LIFE AND STUFF legen ihr Debütalbum vor und teilen damit ihre Interpretation von Hardcore mit der Welt. Nach zwei Live-Erlebnissen bin ich gespannt, was die Ravensburger mit ehemaligen Mitgliedern von HINGSEN, TURN AWAY und OBTRUSIVE auf den Langspieler gepresst haben.
1 Life tastes (2:23)
Es gibt scheinbar keine Zeit zu verlieren. Ohne Vorwarnung werfen mich furiose Instrumentals in den Ring, um mit meiner Vergangenheit zu kämpfen. Wut und Hoffnung zugleich befeuern die Stimme. In der Bridge nimmt das Tempo abrupt ab. Mit Zuversicht grooved die Nummer dem Ende entgegen.
2 Close to the Abyss (3:22)
Der Song ist mir nach Konzerten in Wangen und Ulm als Gassenhauer im Kopf geblieben. Er ist im Vergleich einfacher gestrickt und hat eindeutiges Singalong-Potenzial, was ein gutes Album genauso braucht wie die komplexeren Stücke, die einen lange beschäftigen. Inhaltlich geht es um das Ableben des Humanismus und der damit verbundene gesellschaftliche Untergang, nicht zuletzt durch rechte Politik. Wenn das die Zukunft ist, fliege ich den Abgrund lieber hinab.
3 White Noise (3:47)
White Noise setzt mir bleischweres Gewicht auf die Brust. Altlasten, Einsamkeit und Aussichtslosigkeit bestimmen die Handlung, die musikalisch treffend und vielfältig untermalt wird. 2:45 schürt kurz Hoffnung auf ein knallendes Ende. Schade, das hätte gut gepasst!
4 Deer in Headlights (4:17)
In Einklang mit dem Titel vermittelt der Song ein Gefühl der Ohnmacht, Schutzlosigkeit und Paranoia. Flehend wird um Erlösung gebeten. Leider wirkt die Komposition auf mich zu statisch, sodass die bisher erlebte Spannung hier abfällt.
5 Endzeit official (2:50, Single)
Ein paar Schläge in den Raum, Melodie setzt einen melancholischen Grundton und dann entlädt sich die Stimme. Schon in den ersten 30 Sekunden bin ich gefangen. Das Stück entwickelt sich zu einem Inferno im Wechsel von donnernden Drums und klirrenden Gitarren. Derweil beschwört der Text sinngemäß das jüngste Gericht hervor. Enorm gut, wie sich der Song entwickelt!
6 Apathy (3:15)
Wenig apathisch werde ich mitten ins Geschehen geschmissen, dem Tod nahe, begleitet von aggressiven Gitarren, die an "Life Tastes" erinnern. Ab 0:50 hält der Song inne, um zu schweren Drums und zitternd kalter Gitarre zu reflektieren und seinem Titel gerecht zu werden: Wir treiben das Leben hinab und haben den Kurs verloren. Dieser Part bis 2:26 macht den Unterschied. Anschließend wird die anfängliche Energie und Todesthematik wieder aufgenommen.
7 Days in Grief (4:25)
Der ist für die schwermütigen Momente, in denen alles an einem vorbeizieht, gute wie schlechte Erinnerungen, aber die schlechten sind es, die hervorstechen und einem die Kraft rauben. Dabei fühlt sich das Soundgewand so melancholisch warm an, dass man sich in dem Missmut verlieren möchte.
8 Anxiety (2:51)
Die Welt in Flammen, die Gesellschaft im Angriffsmodus und unzählige Versprechungen, die nicht eingelöst werden. Welches Unglück uns als nächstes erteilt, ist unklar. Die Erde bietet zweifellos genügend Material für eine Angststörung. Dieser großen Dramaturgie wird die Musik meines Erachtens jedoch nicht ganz gerecht, weswegen "Anxiety" bei mir eher regungslos durchläuft.
9 Festhalten (2:37)
Hier bin ich wieder wach. Instrumentell passiert viel und die Stimme ist voller Verzweiflung. Es ist unklar, wessen Verlust im Text betrauert wird, aber umso deutlicher wird die bedingungslose Liebe und der unsagbare Schmerz.
10 Ice Age (3:06)
Ein kühler, waviger Beat treibt den ersten Abschnitt nach vorne, passend zur verbitterten Lebensweise des lyrischen Ichs. Nach einem kurzen, mit wenigen Noten besetzten Break ab 1:10 öffnet sich der Song akustisch wie textlich und offenbart auf dramatische Weise sein Innerstes. Das ist erneut ein gutes Beispiel dafür, wie facettenreich Life and Stuff auf dieser Platte arbeitet.
11 Guten Morgen (3:35)
Soziale Medien - so viel Gutes könnte damit gemacht werden. Stattdessen sorgen Menschen einmal wieder für das Schlimmste. Sozialer Austausch weicht systematischer Beeinflussung. Wirtschaft, Politik und Influencer machen Nutzer unbemerkt zu Marionetten durch falsche Inhalte, falsche Versprechen und realitätsferne Ideale. Dem widmet sich "Guten Morgen" hauptsächlich aus der Sicht eines manipulativen Akteurs. Musikalisch finde ich den Song zwar solide, aber echte Spannung kommt nicht auf.
12 Love Letter (2:26)
Das Album endet mit einem unglücklichen Liebeslied, in dem die Person seine Zuneigung 20 Jahre lang nicht offenbart hatte und nun realisiert, dass es zu spät ist. Trotzdem werden romantische Momente beschrieben, aus denen nicht hervorgeht, ob sie der Realität oder Einbildung entspringen. Präsentiert wird mit einem schönen Zusammenspiel aus Energie, Melodie und Härte, was meinen Ohren auf jeden Fall schmeichelt.
Fazit
Life and Stuffs erstes Werk ist für mich ein inhaltliches Schwergewicht, das so einige tolle musikalischen Interpretationen aufweist. Neben natürlichen Ecken und Kanten überwiegen die vielschichtigen und spannenden Songs, die selbst ohne Refrains die Aufmerksamkeit des Hörers gewinnen können.