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Die Nerven:
Wir waren hier

Die Nerven – muss man die noch vorstellen? Max Gruber wurde 2022 mit dem Preis für Popkultur ausgezeichnet. Kategorie Lieblingsproducer. Außer ihm waren nominiert u.a. Tim Tautorat (Jeremias) und Moses Schneider (Tocotronic, ÄTNA). Neben Drangsal, Ilgen-Nur und Mia Morgan hat Gruber auch schon ein Album von Casper produziert und schraubt glaub ich gerade an KADAVARs Album. Vielleicht sind die auch schon fertig ? Wäre echt mal spannend, ob's wirklich was an der Kadavarformel verändert (Sabbath covern ohne dass es jemand merkt). Hab's nicht mehr verfolgt. Ich glaube gehört zu haben, die Nerven seien so'n bisschen arrogant, aber bei dem Erfolg und dieser Alleinstellung im deutschen Untergrund darf man sich das vielleicht auch erlauben. Oder?

Seine Kollegen sind ja auch recht umtriebig. Kevin Kuhn, der Schlagzeuger, ist auch viel mit Shitney Beers unterwegs. Julian Knoth (inszeniert gerne seine Zornesfalte auf instagram,) ist unter Anderem neben Drangsal, Charlotte Brandi und dem Trommler von den Beatsteaks Mitglied der All-Star Band um Hans-A-Plast Sängerin Annette Benjamin, „die Benjamins“ und produziert auch selbst diverse kleinere Bands.

Hier nun zum Album WIR WAREN HIER. Das erste Die Nerven Album nach dem selbstbetitelten Album von vor zwei Jahren. Das hör ich mir auch noch an. Da kannte ich nur EUROPA von.

Die erste Single – ACHTZEHN - kommt mit einem sehr schönen Video. Es ist ein Rückblick auf die Bandgeschichte. Ein abgefahrener Tripp. Ein kleines Stück neuerer Deutscher Musikgeschichte, „wie jung die da noch alle sind!“ will man schreien. Besuch im Drumladen St Leon Rot mit einem durchgetretenen Kickdrum-Fell, Tournee durch Israel, abhängen im Backstage/Innenhof vom Exhaus Trier (R.I.P.). Tocotronic doublen die eigene Band und die Entzückung darüber. „Ich will nie mehr Achtzehn sein“, heißt es. „Nichts wie weg von hier. Wenn ich bleibe, geh ich ein.“ Macht mich sehr sentimental. Fühl ich. Vielleicht war's das trotzdem alles wert. Auch wenn man's nicht mehr durchleben müssen will. „Ein Hoch auf die Jugend. Zum Glück ist sie vorbei.“ Genug von Jugendwahn. Erwachsensein hat seine Vorteile. Nicht mehr jeden Scheiß mitmachen müssen, nicht mehr so ruhelos sein. Wissen, wer man ist. Ankommen.

Ich wünschte, ich könnte behaupten, das Gesamtwerk von DIE NERVEN zu kennen. Ich hab ne CD von denen im Schrank, die nicht so oft gespielt wurde („FAKE“). Ich fand die krachigeren Sachen besser. Also mit frischen Ohren an die neue Platte.

ALS ICH DAVONLIEF kommt sehr heavy rein. Ich wusste nicht, dass die so heavy unterwegs sind. Geht groovig nach vorne. Der Bass drückt. Ich wusste nicht, dass die so gut nach vorne gehen. Ich bin ein bisschen geflasht. Das ist aggressiver gemixt als ich es von der Band erwarte, von denen ich eben erst ACHTZEHN gehört hab ..

Der Groove und der Bass erinnern mich an QOTSA – No one Knows. Der Refrain ist catchy. Harmonien können die. Fühle auch n bisschen zu sehr den Vibe und die Intention „Auf der Flucht nach der Wirklichkeit ist mir kein Weg zu weit“.

WIR WAREN HIER, namensgebend für die Platte, die übrigens geziert wird von etwas, das aussieht, wie eine Pallette gepresster Altkleidung. Der großen Leistung der Konsumkultur. Wegwerfmentalität. Kurzfristiges Wachstum. Blinder Fleck unserer Luxusexistenz.

„Warum hab ich Angst aber du nicht“ ist eine clevere Formulierung für a) eine Angststörung oder b) ein sich-interessieren für Zeitgeschehen und Wahlergebnisse. Obwohl ich den Song eher langweilig finde, nimmt mich der Refrain wieder richtig mit. Wenn er richtig weit wird und die Gitarren einen Nebel um mich aufspannen.

GROSSE TATEN find ich im Ablauf zu nahe an dem Vorgänger. Vielleicht kickt er mich deshalb nicht

WIR WAREN HIER kommt schön rein, aber auch etwas preachy. „Kein Tier keine Pflanze war so wertvoll wie wir“ heißt es im Refrain. „Nach uns kommt die Sintflut, wir fressen vorher alles auf.“ Ja, ist ein sehr präsentes Thema. Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Trotzdem hätte ich mir für den schönen Refrain etwas anderes gewünscht als den erhobenen Zeigefinger und ein schlechtes Gewissen.

WIE MAN ES NENNT - ruhiger Song mit viel Platz für die Gitarre. Ein bekannter Vibe. Ein schöner Hall. Wehmut, wenige Worte. „ich rannte jahrelang gegen eine Wand und habe es, hab es nicht erkannt“. Meint der Glücklichsein oder ADHS? Im zweiten Refrain hätt ich aber ne Auflösung erwartet. Oder was noch Größeres. Die Gitarren in der Bridge klingen nach Tocotronic. Die Auflösung war schon bekannt. Also irgendwie kommt mir der Refrain nach zu kurzer Zeit (einmal hören) zu bekannt vor. Irgendwie schön, aber auch nicht so spannend.

ACHTZEHN. Ja, den hatte ich schon vorab gehört. Ohne Bilder wirkt er jetzt weniger, aber immer noch sehr melancholisch. Der Refrain kommt mir jetzt leiser vor als vorher. Vielleicht hab ich es daher gar nicht als Refrain erkannt. Ich glaube, der wird noch lauter. Würd aber auch Sinn machen, wenn er ständig auf diesem reduzierten Niveau (und der geringen „Lautstärke“) blieb. Streicher gibt’s. Edel. Ja, das Finale wird dann doch groß. Ist aber gut. Ist ein toller Song.

BIS ANS MEER - bassdominiert, grungig. Etwas nach Art melodiösen Sprechgesangs. Auch gut. Wird hintenraus schneller und klingt wieder mehr nach Post-Punk.

ICH WILL NICHT MEHR FUNKTIONIEREN wie ne Punkhymne gedacht, aber catcht mich nicht. Viel Arbeit auf kleinen Toms, Schlagzeugdinge. Das Thema wurde schon oft besprochen, Selbstausbeutung usw. Kreative sind ja oft Workaholics. Zumindest wenn sie es irgendwohin schaffen wollen, oder geschafft haben, ist das eine nützliche toxische Eigenschaft.

SCHRITT FÜR SCHRITT ZURÜCK klingt wieder offener, groovig. Insgesamt ist es schon ein recht abwechslungsreiches Album. Der Refrain ändert tatsächlich nochmal alles. Toller Aufbau. Unerwartet. Der Song nimmt jetzt nochmal Fahrt auf, gefühlt auch in der Vocal Performance. Die Gesangsmelodie klingt tatsächlich nach was Neuem.

Der letzte Song erlöst mich. Alben hören, die ich nicht kenne, ist echt ne Anstrengung. Vielleicht sind Alben echt ein etwas überbewertetes Konzept. Am Ende kommen 2-3 Songs auf ne Playlist und das Vinyl steht im Schrank, oder?

DISRUPTION wirkt sehr vulnerabel und offen und auf diese Art radikal. Das Arrangement bleibt dagegen nüchtern. Die Intensivität ist in den Worten. Ein schöner Abschluss. „Frei sein ist so ungewohnt“. Warum sagt er das „un“ so komisch? Das „u“ ist so gerade. Ist das Schwäbisch? Das ist mir schon mal aufgefallen beim Debut seines anderen Projekts „all diese Gewalt“, aber ich find den Song gerade nicht.

 

Was ich gelernt habe und ich unterstelle jetzt, dass Max Rieger in seiner Doppelrolle als Produzent und Gitarrist jede Menge kreative Entscheidungen trifft: also was ich glaube über Max Rieger gelernt zu haben: Er hat einen gewissen Hang zur Theatralik. Er weiß, wie ein Popsong funktioniert. Das merkt man daran, dass er diese Formel gerne reproduziert. Zu viele Songs funktionieren mir zu ähnlich/gleich. Ich fände es spannend, mehr aus der Ecke zu hören, was mit ALS ICH DAVONLIEF anfing. 2-3 mehr Songs, die völlig unbändig daherkommen. Mehr Hass, bitte. Also jetzt außer Selbsthass (und Selbstmitleid).

Insgesamt ein gutes Album. Keine Top 10 der Weltmusikgeschichte, aber es hat echt starke Momente. Gab's in gelb. Gibt's noch in blauem und schwarzem Vinyl über glitterhouse Bandcamp.

PissPisse 10/2024
Hörprobe:
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Die Nerven
Musikstil: Post-Punk,Noise Punk
Herkunft: Stuttgart
Homepage: http://dienerven.tumblr.com/
Die Nerven - Wir waren hier

Stil: Post-Punk
VÖ: 13.09.2024, LP, CD, Glitterhouse Records


Tracklist:
01. ALS ICH DAVONLIEF
02. DAS GLAS ZERBRICHT UND ICH GLEICH MIT
03. GROSSE TATEN
04. WIR WAREN HIER
05. WIE MAN ES NENNT
06. ACHTZEHN
07. BIS ANS MEER
08. ICH WILL NICHT MEHR FUNKTIONIEREN
09. SCHRITT FÜR SCHRITT ZURÜCK
10. DISRUPTION

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