Andreas Kalb:
Wirtshauslyrik
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist endlich so weit: Der junggebliebene geistige Frührentner Saerdna Blak, seines Zeichens Liedermacher und neuerdings auch mit seinem Namen in Rückwärts als Andreas Kalb unterwegs, veröffentlicht seine erste FULL LENGTH, natürlich nur mit exklusivem Siebdruckcover auf Colored Vinyl, auf dreieinhalb Stück limitiert und natürlich handnummeriert!
Einigen hier ist der Autor unter dem wilden Pseudonym Kabl bekannt, unter dem er im Internet seine schlecht recherchierten Schmähschriften veröffentlicht, andere könnten ihn in Dortmund oder anderswo live gesehen haben (das war der Typ im Pimmelkostüm), ein sehr erhabener Personenkreis durfte vielleicht schon mal seiner anderen Band "die Geggen Gaggas" live beiwohnen, manch einer kennt ihn aber auch gar nicht.
Sowohl der Titel des Albums als auch der Name der Facebookseite des Künstlers lautet "Wirtshauslyrik" und laut Plattencoverbeipackzettelinlay wird hier die Gratwanderung zwischen Germanistik und Gerstensaft vollzogen, will sagen man versucht, besoffenes Biertischgelalle lyrisch aufzubereiten. Verstehe ich jedenfalls so.
In jenem Zettel bemerkt man jedenfalls recht deutlich den germanistischen Anspruch der Platte, wenn mehrere Zeilen über Gottfried Benn und Konsorten schwadroniert wird, bevor Andreas zu seinem zum Markenzeichen gewordenen Stilmittel greift. Welches könnte das sein? Nun, eine rhetorische Frage und ein der Antwort vorangestelltes "Nun" liest man in vielen seiner Texte und auf Geggen Gaggas-Platten, vielleicht meine ich ja das.
Das vorliegende Konzeptalbum muss man sich also so vorstellen, dass der Autor mit seiner Gitarre in ein sehr rural geprägtes Etablissement eintritt und die Eindrücke, die um ihn herum durch die undurchsichtige Raumluft wabern, in Songs verpackt. Es ist vermutlich schon nach 22 Uhr, die Stammbelegschaft hat sich schon das ein oder andere Bierchen in die Knifte gehobelt und bereits der erste Track verpackt Gewaltfantasien in einen fröhlichen Song aus drei Dur-Akkorden.
Wenn besoffene Wirtshausproleten nicht über Gewalt sinnieren, geht es meistens um eines: Ficken. Das passiert dann schon im nächsten Song, wobei mir die vor, während oder nach des Geschlechtsaktes geäußerte Zeile "und erzähl mir dann morgen, mit wem du am Vorabend schliefst" immer noch Kopfzerbrechen bereitet. Naja. Trotz der gesundheitlichen Risiken wird in erfreuter Tonart weitergesungen - im nächsten Song geht es dann um die Idee, in SS-Uniform beim Karneval aufzutauchen, das bringt ja auch gewisse gesundheitliche Risiken mit sich.
Nach soviel Gerede muss erstmal eine Partie Schafkopf gekloppt werden, vermutlich ein "Zerspanungsmechanikerschafkopf der übelsten Sorte" (zit. nach. Wolfgang Maria Dittmann) - für Leute, die sich vorwiegend nördlich des Weißwurstäquators aufhalten, ungefähr so lustig wie Eläkeläiset: Ein schöner Song, aber die Texte sind fürs ungeübte Ohr nur Kauderwelsch. Hier gesellen sich zum ersten Mal weitere Instrumente zur Gitarre, die hier einen schönen Schützenfestrhythmus zaubert: Irgendjemand spielt Trompete.
Nachdem das Schafkopfspiel abgeschlossen ist, folgt einer der größten Hits von Andi respektive der Geggen Gaggas: Das Lied über die Pissrinne. Von Augsburg bis Mönchengladbach spaltete es bereits die Meinungen der Zuschauer, ist das nun lustig oder einfach nur doof? Wie auf der letzten Tour gibt es das Lied mit dem Chachacha-Chor aus dem Publikum zu hören - ich muss ehrlich sagen, dass mir das Lied ohne diesen Teil besser gefällt.
Wenn man zum Urinieren eh schon den Lachs in der Hand hat, kann man ja auch über dessen andere Verwendungsmöglichkeiten nachdenken, was gibts da noch? Genau! Ficken! Mit "Geh'n wir zu mir" versucht der Autor also, Paarungsrituale der Eingeboreren zu verstehen. Auch an diesem Lied haben sich bereits die Geggen Gaggas versucht und es überzeugt in beiden Versionen durch einen fröhlichen Song und beeindruckende Spoken Word-Parts.
Mittlerweile ist es null Uhr durch und die Protagonisten versinken nach dem Genuss der ersten Betonmaß in der ersten von vielen spontanen Suffdepressionen, unterstützt von einer E-Gitarre geht es um eine Beziehung, die zerbrach, weil jemand ein Lied über Ficken, Totschlag und verschimmelte Speisen gesungen hat. Wie kommt man nur auf solche Ideen?
Ein Bier später ist die Depression auch wieder vorbei und am Tisch übt man sich im Fluchen und versinkt im lustigen "Was wäre wenn"-Spielchen, in diesem Fall "Was wäre wenn Neil Young und Tom Petty in einer bekannten deutschen Castingshow aufträten?". So kommt man von Hölzchen auf Stöckchen und der nächste Bierdimpfl versinkt in schmalziger Schunkelromantik, wenn in angerostetem Oberschulenglisch eine klassische Rockballade angestimmt wird. "To Be Together With You" ist auf jeden Fall der absolute Tiefpunkt des Albums, eine sogenannte Antiklimax findet hier statt.
Was wäre ein Album ohne einen Song, der "xyz, Fuck off!" heißt, also bleiben man so halb im Thema Liebe und singt mit "Rot, Gelb, Grün, Fuck off!" ein Lied über das Scheißefinden von Hippies im Allgemeinen und die Trennung von einer Angehörigen dieser Subkultur im Speziellen.
Vielleicht schlägt auch der nächste Song "Kaputt" in diese Kerbe, der Text ist mir leider etwas zu kryptisch, vielleicht ist mit dem "weißen Kleid" ja auch eine Zwangsjacke gemeint, keine Ahnung. Es gelingt dem Autoren hier recht authentisch, das wirre Geschwätz eines besoffenen Endfünfzigers am Nebentisch, der schon mehrfach eingeschlafen ist und während er spricht in sein Bier sabbert, einzufangen.
In der nächsten Suffdepression angekommen, wird die "Birth School Work Death"-Thematik in "Das war's" wortreich aufgearbeitet.
Die nächsten zwei Songs sind von einer Person mit dem illustren Künstlernamen Willibald Spatz geschrieben worden und beschreiben Neid und Missgunst unserer Mitmenschen sowie Drogenprobleme und gescheiterte Existenzen. Das retardierende Moment des Albums schließt dann mit "Der Kommilitone", einem in Versform vorgetragenen Prosatext über Homophobie in der katholischen Kirche. Wenn derartige Themen angeschnitten werden, ist es zwischen drei und vier Uhr und man sinniert langsam über den Sinn des Lebens und des Saufens. Andreas verschriftlicht dies in einem an die Leber gerichteten Lied, welches im Gesamtkonzept das Albums das Dénouement darstellt. Die klassische Tragödie ist hiermit beendet, allerdings trifft er auf dem Weg nach Hause dann noch eine Horde Fußballfans und kann mit ihnen auf dem Heimweg noch ihren Vereinssong intonieren.
Long story short: Ein Liedermacheralbum, das seinesgleichen vergeblich sucht. Sein Geld zwar nicht wert, sonst aber ganz ok! Nur ein gewisses Lied, das in Dortmund ziemlich häufig gespielt wurde, fehlt.
Nachtrag (drei Tage später): Man merkt es nicht auf Anhieb, aber das Album ist voller Ohrwürmer. Nichtsahnend läuft man durch die Stadt und hat auf einmal "Und ich laufe durch die Gasse, das Gehirn liegt auf der Straße" und ähnliche Phrasen im Ohr. Aufpassen!
Meinungen anderer Eierköppe zum Album:
"Das einzige, was ich ihm vorwerfe, ist, dass man sogar beim Singen seinen bayrischen Dialekt hören kann"
- Mein Mitbewohner