Als ich mich für die Platte melde, denke ich noch: ach wieder so eine Band, die auf Nostalgie macht. Das ist ausgemachter Blödsinn und ein wenig witzig, denn bei der hier vorliegenden LP handelt es sich um ein kuratiertes Zeitdokument. Aufgenommen im November 1987 und April 1988 in Altglienicke mit Kassettendeck und bei einem Teil ohne Gitarrenverzerrer, weil der vergessen wurde. Wie sympathisch. Genauso interessant wie diese Aufnahmen ist das beiliegende 15-seitige Heft im A5 Format, in dem Stunk, einer der Sänger (heute eher bekannt durch Es war Mord) von seiner Zeit als Jugendlicher und Punk in der DDR und der kurzen Zeit der Band schreibt. Erläuternde Fußnoten, Bilder und Texte gibt's obendrauf. Dass Bands in der DDR offizielle Einstufungen benötigten, mag einigen bekannt sein, die Beamten besaßen aber keine und als Teile der Band das vorantreiben wollten, stiegen Stunk und Sheela (beide Gesang) aus. Richtig krass finde ich, dass Stunk Mitte der 80er in ein Heim für Schwererziehbare und danach in einen Jugendwerkhof gesteckt wurde, Rummelsburger Knast kam später auch noch dazu. Schreib bitte ein Buch oder geh zu "Und dann kam Punk", ich will soviel mehr noch wissen!
Musikalisch hören wir Lofiaufnahmen unter oben beschriebenen Umständen, ein wenig Hall und Keyboard (ich hör es erst ab Lied 7 heraus), es rumpelt hier und da und Stunk und Shea wechseln im Gesang. Von zwei Liedern existieren nur noch unvollständige Aufnahmen und sie bekommen trotzdem ihren Platz. Es ist erstaunlich, wie der Kontext meine Rezeption beeinflusst. Würde ich das ganze ohne jede Information hören, würde es wahrscheinlich im Gesamtrauschen des Alltags verschwinden. Aber mit Hilfe der bereitgestellten und liebenswerter Weise von Stunk geteilten Informationen aus dem Leben, finde ich das Ganze großartig. Ich war noch sehr jung als die Mauer fiel, aber die Vorstellung, sie hätte es nicht oder erst später getan und aus meinem roten Pionierhalstuch wäre vielleicht irgendwann eine FDJ-Bluse geworden ist bedrückend und wer weiß, ob der Punk mich jemals gekitzelt hätte...?
Herausgegeben haben das Ganze mehrere Menschen und Labels. Bei Lion Crew Records handelt es sich um ein relativ neues Label, das aus einer seit 2013 bestehenden Konzertgruppe in Thüringen entstand. Von Elbtal Records hat Schrammel (zusammen mit Stunk) das Layout, die Redaktion und die Songauswahl vorgenommen. Zu Noisebergpogo hab ich leider nichts finden können. Schotte von Sounddevil hat alles nochmal gemastert. Ihr seht, viele Menschen haben viel Liebe und Zeit in dieses schicke Werk gesteckt, gönnt's Euch.
Anspieltipps: Dachau Endstation und Daily Frzzt
Seite A:
01. Auf los geht's los
02. Schattenseite
03. Caramba
04. Frankensteins Frau
05. Tote Soldaten
06. Dachau Endstation
07. Amnestiert
Seite B:
08. Viel erlebt
09. Daily Frzzt
10. Südafrika
11. verseuchte Welt
12. Nazi Größenwahn
13. Die Marschierenden