Es ist Vormittag, ich bin allein. Kurz nachdem das Brummen des Kaffeevollautomats aufgehört hat und ich schon den wohligen Geruch der frisch aufgekochten Bohnen in der Nase habe, schnappe ich mir meine gefüllte Tasse und öffne die Fenster, damit meine Räumlichkeiten mit frischer Luft geflutet werden. Von draußen schallt das geschäftige Treiben einer Millionenstadt zu mir hinein. Nun, kurz bevor ich gleich mit den täglich zu erledigenden Hausarbeiten beginnen werde, brauche ich noch einen passenden Soundtrack, um gemächlich und mit guter Laune in den Tag einsteigen zu können. Meine Finger wählen daher routiniert Meu Rio von TOCO an. Recht zügig baut sich der Song auf und die brasilianischen Samba und Bossa nova Klänge nehmen mich sofort mit und lassen mich vergnügt im Takt mitschwingen. Wenn TOCO dann gefühlvoll aber bestimmt singt:
"Voltei pra casa pro meu lugar
Jobim partiu Jacarepaguá
Sim bateu a saudade
Toda luz do verão
Vou dançar à vontade
Nessa tarde sem fim
Meu Rio
Meu Rio..."
Dann fühle ich mich an die Hand genommen oder vielleicht sogar umarmt. Aller Stress und alle Belastung fallen von mir ab, und wenn er auch in seinem Text etwas ganz anderes besingt, ist es, als würde er persönlich zu mir durch die Lautsprecher sprechen und mir sagen: Alles wird gut, habe Spaß, bleibe locker, lebe! Genau deswegen ist Meu Rio von TOCO einer der besten Songs, um mit einem guten Gefühl in den Tag zu starten. Er fungiert wie ein starkes Antidepressivum, dass das alle Kälte und Dunkelheit aus meinem Kopf radiert. Er ist warm, weich und schmiegt sich an wie eine dicke Wolldecke, die sich auf meine Seele legt.
Das Album Deutsch-Funk Revolte von ÖPNV ist nicht warm, nicht weich und schon gar nicht schmiegt es sich an. Es nimmt auch keine Kälte oder Dunkelheit. Nein, ganz im Gegenteil! Es ist pure Kälte. Es nimmt mich auch nicht an die Hand und schon gar nicht in den Arm, es stößt mich weg, rücklings in ein Becken voll mit kaltem Wasser, in das ich eintauche und versinke. Von hier unten höre ich nun die metallisch monotonen und irgendwie mechanischen Klänge, die durch die dicke Schicht Wasser zu mir herunter wabern. Jegliche Beschreibung ihres Klangs, die ich auch schon bei der Besprechung ihres Tapes benutzte, von dem die Titel Rasthof und Trabantenstadt den Sprung auf diese Platte geschafft haben, hat weiterhin Bestand. Einzig die Aussage, dass hier nur Bass und Schlagzeug verwendet werden, muss ich zurücknehmen. Werden hier überhaupt "Rock-Instrumente" verwendet? Ich weiß es nicht sicher, aber eigentlich glaube ich nicht, dass dem so ist. Dies hier ist keine Musik, um entspannt und gut gelaunt in einen sonnigen Tag zu starten, keine Musik, bei der man das Fenster öffnet und alles Bevorstehende Willkommen heißt. Das hier ist Musik, die dich verstört, vielleicht sogar auch einfach nur stört. Musik für einen grauen Tag mit Nieselregen, bei der man nicht nur das Fenster, sondern auch gleich noch die Rollos verschließt, um drinnen im Schein einer Neonröhre in Jaktation zu verfallen. Easy Listening? Fehlanzeige! Entweder du schaffst es dich darauf einzulassen und verfällst durch die elektronischen Klänge in eine Art Hypnose und tanzt stampfend zum Beat oder du schmeißt dich schreiend in einen Müllschlucker. Etwas dazwischen kann es für mich nicht geben.
01. Rasthof
02. Shanghai Dreams
03. Hitze schleicht
04. M.F.G
05. Einzeltäter
06. Zivilisation
07. Bildungsnähe
08. Trabantenstadt
09. Spitze
10. Blockiert