Die Stimmung, welche die Berliner Band ÖPNV in ihren sich auf dieser Kassette befindlichen Songs kreiert, passt perfekt zur kollektiven Einsamkeit im nächsten Lockdown, als Soundtrack für Verunsicherung und Angst in Zeiten von Corona. Sie könnte allerdings auch als Fahrkarte in die nächste Depression fungieren, oder schlicht und einfach beim täglichen Weg ins Hamsterrad aus dem Off ertönen. Sie vermitteln gekonnt Tristesse, die man sonst nur im Gesicht des Sitznachbarn auf einer Busfahrt am frühen Morgen entdecken kann. Sie erzeugen Kälte, wie der Ausblick vom Bahngleis in das betonierte Umland des Bahnhofs von Wanne-Eickel. So dass sie genauso gut in die jetzige, wie in die Zeit des Kalten Krieges, sprich in die 80er gepasst hätten.
Dieser rauschhafte Trip in die Dunkelheit kommt komplett ohne eine Gitarre aus. Allein getragen vom Sound des hämmernden Schlagzeuges und des dröhnenden und wummernden Basses, entsteht ein Beat, der einem ins Gehirn gemeißelt wird, wie es das Geräusch schafft, das entsteht wenn ein Güterzug vorbei donnert. Vergleichbar mit dem elektronischen Peitschen, das von den Oberleitungen bei einer Straßenbahn ertönt, drängen sich bei einigen Songs ein Synthesizer und ein Saxophon (?) ins Bild und vervollständigen dadurch das düstere Klangbild. Monoton klopfend rüttelt der Sound am Trommelfell, ähnlich des Wartens im Regen auf die verspätete Regionalbahn an den Nerven des Reisenden. Alles, aber wirklich alles an diesem Werk strotzt in einem kargen Grau. Es versprüht dabei einen einladenden Charme und zeigt sich verschnörkelt wie das hier besungene Monobloc-Gartenmöbel. Das ein oder andere mal schallt, zusätzlich zum Gesang, ein beunruhigendes, gellendes Geschrei durch die Lautsprecher, als wäre eine psychisch kranke oder einfach nur stark alkoholisierte Person, die keifend im Mittelgang der U-Bahn auf sich aufmerksam machen möchte, zugegen. Wie ein penetrantes, sich durch den Gang auf einen zubewegendes "die Fahrkarten bitte" eines Schaffners, das letztendlich noch jeden notorischen Schwarzfahrer aus der Ruhe gebracht hat, ist kein beiläufiges Hören möglich, denn es handelt sich bei den fünf Liedern in keinem Fall um eingängige, leicht zu hörende Musik. Deshalb gilt, hier hilft kein aus dem Fenster starren und ignorieren, genauso wie es beim Fahrkarten-Kontrolleur keine Option wäre. Hier muss man in die Konfrontation, sich die Songs erarbeiten und sie mitfühlen auch wenn das nicht immer angenehm ist. Dafür benötigen die ca. 13 Minuten Spielzeit, die dieses Tape bietet, bei mir jedoch nur zwei Durchläufe und somit weniger Zeit als eine Bahnfahrt mit dem ICE von Dortmund nach Berlin. Ich kann es nicht anders sagen, ÖPNV bewegt mich!
Viel zu Schade wäre es, wenn dieses musikalische Kleinod nur auf einem Tape versauern würde, ich hoffe inständig es kommt nochmal auf Vinyl und erhält dadurch auch mehr von der Aufmerksamkeit, die es verdient hat. Genauso inständig hoffe ich, dass die Reise mit dem ÖPNV in Zukunft fortgesetzt wird! Bleibt nur noch die Frage zu stellen, auf welchem Rasthof der Kuriositäten der Betreiber von Phantom Records immer solch grandiose Bands auftut?
01. ÖPNV
02. Neonlicht
03. Trabantenstadt
04. Rasthof
05. Monobloc