Birgit Weyhe zählt hierzulande zu den interessantesten Stimmen der Comicszene. Ihr Werk „Madgermanes“, in dem sie sich mit den Leben von DDR-Vertragsarbeitern aus Mosambik beschäftigt, brachte der Zeichnerin und Autorin 2016 große Anerkennung. Jedoch sorgte es auf einer Tagung amerikanischer Germanist*innen auch für den Vorwurf, die Deutsche betreibe kulturelle Aneignung. Weyhe macht die Frage, ob sie in Zukunft nur noch über mittelalte Frauen aus Norddeutschland schreiben werde, zum Ausgangspunkt von „Rude Girl“ und erzählt stattdessen die Lebensgeschichte einer Afroamerikanerin mit karibischen Wurzeln.
Priscilla Layne ist Germanistik-Professorin und eine „der unvoreingenommensten und schlauesten Menschen“, die Weyhe je kennenlernen durfte, wie die Autorin am Ende des Bandes festhält. Ihren Weg von der Kindheit mit einer alleinerziehenden Mutter in Chicago bis zum Studium in Berlin und an der Elite-Uni Berkeley zeichnet Weyhe basierend auf zahlreichen Interviews und ergänzt um ausgedachte Szenarien nach. So möchte sie „Rude Girl“ bei allen Bezügen zu Laynes Leben als ein Werk der Fiktion verstanden wissen.
Plattencover dienen als Titelbilder für die Kapitel, geben zeitliche Einordnung und sorgen für Distinktion. Von „ABC“ der Jackson 5 und den Soundtracks zu „Home Alone“ und „Jurassic Park“ geht es über The Clash und Peter And The Test Tube Babies schließlich zu Belle And Sebastian. Popkultur ist ein Orientierungspunkt und natürlich spielt Literatur im Leben der Germanistin eine wichtige Rolle.
In ihrem ersten Semester an der Uni von Chicago lernt Layne Brecht kennen, das erste Mal fühlt sie sich von Literatur direkt angesprochen, wenig später folgt Kafkas „Die Verwandlung“. An der Universität gehört sie zu nur 4% Schwarzen Student*innen. Zusätzlich treten hier die ökonomischen Unterschiede noch deutlicher zum Vorschein. Während ihre Kommiliton*innen sich über langweilige Urlaube auf den Bahamas echauffieren, wohnt Priscilla bei ihrer Mutter im Norden Chicagos und fährt eine Stunde mit dem Bus zu den Seminaren.
Birgit Weyhe wählt einen sehr spannenden Ansatz und behandelt die Entstehung des Comics und ihre eigenen Gedanken sehr transparent. Nach jedem Kapitel folgen einige Seiten, in denen Layne das zuvor Erzählte kommentiert. „Du benutzt diesmal keine Hautfarbe“, stellt sie nach etwa einem Viertel der Seiten fest. Dies suggeriere die Existenz einer „postracial“ Gesellschaft, doch das Gegenteil sei überall auf der Welt der Fall. Layne schlägt daher eine Kombination aus zwei Farben vor, was Weyhe fortan umsetzt. So entsteht tatsächlich ein Dialog zwischen der Zeichnerin und der von ihr portraitierten Person. Weyhe selbst resümiert dies im finalen Kapitel und berichtet, wie die Arbeit an „Rude Girl“ ihr neue Ansichten brachte.
Rassismus, Identität und Klassengegensätze sind zentrale Themen nicht nur in Laynes Leben. Die persönliche Perspektive wird regelmäßig um eine gesellschaftliche Dimension erweitert, es stehen einzelne Episoden stellvertretend für globalere Probleme. So verbinden sich in diesem schlauen, beeindruckenden Comic das Private und Politische.