Irgendetwas ist anders. Ich meine zur hochgelobten und bei mir auch viel gehörten Vorgängerplatte. Ich kann anfangs nicht genau bestimmen, was es ist: Sound, Songwriting, mein Gehör oder bilde ich mir das nur ein? Als ich mir die Platte kaufe, weiß ich noch nicht, dass ich paar Tage später auch das Tape in den Händen halten werde, so Geburtstagsgeschenke sind schon was Tolles! Da kann ich auch gleich beides besprechen...
Das Tape erscheint bei den Liebis von Black Cat Tapes, ist knallrot und schwarz und es wurde ein extra Cover von Liz aka chuckyfuck entworfen. Während bei der LP (hier teilen sich Riot Bike Records und Fire And Flames die Arbeit) ein Foto von den Massenprotesten in Paris gegen die Rentenreform (von PM Cheung, der viele Sozialproteste fotografisch begleitet) das Cover ziert, reiht sich das Frontbild der Kassette thematisch ähnlich ein, versprüht dabei aber mehr Lichtblicke. Die schwer bewaffneten und gepanzerten Bullen auf der Platte schüchtern ein, der rote, springende Mensch auf dem Tape, der die Polizeikette über die Köpfe hinweg überfliegt, öffnet wenigstens einen minimalen Handlungsspielraum, der Lähmung und Passivität überwindet. Raus aus der Resignation! Gefällt mir besser.
Und was ist da nun so anders? Ich versuche es mal zu ergründen:
Der Drummer Till ist ein neuer, obwohl der Vorgänger Philipp noch bei der Entstehung einiger Songs beteiligt war. Da höre ich aber ehrlicherweise keinen Unterschied. Der Mensch, der das Ganze aufgenommen, gemixt und gemastert hat, ist Kevin von der Grindcoreband Trigger, hat dies aber auch schon bei der ersten Platte getan. Hm, woran liegt es denn jetzt? Die Gitarre von Robert klingt auf jeden Fall verändert, etwas höher und sie bringt noch ein Tick mehr Melodien ins Spiel (das Zwischenspiel bei Woanders ab Sekunde 20 säuselt mir ewig noch im Kopf herum). Das Zusammenspiel mit Frank am Bass ist ausgefeilter, die Reibeisenstimme von Vanessa verlässt öfter den kreischenden Bereich und schlägt sanftere Töne an (aber keine Angst, es ist immer noch das prägende Merkmal), alles klingt ne Spur fetter. Und eigentlich bin ich an solchen Punkten eher skeptisch und habe Angst, dass das zu glatt und beliebig wird. Hier aber nicht, denn es trifft nicht zu. Vielmehr steigert die Platte durch diese Veränderungen den Hörgenuss, wird noch besser. Geschwindigkeit, Energie und Arschtrittlevel sind weiterhin hoch, die Texte bleiben relevant und kämpferisch, die Haltung ist nach wie vor kritisch und reflektiert. Besonders toll finde ich die Trotzigkeit, gepaart mit einer selbstbewussten Aufsässigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der bestimmten Gegebenheiten unserer Zeit entgegengetreten wird und somit verlorengegangener Glaube an Utopien und Vorstellungen von einem besseren Zusammenleben, zumindest für die Länge der Platte, wieder im Möglichkeitshorizont auftauchen. Es ist dieser Trotz, der uns voranbringen wird, nicht Zynismus und Lethargie.
Fazit: Gegen alle Bedenken ist ein ausgesprochen exzellentes und großartiges zweites Album geworden.
Anspieltipps: Gegen alle Bedenken, Wölfe und Krähen und Woanders