Es kommt nicht oft vor, dass ich eine Rezension von einem Album verfasse, das uns nicht zugeschickt wurde und somit aus unserem Rezi-Korb stammt. Bei "What A Fucking Nightmare" von der englischen Band THE CHISEL mache ich jedoch liebend gerne eine Ausnahme. Immerhin war und ist es für mich das Beste, was in Sachen Punk in diesem noch jungen Jahr erschienen ist. Schon "Retaliation", das 2021 raus gekommen ist, mir aber erst im letzten Jahr untergekommen ist, war eine wahre Perle des englischen Punks.
Mit ihrem zweiten Album setzten sie nun genau dort wieder an, legen aber in jeder Hinsicht eine Schippe drauf. So war es ihr Ziel, wie sie es in einem kürzlich erschienenen Interview kundtaten, die aggressiven Songs noch aggressiver und die melodischen noch melodischer klingen zu lassen. Und was soll ich hier nun lange um den heißen Brei herum reden, es ist ihnen vollumfänglich gelungen. Songs wie Cry Your Eyes Out, in dem Sänger Cal Graham einem betrunkenen Leiharbeiter sein Ohr leiht, dessen Frau ihn aus guten Gründen verlassen hat. Oder Bloodsucker, in dem er kurz die Seite wechselt und wieder im Pub sitzend Opfer eines unnachgiebigen Schwätzers wird, der ihn einfach nicht in Ruhe lassen möchte, sind hier Paradebeispiele wie es THE CHISEL locker, flockig schaffen, schwer melodische Songs aus dem Ärmel zu schütteln. Diese werden dann immer wieder von Aggro-Kloppern wie Evil by Evil oder No Gimmicks flankiert, die wahlweise mal nach Oi!, mal nach Hardcore-Punk oder UK82 klingen. Immer mit einer starken 80er Note, jedoch auch mit genügend eigenen Komponenten, um nicht als komplette Imitation ihrer Vorbilder durchzugehen. Zu nennen wären hier Cut Like A Knife, das mit einem Keyboard endet oder der kurze Moment in Cry Your Eyes Out, der mich immer wieder zum Ausrasten bringt, in dem die Gitarre wie eine Kolbenflöte klingt. Nicht minder erwähnenswert ist dabei das Gitarrenspiel, dessen Fitness sich gerade in den Solis widerspiegelt, sowie die deftig und punktgenau gesetzten Drums. Da hier so viel Fläche bespielt wird, ist ihre Musik multifunktional einsetzbar. So hat sie das Potenzial, ihren Zweck auf Shows quer durch alle Stilrichtungen des Punk sowie auch abseits davon, wie zum Beispiel im Fußballstadion, zu erfüllen. Allein im Radio oder Musikfernsehen wird es ein Song wie Fuck 'Em, den sie sicherlich nicht ganz ohne Hintergedanken als erste Single veröffentlichten, schwer haben. Aber wer braucht die schon?
Sänger Cal bölkt derweil relativ variationsarm seine Wut und seinen Frust auf Politiker, die sich einen Dreck um ihr Volk scheren und Menschen, die ihm ihre Agenda und Meinung unterschieben wollen, heraus. Erzählt Geschichten von einfachen Leuten, scheut dabei nicht den Blick in menschliche Abgründe, nicht mal in die eigenen. Er erzählt Geschichten von Menschen aus der Arbeiterklasse, von Schlägern, Säufern und Schwätzern. Er bekundet Solidarität mit all den Vergessenen und Geknechteten der Gesellschaft. Vermisst soziale Gerechtigkeit und sucht nach der so oft verkündeten Gleichheit aller Menschen, findet dabei aber nur Armut, die ihn umgibt. Dabei schlägt er verbal auch schon mal über die Stränge, flucht, beleidigt und wird allgemein ausfallend. Harmlos und zahnlos bleibt er dafür nie!
Geholfen, dieses Monster von einem Album zusammen zu schnüren, hat ihnen Jonah Falco, der bei der kanadischen Band FUCKED UP Drummer ist. Wie bereits eingangs erwähnt, hat sich "What A Fucking Nightmare" bei mir mit Leichtigkeit die Poleposition der diesjährigen Punk-Veröffentlichungen erkämpft und wird sich diese auch so schnell nicht mehr nehmen lassen. Das einzige, was mir nun noch zu meinem Glück fehlt, wäre eine ausgedehnte Tour um die Songs dann auch mal live erleben zu können!
01. What A Fucking Nightmare
02. No Gimmicks
03. Cry Your Eyes Out
04. Nice To Meet You
05. Living For Myself
06. Fuck 'Em
07. Lying Little Rat (Propaganda)
08. Bloodsucker
09. Aint Seen Nothing Yet
10. Those Days
11. Evil by Evil
12. Tomorrow
13. Vengeance Is For Me
14. What Do You Mean
15. Cuts Like A Knife
16. What I See