Wer denkt, kurze EP bedeutet kurzes Review... Pustekuchen!
Vorab gibt es mal einen kurzen Abriss zum Hintergrund. Nagelt mich nicht auf Vollständigkeit fest, die Geschichte und Ereignisse sind zu umfangreich um hier detailliert dargestellt zu werden. Wen es nicht interessiert, springe bitte zu Zeile XY.
Die Republik Belarus (langes „u“, stimmhaftes „s“) wird auch nach wie vor landläufig Weißrussland genannt, was man aber mittlerweile auch mal lassen kann, klingt das doch zu sehr nach dem großen Nachbarn, und das will man doch nicht. Also vergessen wir vielleicht einfach langsam mal das Wort mit dem scharfen doppel-s. Belarus ist ein recht junges, seit 1991 unabhängiges Land. Jahrhunderte immer mal wieder in Beschlag genommen durch diverse Großmächte, zuletzt eben die Sowjetunion. Um sich von der frostigen Nachbarschaft abzusetzen und Unabhängigkeit leben zu können, bedarf es noch einiger Arbeit. Wäre da nicht seit 1994 dieser Tüp, der das Land als letztes in Europa diktatorisch zu führen vermag, was jüngst zu massiver Gegenwehr geführt hat. Ich gehe hier jetzt nicht auf die, milde gesagt, Unzufriedenheit einer in Diktatur lebenden Gesellschaft ein. Bleiben wir bei den aktuellsten Ereignissen.
Seit der Jahrtausendwende stehen die Wahlen in Belarus unter internationaler Beobachtung und werden regelmäßig als undemokratisch verurteilt. Insbesondere die Wahl im Unzufriedenheitsjahr 2020 führte zu massenhaften Aufständen. Demonstrationen und Kundgebungen Oppositioneller und deren Anhänger wurden versucht, meist mittels Gewalt, bereits im Vorfeld der Wahl zu unterbinden. Hunderte wurden fest genommen, darunter auch viele mögliche Kandidaten selbst. Die Berichterstattung vor und während der Wahl wurde stark eingeschränkt, Journalisten wurden ausgeschlossen oder festgenommen, Zusammenbruch von Telefon und Internetdiensten/-kanälen usw... Die Wahl selbst verlief laut diverser Berichterstatter unter unzähligen Verstößen gegen die Wahlgrundsätze. Schlagwörter wie Scheinwahl, Wahlbetrug und andere füllen die Presse, allem zum Trotz. Nach dem fragwürdigen Wahlsieg Lukaschenkos gingen weiterhin Hunderttausende auf die Straßen, begleitet von weiteren unrechtmäßigen tausenden Festnahmen von friedlich Demonstrierenden, auch Unbeteiligten oder weiteren Oppositionellen, bis hin zu Misshandlung/Folterung der Gefangenen und auch Tötung von Demonstranten. Die Europäischen Mitgliedsstaaten erklärten, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen.
Zeitsprung, 27.01.2021: Nach wie vor wird für freie Wahlen, die Freilassung der Gefangenen der Proteste und gegen die Diktatur, wenn auch in kleinerem Maßstab, demonstriert. Ein aktueller Bericht von Amnesty International zeigt die unmenschlichen Vorgänge und die Ungerechtigkeiten auf, welche den Demonstranten und Gefangenen widerfahren sind und nach wie vor widerfahren. Mittlerweile werden über 27.000 Inhaftierte gezählt (Stand Dezember) mit steigender Tendenz. Bis heute gibt es seitens der Regierung keine Untersuchungen zu den Menschenrechtsverletzungen. AI fordert die Belarussische Regierung auf, alle Menschen, welche im Zuge der erwähnten Ereignisse inhaftiert wurden, zu befreien und faire (!) rechtliche Schritte und die Aufarbeitung der Geschehnisse einzuleiten und durchzusetzen. Auch internationale und nationale Organisationen und Regierungen sind aufgerufen, sich zu Gunsten der Geschädigten zu positionieren und zu engagieren. Dies geschehen z.B. kürzlich mit dem Entzug der Eishockey-WM 2021. Das macht den Alexander sehr traurig und wütend. Auch gab es bereits weltweit unterschiedlichste Aktionen, Petitionen und weitere Solidaritätsbekundungen aus nicht ganz so blinden Flecken der Bevölkerung.
Zeile XY: Hier reiht sich nun auch die neue Soli-EP ein. Sie ist die zweite ihrer Art. United Worldwide Vol. 2 heißt das gute Stück und vereint 4 unveröffentlichte Songs von 4 Bands, welche sich öffentlich gegen jede Form von Faschismus, Rassismus, Sexismus und Autoritarismus aussprechen. Da hätten wir What We Feel, Hardcore aus Russland, Los Fastidios, die StreetSkaPunker aus Italien, Mister X, StreetPunk aus Belarus und mit MyTerror eine Harcore-Crew aus Deutschland. Mister X seien hier als in Belarus heimische Band explizit erwähnt, da selbst Sänger Bancer bereits im Zuge der o.g. Geschehnisse mehrfach inhaftiert wurde. Mittlerweile ist er mehr als 3 Monate inhaftiert und wartet auf seinen Prozess. Wer gerne Solidarität bekunden oder sich auf dem Laufenden halten möchte, es gibt auf Instagram einen Account "@free_bancer", auf dem man ab und zu Neuigkeiten erfährt.
Als Auftakt gibt es „For Our Children“ von WWF. Ein eher streetpunkiges Stück entgegen dem eher Oldschool-Hardcore-Sound, den man sonst im Kopf hat. Aber gefällt mir gut, diverse Tempi gepaart mit dem typischen Geschrei. Dank beigelegten Lyrics auf englisch bekomme ich auch den Kontext mit. Ein sentimentales Stück, eine Liebeserklärung an den Nachwuchs. Vielleicht deswegen die mildere Vertonung.
Es folgt ein dezenter Stilbruch. Los Fastidios haben zu ihrem Stück „Solidari-Ska“ bereits ein Video veröffentlicht. Somit hat man den Text dann auch schnell inne. Es ist nicht mein Lieblingsstück auf der EP, trägt aber zur Vielfalt bei. Ein unaufgeregtes SkaPunkStück, lädt zum Schunkeln und Mitsingen ein.
Seite B - MisterX mit „Usual Life“ laden zum Tanze. Ich mag diese raue Stimme, Gitarrensoli, super eingängiges Streetpunkstück. Ich verstehe kein Wort, macht nüscht. Das übernimmt dann das belarussische Publikum oder wer auch immer der Sprache mächtig ist.
Abschließend ein weiteres russisch-sprachiges Stück „Иди и смотри (Come and See)“ von den Düsseldorfern MyTerror. Hier haben wir jetzt geschmeidigen Hardcore mit NYHC-Einschlag, um das Paket noch abzurunden. Hier wird gegen Macht, Korruption und Unmenschlichkeit gewettert. Ein aggressives Statement. Gefällt mir am besten auf der Pladde.
Fertig.
Ein paar Hardfacts am Ende: Das Ganze fand als Kollaboration aus Audiolith Records, KobRecords Italia, Fire and Flames statt. Zusätzlich gibts auch noch Zuarbeit vom True Rebel Store aus Hamburch und Londsdale in Form eines T-Shirts. Die 7'' ist auf 700 Stück limitiert.
Die Einnahmen gehen selbstverständlich an Aktivisten*innen und deren Familien in Belarus.
1. What We Feel - For Our Children
2. Los Fastidios - Solidari-Ska
3. Mister X - Usual Life
4. MyTerror - Come And See