Es ist ein kalter und regnerischer Freitagabend im Oktober. Ich sitze auf der Couch in meine Lieblingsdecke gehüllt und trinke einen großen Schluck Ingwertee aus meiner Jumbotasse. Irgendwie gefallen mir diese usseligen Herbsttage, denn sie versprühen einen ganz besonderen Charme und eine eigene Energie. Doch zu meinem vollen Wohlbefinden fehlt mir das letzte Quäntchen meines Glücks und mich beschleicht das komische Gefühl, etwas vergessen zu haben. Gedankenverloren blicke ich auf mein Handy und sehe in diesem Moment, dass der Chef anruft.
„Lüken, du Aal!“ kreischt es aus dem geschredderten Lautsprecher meines Iphone 5. Eigentlich müsste ich das Teil dringend gegen ein neues tauschen, aber dafür wirft der Job beim Bierschinken zu wenig ab.
„Wo bleibt eigentlich deine Rezi?!“, brüllt Fö mich durch den Hörer an.
„Die Rezi?“, frage ich verwirrt.
„Mensch Lüken, dir muss ich den Verstand wohl wieder einmal einprügeln, oder was?!“, ruft Fö. Seine Stimme überschlägt sich. „Die ‚Rauchen macht heroinabhängig‘ ist schon seit Monaten überfällig!“
Langsam erinnere ich mich wieder. Sechs Monate und acht Tage um genau zu sein. „Aber Chef, die Rezis sollten doch erst einmal warten bis zur Fertigstellung des Bierschinken-Impfchips. Die Entwicklung eines Bierschinken-Impfchips hat doch noch immer allerhöchste Priorität, hast du gesagt.“ Mit meinem Mut zur Wahrheit merke ich, dass ich wieder einmal zu weit gegangen bin.
„JETZT WERD NICHT FRECH, DU LURCH!!!“, zieht mich sein Gebrüll fast durch den Hörer. „Ich hab die Rezi am Montag auf dem Tisch. Sonst war’s das! Mir reicht’s mit dir!“
Um das Band zwischen Fö und mir noch zu retten, kippe ich meinen Ingwertee runter und warte, bis mein alter Medion-Rechner hochgefahren ist, und mache mich nach einer gefühlten Ewigkeit an die Arbeit. Das kann ja heiter werden...
Dispo sind laut eigenen Angaben drei Menschen aus Leipzig und veröffentlichen ihre Kassette beim absoluten Qualitätslabel Phantom Records. Das Tape erscheint im handlichen Zigarettenschachtelformat und erinnert auch optisch eher an Roth-Händle als an eine Musikkassette. Ich freue mich jedenfalls wie ein Kind am ersten Schultag, als ich den Titel lese: Mit „Rauchen macht heroinabhängig“ taucht heute eine Kassette zum ersten Mal auf dem Schulhof auf, die das Niveau ganz gehörig nach unten senken wird und Anton und Lotta in den Dreck schubst.
Zu hören gibt es feinsten Lo-Fi-Punk mit ordentlichen Trash-Texten. Schlagzeug, Bass und Gitarre klingen rumpelig und nach einem urigen Punksound. Die Texte sind auf deutsch, der Gesang ist gepresst und gekreischt. Auf dem Tape sind zwölf Songs, vier davon knacken so gerade die Zwei-Minuten-Marke und dann auch noch gleich der erste Song „das schwarze unterm nagel“. Der wunderbare Rumpelsound trägt mich durch das Album, als ich realisiere, dass ich schon bei Song 8 bin. Bis dato gibt es großartige Samples zu hören („finden Sie es okay, einen Mercedes anzuzünden?“ in „nie wieder dumm“) und wunderschöne Lyrics wie „bring den Müll raus, wenn du gehst, wenn du wiederkommst, bring Blumen mit“ (in „blumen“), unterlegt mit feinstem Lo-Fi-Punk. Der Sound ist sehr roh und schnoddrig, ohne dass dabei klassische Deutschpunk-Parallelen aufkommen. Der Trash steht hier deutlich im Vordergrund und erinnert mich teilweise an Novotny TV. Als dann aber in „zu spät“ Die Ärzte durch den Kakao gezogen werden, bin ich dann doch vollends überzeugt. Diese Scheibe ist so schön, dass sie mit ihrem Trash-Charakter jegliche Herbstmelancholie zertrümmert. Von mir vier von fünf Trash-Schinken. Ausnahmsweise sollen hier die Künstler*innen das letzte Wort haben: „Schnauze / Halt dein Maul / ‚Das Leben kann so schön sein‘ / Ich hasse alle Menschen / Von deinem Gelaber krieg ich Pickel“ (in „pickel am arsch“). Danke Dispo <3
01. Das Schwarze unterm Nagel
02. Hate The Player, Hate The Game
03. Blumen
04. Nie wieder dumm
05. Was ich abends mache
06. Motivation
07. Zu spät
08. Panzer aus Chitin
09. 6:40
10. Das Blaue aus dem Nabel
11. Pickel am Arsch
12. Abendrot