fremden Ländern (Schöner Strand, Easy Jet), Verkehrsteilnehmer (Lastwagenfahrer, GTI, Gaffer-Lied), Krieg (Krieg ist super, Frontbericht), Politiker (Alt-Delete, Keine Airbags), traurige trinkende Männer (Fettes betrunkenes dummes Schwein, Der Trottel (Oi,Oi,Oi), Tresenlied), und Depressionen (Zusammenstehen, Alles Ist Gut, Schwarz und Dunkel, Tresenlied). Schaut man sich auch mal den Song Alexandra vom neuen Album an, wirkt er wie eine Fortsetzung von Sabine vom Album Melodien für Milliarden. Böse Zungen könnten ja nun behaupten, die Terrorgruppe würde sich ständig wiederholen. Aber das würde ich natürlich nie tun. Es sind ja auch wirklich alles wichtige Themen, die hier behandelt werden. Gerade die Bereiche Verkehrsteilnehmer und trinkende Männer!

Werbung: Jenseits von Gut und Böse erscheint nicht nur auf CD und LP, sondern auch noch als Box-Set zum doppelten Preis. In diesem Box-Set ist neben einigem Schnickschnack noch eine 10-Inch mit 4 Bonussongs erhalten. Die ausnahmslos alle so dermaßen gut sind, dass es für mich eigentlich unverständlich ist, warum sie nicht mit auf das Album gekommen sind und somit jedem, der nicht zum Box-Set greift, vorenthalten werden. Die alten Herrn Punker wollen wohl noch schnell ein paar Einkünfte für die Rock'n'Roll-Rente generieren, was?

Den Sound dieser Platte würde ich als eine mal mehr mal weniger poppige Mischung aus dem von Keiner Hilft Euch und dem von Tiergarten beschreiben. Die Synthies sind nach wie vor präsent und bekommen ihren Raum, drängen sich aber auch nicht zu sehr auf oder in den Vordergrund. Ansonsten sind viele Songs etwas individueller gestaltet worden, selbst ein Saxofon lässt sich kurz ausmachen,
Das einzige wirklich Negative an diesem Album ist das unspektakuläre und schäbige Cover. Das von Tiergarten war zwar noch eine Nummer schlimmer, aber mit diesem gewinnen sie sicherlich ebenfalls keinen Blumentopf.

Epilog: Das Feuer der Liebe für die Terrorgruppe lodert wieder in meiner Brust, schade eigentlich, dass sich die Band mit dieser Platte verabschiedet! Für die Beziehung zwischen der Band und mir wirkte sie trotzdem wie eine erfolgreiche Paartherapie! Ich hoffe, sie machen noch das eine oder andere Mal in der Gegend Halt, so dass ich die neuen Songs und hoffentlich auch viele alte Hits live abfeiern kann und mich nochmal für ein paar Stunden in mein Jugendalter zurückversetzt sehe!

P.S.: Was ist eigentlich mit einem Rerelease von Nonstopaggropop und Keiner Hilft Euch auf Vinyl? Macht mal bitte!

Peter 07/2020
Hörprobe:
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Terrorgruppe - Jenseits von Gut und Böse

Stil: Punk, Punkrock, Aggropop
VÖ: 26.06.2020, LP, CD, Aggropop


Tracklist:

01. Suizidoption (Prolog)
02. Sinnlose Beleidigungsstrategie gegen Fabelwesen
03. ADHS
04. Der Trottel (Oi, Oi, Oi)
05. Fettes betrunkenes dummes Schwein
06. Lastwagenfahrer
07. Ein Führer wird kommen
08. Männers
09. Alexandra
10. Alt+Delete
11. Nestle (weiss jemand, wie man dieses Scheiss-Häkchen übers e macht?)
12. Easy Jet
13. Krieg ist super
14. Zusammenstehen


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Kabl

04.07.2020 10:51
"Irgendwie war mir das schon wieder zu sehr „gewollt“ und der mögliche Aufschrei zu kalkuliert."

Exakt das habe ich mir beim Hören auch gedacht. Aber vielleicht gebe ich dem Album doch eine Chance. Nach diesem Bullenlied hatte ich überhaupt keine Lust mehr mich mit der Band zu befassen. Die Rezension hat mich ein bisschen umgestimmt.
Bönx
(Bönx)
04.07.2020 11:06
Ich weiß nicht, musikalisch ne geile Platte... aber die Texte. Ich weiß auch nicht. Tiergarten wiederrum fand ich großartig.
Kabl

17.07.2020 14:28
So, jetzt mal komplett durchgehört. Besser als gedacht, wie Bönx sagt: Musikalisch richtig gut. Auch die Melodien enorm schmissig. Textlich nicht mal so peinlich wie nach dem Bullen-Song erwartet, im Gesamtkontext des Terrorgruppen-Werks, wie von Peter analysiert, aber auch nix Neues. Aber durchaus solide, zum Beispiel Song 2 finde ich ganz witzig. Passt. Gutes vorläufiges Abschlusswerk vor der nächsten Reunion, die vermutlich so 2025 stattfinden wird.

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