Fat Mike hat das baldige Ende von NOFX bereits vor einiger Zeit angekündigt und die Abschiedstour, die sich über zwei Jahre erstrecken soll, ist bereits in vollem Gange. Währenddessen widmete er sich seinem im April eröffneten Punk Rock Museum in Las Vegas, seiner neuen Band CODEFENDANTS, bei denen Sam von GET DEAD singt, und kommt nun mit einem neuen Solo-Projekt um die Ecke. Wobei Solo nicht wirklich treffend ist für "Fat Mike Gets Strung Out", denn produziert und aufgenommen hat er es mit seinem Freund und Kollaborateur Baz "the Frenchman" außerdem ist Fat Mike bei keinem der 10 Songs selbst zu hören. Denn es handelt sich hierbei zwar um zehn von ihm geschriebene, größtenteils ursprünglich von NOFX aufgenommene Songs in neuen Versionen, die zuerst von Baz transponiert wurden und dann von engagierten, professionellen Musiker:innen mit Streichern wie Bratsche, Geige, Bass und Cello eingespielt wurden.
Als ich von dem Projekt erfahren habe und den ersten digital veröffentlichten Song "Fuck Day Six", bei dem im Original Mikes Entzug vom opiumhaltigen Medikament Percocet (Oxycodon) thematisiert wird, gehört habe, stellte sich mir umgehend die Frage nach dem "Warum?" ! Als Begründung lieferte Fat Mike folgende Erklärung ab:
"Warum ein Streicher-Album? Nicht, weil ich immer an meine Grenzen gehen will. Sondern weil ich hören wollte, wie meine Songs ohne Gitarrenakkorde und diese lästigen Vocals und Back-up-Vocals klingen. Ich wollte jede Note in ihrer reinsten Form hören. Ich wollte, dass ein trauriger Song traurig klingt, obwohl es keine Worte gibt. Ich wollte etwas machen, von dem ich dachte, dass meine Eltern es bei einer Dinnerparty spielen würden... Also, wenn sie noch leben würden. Ich wollte etwas machen, das nicht nur von Punk-Fans gemocht werden würde. Aber vor allem wollte ich einfach Spaß dabei haben, ein Album zu machen, das ich noch nie zuvor gemacht hatte...."
Klingt für mich irgendwie doch nach einem Ausloten der eigenen Grenzen. Wobei seine Begeisterung für außergewöhnliche Projekte bereits deutlich wurde, als er das Musical HOME STREET HOME auf die Bühne brachte und als er mit Dustin Lanker von den MAD CADDIES und der TOM WAITS Backing Band den Soundtrack zu Soma Snakeoil's Fetisch Porno "Rubber Bordello" komponierte, komplett im Stil des im Ende des 19. Jahrhundert praktizierten Jazz-Vorgängers Ragtime. Zudem arbeitete er in der letzten Zeit mit dem renommierten Komponisten Joseph Bishara an der Musik für die TV-Serie "Blumhouse's Compendium Of Horror" zusammen.
Nach dem Hören des kompletten Albums bin ich trotzdem etwas ratlos, man muss ihnen lassen, es ist ihnen gelungen, dass sich die traurigen Songs traurig anhören obwohl es keine Worte in ihnen gibt. Eigentlich muss sich sogar sagen, dass sich nicht nur die traurigen Songs traurig anhören, sondern auch die Songs, in denen das Thema nicht deprimierend ist, wie One Million Coasters, bei dem es um das Fat Wreck Lager und die ganzen Tonträger darin geht oder Medio-Core, der die Einfachheit von Pop-Punk thematisiert. Ausgenommen davon ist für mich nur The Desperation's Gone, der durch die Hinzunahme eines Xylofons nicht ganz so düster klingt. Ist aber auch nur mein ganz eigenes subjektives Empfinden. Ebenfalls schaffen sie es, wie es sich Fat Mike gewünscht hat, zu beweisen, dass viele Songs von Fat Mike und NOFX vielschichtiger sind, als man sie zunächst wahrnimmt. So besteht zum Beispiel der Song I'm A Rat, den Mike für die japanische Band HI-STANDARD geschrieben hat, in seiner Punk-Version aus 54 Akkorden hintereinander ohne Wiederholung. Was in der Streicher-Version nun deutlicher wird. Dafür haben sie an anderer Stelle an Deutlichkeit verloren, denn teils sind die Originale, die sich hinter den neuen Versionen verstecken, schwer zu erkennen.
Nachdem die Frage nach dem "Warum?" oben bereits hinlänglich erläutert wurde, bleibt bei mir jedoch noch die Frage offen: Für wen soll dieses Album sein? Wer soll es kaufen und wer hört sich so was an? Auch wenn die Songs toll eingespielt und aufgenommen sind, was sie alle definitiv sind, bleibt es klassische Musik, die ich nun mal einfach nicht höre. Ich befürchte, sie wird daher bei Punk- und NOFX-Fans keinen großen Anklang finden und dass sich Menschen, die auf klassische Musik stehen, wahnsinnig für sie interessieren, kann ich mir beim besten Willen auch nicht vorstellen. Andererseits war das der Platte vorhergegangene Konzert in L.A. restlos ausverkauft. Fat Mike erhofft sich laut eigener Aussage, dass die Songs so den Weg als Soundtrack in Filme finden. Was ich sogar noch am nachvollziehbarsten finde.
Ich muss gestehen, ich bin ein nerdiger Sammler und meine Sammlung beinhaltet fast alle NOFX-Platten und auch die Fat Mike Solo-Projekte. Doch bei jedem Sammler und jeder Sammlerin, so auch bei mir, kommt irgendwann der Punkt an dem man sich die Frage stellt, ob Produkt XY für teuer Geld nun wirklich zwingend mit in die eigene Sammlung aufgenommen werden muss. Bei mir ist dieser Punkt mit "Fat Mike Gets Strung Out" erreicht. Vor allem wenn ich lese, dass schon ein Nachfolger in Planung ist. Denn selbst wenn ich es mir kaufe, was gar nicht mal unwahrscheinlich ist, werde ich diese Platte wohl kaum oft auflegen. Selbst dann nicht, wenn meine Eltern zum "Dinner" kommen. Selbst die würde ich damit wohl eher vergraulen als alles andere. Bei aller Einzigartigkeit, die ihr innewohnt, erweitert sie trotzdem lediglich, das allerdings vortrefflich, die Sparte der "Obskuritäten" in meinem Plattenregal. Außerdem schließt sie eine Lücke, die ansonsten in meiner Sammlung entstehen würde. Sie ist ein "nice to have", eine Platte, die man vielleicht mal Freund:innen zeigt, die auch etwas mit NOFX anfangen können, um zu sehen, wie sie reagieren und ob sie die Songs erkennen.
Für mich jedoch nicht mehr und nicht weniger. Leider!
01. One Million Coasters
02. Life... Oh What a Drag
03. Medio-Core
04. Art of Protest
05. Total Bummer
06. I'm a Rat
07. Fuck Day Six
08. She's Gone
09. The Desperation's Gone
10. La Pieta