Ihr habt es vermutlich schon längst vernommen, die kalifornischen Melodic-Punks NOFX bringen Ende Februar ihr 15. Studio-Album raus, das auf den Namen "Single Album" hört. Also nix mit Punkrockrente, in die sie mit ihren über 50 Jahren und 38-jährigem Bandbestehen gehen könnten. Eigentlich sollte ein Doppelalbum veröffentlicht werden, so viele Songs hatte Fat Mike in der vergangenen Zeit angehäuft. Nun haben sie sich jedoch entschieden, die Songs auf zwei Alben aufzuteilen, von denen das zweite im November diesen Jahres kommen soll. Einige der Songs von "Single Album" wurden schon in den letzten Monaten vorab veröffentlicht und sind somit nicht mehr ganz so neu. Hierzu zählen der entspannte Reggae-Song Fish In A Gun Barrel, der einen Amokläufer zum Thema hat, das mit einer coolen Slide-Guitar beginnende und dann zu einem Stampfer werdende Doors And Fours, bei dem ein Blick zurück in die Drogen geschwängerten 80er Jahre der LA-Punkszene geworfen wird. Zudem I Love You More Than I Hate Me. Vor kurzem gesellte sich als Vorab-Single Linewleum (feat. AVENGED SEVENFOLD) dazu. Hierbei handelt es sich um eine neue Version, mit gänzlich verändertem Text, von Linoleum, dem wohl beliebtesten Song im Repertoire der Band. Zu diesem kam Fat Mike die Idee, als er eines Nächtens festellen musste, wie viele Coverversionen des Songs im Internet grassieren. Und das, obwohl der Song nichtmal einen Chorus besitzt. Wie Fat Mike ganz treffend im Interview mit dem Plastic Bomb beschreibt, "fickt" der Song einem das Gehirn, da man immer den ursprünglichen Text im Kopf hat und diesen mitsingen möchte, dabei aber durch den neuen Text ständig aus dem Konzept kommt.
Gleich zu Beginn der Platte wird klar, dass es sich bei "Single-Album" um kein NOFX-Album nach bisherigen Standards handelt. Wird das Album doch von The Big Drag, einem sechsminütigem Post-Hardcore Stück eingeleitet, in dem die Frage aufgeworfen wird, ob der GERMS-Sänger Darby Crash Suizid begangen hat, weil die Punkszene derzeit so homophob war. Auch wenn sie während der folgenden Spielzeit wieder zurück in altbekannte Melodic-Punk-Gefilde wandern, ist dies kein NOFX-Album wie man es bisher von der Band kannte. Unter "same procedure.. " läuft dann wieder Fuck Euphemism, bei dem es darum geht, wie Fat Mike von der Bezeichnung CIS-Male für seine Person angenervt ist, weil er aufgrund seiner sexuellen Präferenzen (Kinky-Sex, BDSM, Crossdressing) nicht als solches kategorisiert werden möchte. Dieser hat einiges an Potenzial für Diskussionen inne (genauso wie seine Aussagen zum Thema Sexismus im Punk und die Förderung / Stärkung von Frauen im Punk / Rock Bereich im Interview mit dem Ox-Fanzine*).
Alles in allem drehen sich, wie schon beim letzten Album "First Ditch Effort" oder dem Cokie the Clown Album, wieder einige Songs um seine Person. Also um Drogenkonsum, Abhängigkeit (Birmingham) und sexuelle Vorlieben. Außerdem um Depressionen und Einsamkeit, bedingt durch ein Beziehungsende und sein Musical, das nicht fertig werden wollte (Your Last Resort, I Love You More Than I Hate Me). Wie immer legt er dabei einen beeindruckenden Exhibitionismus an den Tag und geht beim Reflektieren des eigenen Seins auch schon mal streng mit sich ins Gericht. So erfährt man zum Beispiel, dass es nicht der Zustand ist, dass seine Tochter weiß, dass er Drogen nimmt, der ihn nachts wach hält (neben dem ganzen Kokain wahrscheinlich), sondern dass es ihn mehr beunruhigt, dass sie zudem weiß, dass er gerne Pisse trinkt (Linewleum).
Durchweg ist dies hier beileibe kein fröhliches Album mit allzuviel Klamauk. Das untermauern dann auch nochmal Songs wie Grief Soto, der zum Teil vom verstorbenen ADOLESCENTS -itglied Steve Soto handelt oder die ebenfalls für die Band untypischen Your Last Resort, das zu Beginn eine ausschließlich durch ein Klavier begleitete Ballade ist und das bereits erwähnte stampfend, langsame Doors And Fours.
Insgesamt gefällt mir "Single Album", gerade weil es sich so vom ursprünglichen Kanon der Band abhebt, sehr gut. Auch wenn ihre Stärken nach wie vor im schnellen Melodic-Punk liegen, zeigen sie hier auf, welche songschreiberischen Fähigkeiten noch in ihnen schlummern. Ein wenig fehlt mir noch der offensichtliche Knallersong, der alle anderen des Albums in seinen Schatten stellt. Doors And Fours und Fuck Euphemism sind jedoch meiner Meinung nach Top Kandidaten für den zukünftigen Hit des Albums. Dadurch dass es eigentlich als Doppelalbum geplant war, erscheint es mir zudem, mit seinen 10 Titeln, etwas zu kurz. Dieser Umstand wird jedoch dadurch wett gemacht, dass wir uns schon auf ein weiteres Album im Winter freuen können. Da Fat Mike laut eigener Aussage nun nüchtern und clean ist und seine Depressionen überwunden hat, könnte dies auch wieder etwas heiterer ausfallen.
Einzig das uninspirierte Cover ist wirklich ein Schuss in den Ofen!
*So wichtig, richtig und überfällig ich die Diskussion über diskriminierendes Verhalten gegenüber Frauen* in der Punkszene finde, denn Sexismus im Punk ist keine Ausnahmeerscheinung und gilt zu bekämpfen. So sehr ich das Booking von großen Festivals und die Vorgehensweise in großen Fanzines bei Interviews zu dieser Debatte als falsch ansehe. So beschämend bis erschreckend ich die Kommentare vieler Menschen in den Kommentarspalten von Internetplattformen zu diesem Thema und letztendlich die Aussagen zu "Frauen und Rockmusik" vom NOFX-Frontmann als nicht zutreffend empfinde. So würde ich mir trotzdem wünschen, dass diese Debatte mit mehr gegenseitigem Respekt geführt wird. Auf der einen Seite sollten Betroffene in Fanzines wie z.B. dem Ox selbst zu Wort kommen, heißt es sollte mit ihnen, nicht nur über sie gesprochen werden. Auf der anderen Seite würde ich mir weniger Schwarz/Weiß-Denken bzw. Aufteilung in Gut und Böse wünschen. Infolgedessen Festivalveranstalter, Bands, "Szenegrößen" wie Fat Mike oder ein Fanzine wie das Ox als Ganzes auf einzelne Aussagen und Handlungen reduziert und als der unverbesserliche und zu bekämpfende Feind angesehen werden oder dazu aufgerufen wird, mit diesen in Zukunft nicht mehr zusammen zu arbeiten. Dabei möchte ich jedoch noch betonen, dass ich von Diskriminierung betroffenen Personen nicht das Recht absprechen möchte, sich über die herrschenden Zustände aufzuregen und ihrer Aufregung lautstark Luft zu machen. Ganz im Gegenteil! Pauschalisierte Aussagen wie "Drecksfestival / Festivalveranstalter", "Dreckszeitschrift" oder "dummer, dreckiger Millionär, der kein Punk ist" halte ich allerdings für übertrieben bis unzutreffend. Wie ein schlauer Menschen mal sagte: Kritik und Diskurs sind wichtig, in welcher Art und Weise nun teilweise die Sau bzw. der Eber durchs Dorf getrieben wird bzw. der Marsch durch die Institutionen durchgeführt wird, geht mir aber stellenweise zu weit.
01. The Big Drag
02. I Love You More Than I Hate Me
03. Fuck Euphemism
04. Fish in a Gun Barrel
05. Birmingham
06. Linewleum
07. My Bro Cancervive Cancer
08. Grieve Soto
09. Doors and Fours
10. Your Last Resort