Geht man nach der in den letzten Wochen oft über die Sozialen Netzwerke geteilten Bestenlisten eines momentan führenden Streamingdienstanbieters, würden sich in der meinigen einige Songs des Albums "Gartenzwerge unter die Erde" von der Hamburger Band rauchen befinden. Waren sie doch 2021 ein stetiger Begleiter und nicht selten habe ich mich von ihrem harten Powerviolence / Hardcore-Punk auf meinem Rad die Steigungen in und um Dortmund hochtreiben lassen und mich regelrecht anpeitschen lassen, fester in die Pedale zu treten.
Als ich nun davon hörte, dass ein neues Album erschienen ist, war die Freude zunächst sehr groß. Diese wurde aber nach dem Hören der ersten Single direkt wieder im Keim erstickt. Denn ihr kennt das bestimmt, alle Erwartungen, die ich an das Album hatte, nämlich dass es möglichst sehr nach dem klingt, was ich bereits an "Gartenzwerge unter die Erde" geliebt habe, wurden nicht erfüllt. Enttäuscht kehrte ich Nein den Rücken zu und strafte es mit Desinteresse. Bis zu dem Tag, an dem das Album bei uns zur Besprechung eingereicht wurde. Nach kurzem Zögern entschloss ich mich dazu, eine zweite Chance zu gewähren. Eine gute Entscheidung, wie sich schnell zeigen sollte.
Nein ist aus drei EPs zusammen gekleistert, die alle mit einem komplett anderen Sound aufwarten. Los geht es mit schleppend langsamen Shoegaze und düsteren Post-Punk, begleitet von cleanem, gewollt eintönigen Gesang. Erst mit Song Nummer 5, bei dem man sich schon auf der zweiten EP befindet, geht es zurück in gewohnte Gefilde. Das heißt wieder klatschender HC-Punk und heftiger Powerviolence mit brutalem Geschrei von Sängerin Nadine. Alles poltert und scheppert wieder wie schon auf "Gartenzwerge unter die Erde". Ab Track 9 verschwimmen die Genre-Grenzen dann komplett, der Gesang ist wieder clean. Alles hat einen leicht wavigen Touch und bei Schlüsselkind überraschen einen fette Bläser, die zum Ende außer Rand und Band geraten.
Mit Nein wollten sich rauchen von Genre-Regeln lösen und neue Territorien erschließen, dies ist ihnen auf jeden Fall gelungen. Nicht nur dass sie sich vom Sound her neu erfunden haben, sie haben auch mit dem bewährten Konzept des Albums gebrochen. Geblieben ist die Wut, die in jedem der Songs transportiert wird, egal ob gebrüllt wird oder nicht. Auch geblieben sind die Thematiken, mit denen man sich seit jeher in den Texten beschäftigt. Auf jeder der drei EPs befindet sich jeweils ein Song zu den Themen Polizeigewalt, Feminismus, Kapitalismus und Liebe.
Mir persönlich sagen die Songs im zweiten und letzten Drittel der Platte am meisten zu, wohingegen ich mit den ersten vier immer noch nicht komplett warm geworden bin. Trotzdem kann ich sagen, dass Nein ein von vorne bis hinten gelungenes Album geworden ist, bei dem sich die Band größtenteils komplett neu aufgestellt hat, was manch andere Gruppe in drei Jahrzehnten nicht geschafft hat. Erwähnenswert wäre noch, dass, gerade bei den Songs im neuen Gewand, Text und Musik sehr gut zueinander passen!
Nein spiegelt somit wunderbar wider, wodurch sich die HC-Punk Szene der letzten Jahre in Deutschland größtenteils definiert: Keine Angst gesteckte Genre-Grenzen zu überwinden und eine klar feministische Attitüde!
Bravo!
01. Monopoly
02. Monotonie
03. Angst
04. Weiter
05. Aufnahme
06. Wasserglas
07. Alles
08. Nicht
09. Reaktion
10. Schlüsselkind
11. T-Rex
12. Gespenst