Als ich das Buch anfing zu lesen, war ich gerade im Urlaub mit Freund*innen und eine ebenjener Personen bemerkte mit Blick auf mein Buch: ‚Noch son*e (Indie-)Musiker*in, die jetzt meint ein Buch schreiben zu müssen‘ Das ist mir ein ganz ganz bisschen zu plump, aber natürlich fallen zwei Dinge auf: 1. Ja, viele (Indie)-Musiker*innen schreiben dann auch Bücher, wobei ich fast (gefühlt) sagen würde, das gendern kann mensch sich sparen, denn es sind überwiegend Dudes, was aber nicht Judith Holofernes' Buch unterschlagen soll, das bald kommt und auf das ich mich freue. Und 2. - wieder mal sind die Hauptprotagonisten Dudes. Also Dudes schreiben über Dudes - dazu mehr weiter unten.
Jan Müller (Tocotronic, Bierbeben, Dirty Dishes) und Rasmus Engler (Herrenmagazin, Bierbeben, Dirty Dishes, Ludger, Gary und vieles mehr) haben einen Roman über Hamburg Anfang/Mitte der 90er geschrieben, der sich weitgehend um eine Siff-WG in der Talstraße dreht. Wie sie in einer aktuellen Folge vom Reflektor-Podcast (Podcast von Jan Müller) erzählen, ist es nicht wirklich biographisch, aber lehnt sich teilweise an gemeinsam erlebte Ereignisse aus deren Bekanntschaft seit Mitte der 90er an, eine Zeit, in der sie viel mit Musik, Konzerten, Trinken und St. Pauli (Stadtteil, nicht Verein) verbracht haben. Dieses semi-fiktiv und semi-biographisch ist ja nicht neu - schon Thorsten "Nagel" Nagelschmidt betrieb das in einigen seiner Romane und vermutlich mindestens viele andere Menschen vor und nach ihm auch. Neben den fiktiven Orten und Personen gibt es aber auch reale Personen, wie Alex von Guitar Village in der Talstraße, wo ich vor etlichen Jahren auch mal Kunde war - Gitarrenhändler, ihr seid Schweine (wobei Alex ganz fair/ok war/ist), aber eine Gitarrenhändlerin hatte ich noch nie. Wäre darüber aber sehr dankbar. Und Tocotronic-Fanboys wie ich wissen, dass Jan Müller Comic-Liebhaber mit einem besondere Faible für den Kosmos von Donald Duck und Micky Mouse ist und ebenjene Sphäre der Weltliteratur wird gefeatured!
Weiterhin gibt es fiktive und reale Bands und ein Label, was mich stark an L’Age D’Or erinnert, ohne dass ich je da gewesen bin (war nie cool genug dafür). Aber im Buch heißt es halt anders, weil sonst nicht Fiktion. Und 1000 Töpfe gab/gibt es wirklich!
Der Plot der Geschichte ist schnell erzählt: Coming of Age trifft auf Typen, der nach'm Abi nach Hamburg zieht, Leute auf nem Konzert kennenlernt, viel Alkohol trinkt, Band gründet, sich verliebt, Songs schreibt, usw. Gibt es ein Happy End? So halb, aber das müsst ihr dann schon selber lesen. Mir gefällt das Buch insgesamt gut. Die 300nochwas Seiten sind kurzweilig, es gibt einige Lacher und Schmunzler und manch eine Situation ist sehr berührend. Als (Ex-)Hamburger kann mensch gut im Kopf mit an die Orte gehen, wo sich der Protagonist so rumtreibt und die echten erwähnten Bands sagen mir was (bzw. wenn nicht, könnten sie auch fiktiv sein) und als Musiker mag ich einfach Bandgeschichten und das mit dem unliterarischen Schreibstil liegt mir einfach gut in der Hand. Saufen ist ganz gut in den Kontext eingebettet und wird an manchen Stellen sogar kritisch betrachtet (Applaus, Applaus - selten genug). Es hat mich jetzt nicht unfassbar von den Socken gehauen, aber das hatte ich tatsächlich auch nicht erwartet, und für die Unterhaltung für einen Urlaub am See ist es allemal ziemlich geeignet. Amtlich, könnte Mensch sagen!
Ich finde es aber extrem schade und ärgerlich, dass es sich mal wieder fast ausschließlich um Dudes handelt (wie auch bei Nagel und co). Außer hier und da ein paar Nebenprotagonist*innen spielt es in einer konsequent rein männlichen Welt ab. Sicherlich war die damalige Musikszene (leider wie heute ja auch noch) männlich dominiert, aber das hätte Müller und Engler nicht davon abhalten können, wenigstens mal eine FLINTA+ Person als Hauptprotagonistin mit in die fiktive Band zu schreiben, zumal sie ja eine fiktive Story geschrieben haben. Ham sie aber nicht - Chance vertan.
Trotzdem - Menschen, die gerne Bücher mit "Coming of Age-Musikstory-Trinken-ich komm vom Land und zieh in die Großstadt und erlebe da unglaublich Sachen und Studium ist eigentlich Quark, weil ich will Musik machen" Geschichten mögen (so wie ich), für die ist das eine lohnenswerte unterhaltsame Investition. Kein Dostoijewski oder Kant, Hauptsache Punk!
So jung kommen wir nicht mehr zusammen!
P.S. Kollege Philipp von der Plastic Bomb hat auch ne Rezi geschrieben. Ist bestimmt gut, hab sie aber nicht gelesen, um nicht beeinflusst zu sein. Hol ich aber nach!