Oma Hans, Oiro, 22.02.2014 in Berlin, SO36 - Bericht von tenpints
Oma Hans, 22.02.2014 in Berlin
Mein schönstes Erlebnis mit Oiro war 2008, als sie in Düsseldorf eine Kneipentour mit Bollerwagen, Kinderschlagzeug, Megaphon und Gitarren gemacht haben und in jeder Kneipe zwei Lieder intonierten. Davon gibt es einen Film, den man sich auf Youtube anschauen kann: youtube.com/watch?v=IO_FC8VpDlQ
Bei Oiro ist trotz ausverkauftem Haus noch angenehm wenig los. In Sachen Alkoholpegel ist bei mir zu diesem Zeitpunkt auch schon kaum noch eine Karte zu haben, ich hatte einen super Tag und bin total überfordert von Berlin, weshalb ich mich vermutlich aufführe wie der schwer begeisterte Vollhonk, der ich ja nun auch bin.
Besonders begeistert bin ich von Vanders Kopfschmuck. Oiro sehen immer noch so gut aus wie vor sechs Jahren, machen immer noch so gute Musik und sind - zusammengefasst - so ziemlich das Beste, was deutschsprachiger Punk seit vielen Jahren zu bieten hat. Was man ja auch daran sieht, dass sie nicht berühmt werden und Vokale im Namen tragen.
Johnny Bauer glänzt heute wieder damit, dass er jeden Applaus des Publikums süß findet und 90% des auf der Bühne stehenden Bandbierkastens ans Publikum verteilt. War in Hamburg beim vorletzten Kommando-Sonne-nmilch-Konzert auch schon so.
Leider ebenfalls identisch: die Tatsache, dass Jens Rachuts Part in "Als was geht Gott an Karneval?" nicht von ihm gesungen wird, obwohl er ja hinter der Bühne abhängt. Aber Vander macht die Sache auch ganz gut.
Okay, Oma Hans die zweite, und was hier heute abgeht, ist ne andere Liga als in Köln. Liegt vermutlich eher an mir als an irgendwas anderem, aber: Meine Fresse, ist das geil!
Ich hab Jens Rachut noch nie so wild mit den Armen auf und ab pumpen sehen wie auf diesem Konzert. Nicht einmal vor vier Monaten in Hamburg, obwohl der Anlass ja ein ähnlich besonderer war. Er hat Bock!!
Andreas Ness hat auch Bock. Der ist gerade 60 geworden und wird viel zu selten gewürdigt. Nicht nur, dass er einen fantastischen Vornamen trägt, nein, er ist es auch, der seit über 20 Jahren die ganzen geilen Riffs aus dem Ärmel schüttelt.
Heutige Stargäste: Uschi, Bitschi und Renate von den verblichenen Kommando Sonne-nmilch. Da wird man ja ganz nostalgisch.
Hier könnte sowas stehen wie "Die Lichtgestalt des deutschsprachigen Punkrock ganz in seinem Element" oder "Das Bier läuft immer noch gut rein". Jens Rachut geht ab wie Schmidts Katze und freut sich im Geiste vermutlich schon auf seine neue Band, die laut truemmerbooking-Newsletter übrigens den bescheuerten Namen "Rachengold" trägt.
Wie dem auch sei, an diesem Wochende habe ich erstmal festgestellt, dass ich ziemlich viele Lieder von Oma Hans gar nicht so geil finde wie ich dachte. Dafür aber andere umso mehr: "Django", "Der Kreisverkehr" (!!!!!!), "Die Mole", "Sofa in Singapur" und natürlich "In der Ukraine" z.B. lassen mich die Ohren meiner armen Vorderleute kaputt schreien.
Was beim Mitschreien auch ganz gut auffällt: dass die Texte gar nicht so kryptisch und künstlerisch-verschnörkelt sind wie man es Rachut gerne mal vorwirft. Der schreibt einfach total aus dem Bauch heraus, aber es ist eigentlich immer klar, worum es geht, und es ist immer ehrlich und ungekünstelt. Was ja auch auf die Musik zutrifft. Daher: Rachut und Ness sind die stabilsten Jungs der Punk-Geschichte.
In Rachuts Augen leuchtet das irre Feuer der Revolution, seine Energie überträgt sich auf die Masse, die nach dem Konzert den Goldenen Hahn besteigt bzw. direkt in die Herberge abzieht, um einigermaßen wieder klar zu kommen.
Was auch immer man tut, alle bekleckern sich mit Ruhm. Ruhm ist wichtig, es macht Spaß sich zu rühmen, z.B. mit Besuchen bei Oma-Hans-Konzerten und anderen Berliner Touristenattraktionen.
Die Jens-Rachut-Statue im Treptower Park etwa ist ein echter Publikumsmagnet. In ihrem Schatten tummeln sich diese glücklichen jungen Familien, die es hier überall gibt und die mich von einer Depression in die nächste stürzen, ebenso wie russische Weltkriegsveteranen und deren Nachkommen.
Ob die Allianz-Versicherung das Gebäude extra da platziert hat, um den Sieg von Kapitalismus und Barbarei gegen den Sozialismus zu feiern?
Es ist jedenfalls ein echtes Erlebnis, das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park und dazu auf Kopfhörer schön laut "Die Ästhetik der Herrschaftsfreiheit" von ROME, ein 115 Minuten langes, vor Pathos triefendes Konzeptalbum über den Kampf für eine herrschaftsfreie Gesellschaft.
Daraus ist ja leider bisher nicht so viel geworden. Weshalb man z.B. Blumen ablegen oder Punkkonzerte besuchen muss, um halbwegs klar zu kommen. Jedenfalls, Berlin: trotz bzw. wegen der vielen Menschen immer eine Reise wert! Am krassesten fand ich Friedrichshain an diesem sonnigen Sonntag, original wie aus 'nem Katz&Goldt-Comic die ganze Atmosphäre, da gibt es Staus auf den Bürgersteigen, weil die ganzen gutaussehenden jungen deutschen Klischee-Abziehbilder sich gegenseitig über den Haufen laufen. Voll das Ghetto, und ich wüsste auch gar nicht, wen ich zuerst fragen sollte, ob er mein neuer Freund wird! Aber hat, zugegeben, auch seine Vorteile. Trotzdem gut, dass ich da nicht wohne, dann könnte ich ja gar nicht mehr hinfahren, hahaha. CU!